ARCHIV - 10.04.2014, Brandenburg, Braunsdorf: Eine illegale Hanf-Plantage, entdeckt bei einer Drogenrazzia auf einem privaten Gelände in Brandenburg. (zu dpa: «Brandenburg entscheidet kurzfristig über Votum zu Cannabis-Legalisierung») Foto: Patrick Pleul/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Cannabis

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BR24live: Showdown im Bundesrat - Kommt das Cannabis-Gesetz?

Ärzte, Richter, Polizei – und Opposition: Selten wurde ein Gesetz von so unterschiedlichen Seiten kritisiert. Doch die Bundesregierung hält an der Cannabis-Freigabe fest. Heute entscheidet der Bundesrat. Alle Infos gleich in einem BR24live.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Wer mit Cannabis erwischt wird, muss bisher mit einer Geldstrafe rechnen – in schweren Fällen sogar mit Gefängnis. Das soll sich ändern: Der Bundesrat stimmt an diesem Freitag über ein Gesetz zur Teil-Legalisierung von Cannabis ab.

In einem BR24live übertragen wir die Abstimmung im Bundesrat zum Cannabis-Gesetz und sprechen anschließend mit Hauptstadt-Korrespondent Björn Dake und Landespolitik-Reporter Julian von Löwis über die politische Debatte und die Folgen dieser Entscheidung.

Es ist ein großes, im Koalitionsvertrag verankertes Vorhaben von SPD, Grünen und FDP: Der für das Gesetz verantwortliche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die kontrollierte Abgabe der Droge für Erwachsene ermöglichen und so den Schwarzmarkt eindämmen, der Bundestag hat den Plänen schon zugestimmt. Vertreter von Ärzten, Richtern und Polizei warnen aber vor Gefahren und Nebenwirkungen. Bayern und andere Länder teilen die Sorgen. Sie wollen deshalb heute den Vermittlungsausschuss anrufen. Fragen und Antworten vorab.

Was sieht das neue Gesetz vor?

Erwachsene sollen künftig Cannabis in begrenzten Mengen legal konsumieren, besitzen und anbauen dürfen. Unterwegs sind 25 Gramm, zu Hause 50 Gramm erlaubt. Anbau und Abgabe soll zunächst über Anbauvereine ermöglicht werden. Mitgliederzahl und Mengenabgaben in den Clubs sollen begrenzt werden, für 18- bis 21-Jährige wird der THC-Gehalt limitiert. Die Vereine dürfen Samen und Stecklinge nur an Mitglieder zum Eigenanbau weitergeben.

Wie begründet Lauterbach sein Vorhaben?

Die Verbotspolitik und alle Versuche, den Schwarzmarkt strafrechtlich zurückzudrängen, sind nach Ansicht des Ministers gescheitert. Dort werde Cannabis oft verunreinigt angeboten, was zusätzliche Gesundheitsgefahren schaffe. Mit dem Gesetz will er auch die Prävention und die Gefahrenaufklärung verstärken. Die Konsumrisiken speziell für Jugendliche und junge Erwachsene, deren Gehirn sich bekanntlich noch verändert, ist sich Lauterbach bewusst. Sein Ministerium hat eine Aufklärungskampagne gestartet. In Schulen, auf Kinderspielplätzen und Sportstätten sowie in Kinder- und Jugendeinrichtungen soll Kiffen verboten bleiben.

Was sagen Länder, Kommunen, Opposition und Justiz?

Allen voran Abgeordnete von CSU, CDU und AfD sowie unionsgeführte Länder wie Bayern und Sachsen lehnen das Gesetz ab. Aber nicht nur sie, auch Innenpolitiker der SPD warnen zum Beispiel davor, dass Dealer entkriminalisiert würden. Zudem würde die Justiz überfordert: Wegen der geplanten Amnestie von Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis müssten Zehntausende Urteile neu geprüft werden.

In die gleiche Kerbe schlägt der Deutsche Richterbund: Dessen Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn rechnet mit mehr als 100.000 Stunden Arbeit allein für die Staatsanwaltschaften und verweist auf Angaben der Justizverwaltungen der Länder; demnach müssen bundesweit mehr als 200.000 Strafakten nochmals überprüft werden. Die Städte sehen sich laut Städtetags-Präsident Markus Lewe (CDU) überdies nicht in der Lage, die Regeln des Gesetzes zu kontrollieren.

Wovor warnen Mediziner?

Die Warnungen und Mahnungen sind vielfältig: Die im Gesetz vorgesehene Altersgrenze von 18 Jahren sei zu niedrig, regelmäßiger Konsum könne gerade bei jungen Erwachsenen zu großen Schäden führen; Cannabis habe ein hohes Suchtpotenzial und starke Nebenwirkungen: Lern- und Gedächtnisleistungen könnten vermindert, Risiken für psychische Erkrankungen gesteigert, der Behandlungsbedarf erhöht werden – just in einer Zeit, in der Ärztinnen und Psychotherapeuten fehlen. Und: Wenn Cannabis für Erwachsene erlaubt werde, könne die Substanz an Kinder und Jugendliche vermehrt weitergereicht werden. Zudem werde suggeriert, der Konsum sei nicht so schlimm. Dabei seien Minderjährige schon jetzt nicht ausreichend vor Drogen wie Alkohol und Nikotin geschützt.

Wie ist die Haltung der Staatsregierung?

Strikt und streng. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) sagte: "Es gibt jetzt die Chance, den Vermittlungsausschuss anzurufen und damit das gefährliche Legalisierungs-Vorhaben aufzuhalten." Ministerpräsident Söder will Cannabis-Konsumenten das Leben schwer machen: Bayern werde das vom Bundestag beschlossene Gesetz "extremst restriktiv" anwenden. Wer mit Cannabis glücklich werden wolle, sei außerhalb Bayerns besser aufgehoben. Passend zu dieser Haltung sollen Millionen für eine neue Kontrolleinheit bereitgestellt werden.

Kommt die Regierung den Kritikern entgegen?

Ja, in mehrerlei Hinsicht. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt eine sogenannte Protokollerklärung vor, die die Regierung dem Bundesrat zukommen hat lassen. Darin wird versichert: Die Mittel (sechs Millionen Euro) zum Ausbau der Cannabisprävention bleiben über das laufende Jahr hinaus bestehen, der Bund wird ein Zentrum für Präventionsarbeit mit 20 Millionen Euro fördern, Anbauvereine sollen häufiger als geplant kontrolliert, sogenannte Großanbauflächen ausgeschlossen werden. An der Amnestieregelung will Lauterbach aber festhalten: Es wäre nicht zumutbar, wenn wegen Cannabis-Vergehen inhaftierte Menschen nach einer Legalisierung im Gefängnis bleiben müssten.

Welche Macht hat in diesem Fall der Bundesrat?

Es handelt sich um ein sogenanntes Einspruchsgesetz. Das heißt: Die Länder müssen nicht zustimmen, können aber Einspruch einlegen und den Vermittlungsausschuss anrufen. Das würde die Freigabe verzögern, nicht aber aufhalten. Es sei denn: Die 32 Mitglieder – je 16 vom Bundesrat und Bundestag – finden keine Lösung. Das Vermittlungsverfahren könnte sich ziehen und ziehen, womöglich sogar bis zum Ende der Wahlperiode. Oder bis der Widerstand so groß wird, dass mit der Zeit die Unterstützung innerhalb der Koalition wegbricht – jüngste Äußerungen von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, wonach vor allem die Grünen für das Gelingen des Gesetzes verantwortlich seien, zeigen erste Risslinien. Überhaupt sind gerade in der SPD viele gar nicht glücklich mit dem Gesetz.

Wohl auch deshalb fürchtet Lauterbach den Vermittlungsausschuss, vor dem er deshalb warnt; genau wie übrigens die Gesundheitspolitiker von FDP (Andrew Ullmann) und Grünen (Janosch Dahmen). Die Union wiederum setzt genau deshalb auf den Ausschuss und den "Faktor Zeit". Am deutlichsten formulierte es Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Sein Ziel lautet, "dass dieses Gesetz niemals wieder aus dem Vermittlungsausschuss herauskommt".

Wie viel Zeit hat der Vermittlungsausschuss?

Der Vermittlungsausschuss ist nicht auf eine Anzahl von Einigungsversuchen beschränkt. Das Vermittlungsverfahren zu einem Gesetz kann jedoch – ohne dass man sich auf einen Kompromissvorschlag verständigt – frühestens nach drei ergebnislosen Einigungsversuchen abgeschlossen werden. Der Ausschuss kann aber einen Kompromissvorschlag in Form einer an Bundestag und Bundesrat gerichteten Beschlussempfehlung auch bereits im ersten Einigungsversuch beschließen (externer Link).

Welche Szenarien sind denkbar?

Die Befürworter, Lauterbach und vor allem die Grünen – größte Verfechter des Projekts, beteiligt an elf Landesregierungen – schaffen es, ausreichend Stimmen gegen den Vermittlungsausschuss zu sammeln. Ein durchaus realistisches Szenario, schließlich hat man zuletzt viel Überzeugungsarbeit geleistet und ist mit den erwähnten Änderungen den Kritikern entgegengekommen. Wenn es nicht genügend Stimmen für einen Einspruch gibt, wird auch der Vermittlungsausschuss nicht angerufen, das Gesetz kann wie geplant zum 1. April in Kraft treten.

Was aber, wenn nicht?

Das Gesundheitsministerium hält laut "Süddeutscher Zeitung" mehrere Varianten für denkbar. Zum Beispiel: Der Vermittlungsausschuss wird angerufen, doch ungeachtet dessen kommt es zu einer zweiten Abstimmung des Bundestages – das Gesetz könnte in Kraft treten, nur eben später. Auch denkbar: Ein Vermittlungsausschuss, sofern er einberufen wird, nimmt das Cannabis-Gesetz gar nicht erst auf die Agenda oder setzt eine Arbeitsgruppe ein, die aber niemals zusammenkommt, beziehungsweise kein Ergebnis findet oder ein Resultat erzielt, aber nicht darüber abstimmt.

Wie fällt das Abstimmungsergebnis aus?

Eine Prognose ist schwierig. Zwar ist klar, wie viele Stimmen ein Bundesland hat (je nach Einwohnerzahl drei bis maximal sechs). Nicht aber, ob die Koalitionspartner in den einzelnen Ländern zur Einheitlichkeit finden. Sobald sich Koalitionspartner einer Landesregierung nicht einig sind, ist es Usus, dass sich das Land enthält, was als Nein gewertet wird. Das käme dann den Befürwortern des Gesetzes zupass. Anders als Bayern oder Sachsen hielten sich viele Bundesländer im Vorfeld auch noch bedeckt, was ihr Abstimmungsverhalten betrifft – während ausgerechnet das SPD-regierte Saarland gegen das Gesetz des SPD-Ministers stimmen will.

Es dürfte spannend werden in Berlin.

Mit Material von dpa und AFP

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