Symbolbild: Pflegende Angehörige
Bildrechte: picture alliance / photothek | Ute Grabowsky

Symbolbild: Pflegende Angehörige

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Ampel-Koalition überarbeitet Pflegereform: Wie geht es weiter?

Steigende Pflegekosten belasten Millionen Pflegebedürftige und ihre Familien. Eine Reform soll die Betroffenen entlasten. Doch Lauterbachs Pläne stoßen auf Kritik. Sie seien unzureichend. Nun wird das Gesetz überarbeitet. Aber was ist zu erwarten?

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen entlastet werden. Dieser Satz war schon oft zu hören. Zahlreiche Politiker haben beim Thema Pflege in der Vergangenheit viel versprochen. Aber bis heute warten die Betroffenen auf spürbare Entlastungen, berichten Angehörigengruppen und Sozialverbände. Vor allem der Frust unter den Pflegenden ist groß.

Enttäuschung über bisherige Pläne

Eine Pflegereform der Bundesregierung sollte dies ändern und die rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen und ihre Familien strukturell und finanziell stärker unterstützen. Die bisherigen Pläne aus dem Bundesgesundheitsministerium sorgen allerdings für viel Enttäuschung. Die Reform sei lediglich ein "Reförmchen", kritisieren Fachverbände. Und neben der Opposition halten sogar viele Abgeordnete der Ampel-Parteien die Pläne aus dem Bundesgesundheitsministerium für unzureichend. Das wurde kürzlich bei einer Debatte im Bundestag über den Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für das "Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz" deutlich.

Verhandlungen über Reform laufen

Derzeit verhandeln die Koalitionspartner intensiv hinter verschlossenen Türen über die Pflegereform. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, sitzt mit am Verhandlungstisch und sagt BR24: "Die Not ist im Moment so groß, dass nach Ansicht meiner Fraktion noch umfassender Nachbesserungsbedarf da ist." Auch die SPD will, dass der Gesetzentwurf überarbeitet wird. Einer der Hauptkritikpunkte: Die Pflege zu Hause komme zu kurz.

Nach Lauterbachs Plänen soll das Pflegegeld, mit dem Pflegebedürftige Unterstützungsleistungen für den Haushalt oder ihre Betreuung bezahlen können, ab 2024 um fünf Prozent steigen – nach sechs Jahren ohne eine Erhöhung. Das sei viel zu wenig und nicht einmal ein Inflationsausgleich, wird parteiübergreifend kritisiert.

Zu wenig Pflegegeld bei steigenden Kosten

Der CSU-Pflegepolitiker Erich Irlstorfer meint, die steigenden Kosten in verschiedenen Lebensbereichen seien in dieser Reform nicht abgebildet. Die Angehörigen müssten unbedingt finanziell gestärkt werden. Denn: "Wir müssen versuchen, die pflegebedürftigen Menschen in der Häuslichkeit zu halten, um zu vermeiden, dass sie stationär aufgenommen werden müssen."

Da die Zahl der Pflegedürftigen infolge der demografischen Entwicklung immer weiter ansteigt, werde man es nicht schaffen, alle Betroffenen in Pflegeeinrichtungen zu versorgen, warnt Irlstorfer. Zumal die Kosten dann deutlich höher wären.

Forderung: Mindestens 340 Euro monatlich mehr

Kritik kommt dazu auch vom Sozialverband VdK. "Wer weiß, wie hoch die Preissteigerungen für Lebensmittel, Hygieneartikel und anderes sind, der weiß, dass das Pflegegeld überhaupt nicht ausreicht", erklärt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Auch die Anbieter in den Bereichen Betreuung und Pflegeunterstützung würden ihre Preise anheben. "Das heißt de facto, dass die Menschen sich immer weniger leisten können vom Pflegegeld." Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz fordert, das Pflegegeld um mindestens 340 Euro monatlich pauschal zu erhöhen und jährlich anzupassen.

Entlastungsbudget aus Gesetzentwurf gestrichen

Ein weiterer großer Kritikpunkt: Ein geplantes Entlastungsbudget steht nun doch nicht im Gesetzentwurf. In dem Budget sollten bisherige Ansprüche und Einzelleistungen wie Kurzzeit- und Verhinderungspflege gebündelt werden, damit es die Betroffenen einfacher haben, Unterstützung zu beantragen und das Geld flexibler einzusetzen.

VdK: 12 Milliarden Euro werden nicht abgerufen

Laut einer Hochrechnung des VdK werden derzeit rund zwölf Milliarden Euro an Leistungen, die den Menschen zustehen, nicht abgerufen, berichtet Verena Bentele im BR24-Interview. Die Leistungen würden deshalb nicht in Anspruch genommen, weil die Anträge oft zu kompliziert seien oder Betroffene von den Angeboten nichts wüssten. Viele Bundestagsabgeordnete drängen darauf, dass das Entlastungsbudget noch ins Gesetz kommt.

Aber trotz der nicht abgerufenen Milliarden klafft in der Kasse der Pflegeversicherung ein großes Loch. Ende vergangenen Jahres wurde das Defizit auf mehr als zwei Milliarden Euro beziffert.

Lauterbach will Beitragssatz ab Juli erhöhen

Gesundheitsminister Lauterbach will deshalb den Beitragssatz zur Pflegeversicherung erhöhen, ab Juli um 0,35 Prozentpunkte. Wer mehrere Kinder hat, zahlt weniger. Kinderlose dafür deutlich mehr. Der SPD-Politiker betonte im Bundestag allerdings: "Wir sind, was die langfristige Finanzierung angeht, an einem Wendepunkt." Das System müsse anders werden. Die Pflege könne in Zukunft nicht allein mit Beitragserhöhen finanziert werden, sagen auch Pflegepolitiker wie Erich Irlstorfer von der CSU. "Deshalb wird es unumgänglich sein, dass man aus den Steuermitteln Pflege quer subventioniert."

Pflege für immer mehr Menschen unbezahlbar

Mehr Steuergelder für die Pflege fordern auch Ampel-Politiker. Der Grünen-Abgeordnete Dahmen verweist jedoch auf die schwierigen Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2024 mit Finanzminister Christian Lindner von der FDP. "All das erschwert die Situation in der Pflege entsprechend gute, ausreichende Lösungen zu präsentieren." Dies würde den aktuellen Gesetzgebungsprozess mit überschatten.

Dahmen mahnt mit Blick in die Zukunft: "Wir werden zunehmend erleben, dass Pflege für sehr viele Menschen in diesem Land nicht mehr bezahlbar ist." Noch in dieser Legislaturperiode müsse eine Debatte darüber geführt werden, wie die soziale Pflegeversicherung grundsätzlich neu aufgestellt werden könne. Laut Sozialverband VdK brauche es dafür keinen Blick in die Zukunft. Schon heute könnten sich viele Menschen wichtige Pflegeleistungen nicht mehr leisten.

Pflegereform soll vor der Sommerpause beschlossen werden

Noch im Mai soll Lauterbachs Pflegereform im parlamentarischen Verfahren abgeschlossen werden, damit das entsprechende Gesetz noch vor der Sommerpause durch Bundestag und Bundesrat geht. Das Bundesgesundheitsministerium will sich auf Anfrage nicht zu einzelnen Beratungspunkten äußern. Klar ist aber: Die Zeit für Nachbesserungen drängt. "Ich kann im Moment noch nicht sagen, ob das, was als Ergebnis am Ende steht, ausreicht oder nicht", erklärt Dahmen, der für die Grünen an den Beratungen teilnimmt.

Millionen von Pflegebedürftigen und ihre Familien hoffen bis zuletzt, nicht wie in der Vergangenheit mit schönen Worten vertröstet zu werden. Der Sozialverband VdK veröffentlicht heute eine Studie über die Belastungen in der häuslichen Pflege und den dringenden politischen Handlungsbedarf. Die im Koalitionsvertrag versprochene Stärkung der häuslichen Pflege müsse jetzt endlich kommen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!