Produkte liegen auf einer Supermarktkasse, daneben liegt ein Schild zum Projekt "Wahre Kosten"
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Für neun Produkte kassiert Penny testweise die "wahren Preise". Dabei werden auch verdeckte Kosten, etwa für Umweltverschmutzung, berücksichtigt.

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Diskussion um Penny-Aktion: Was steckt im "wahren Preis"?

Eine Woche lang kosten ausgewählte Produkte beim Discounter Penny deutlich mehr als üblich. Grund sind die eingepreisten Umweltfolgekosten. Das sorgt für heftige Diskussionen. Wie fundiert sind die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Berechnungen?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 1 am Vormittag am .

Eine Frage treibt den Wissenschaftler Tobias Gaugler derzeit besonders um: Warum empören sich ausgerechnet Landwirte und Bauernverbände über das neue Einkaufsprojekt "Wahre Kosten" bei Penny? Denn die Berechnung der neuen Preise, die die Umweltfolgekosten beinhalten, solle das Augenmerk doch gerade auch auf die Missstände im landwirtschaftlichen System lenken.

Gaugler arbeitet an der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg (Georg Simon Ohm) und begleitet das Projekt zusammen mit seiner Forscherkollegin Amelie Michalke von der Uni Greifswald. Der Zorn vieler Kommentatoren in den sozialen Netzwerken richtet sich allerdings nicht konkret gegen die Wissenschaftler, sondern viel mehr gegen den Discounter Penny, der zur Rewe-Handelsgruppe gehört.

Die großen Vier bestimmen den Markt

Die dominierenden Handelsketten Lidl, Aldi, Edeka und Rewe, die zusammen einen Marktanteil von über 85 Prozent haben, fechten seit Jahren einen brutalen Preiskampf aus. Immer wieder stand dabei auch die Frage im Raum, ob die Lebensmittelpreise im europäischen Vergleich tatsächlich so erschreckend niedrig sind. Der Einzelhandel, so der Vorwurf, übt einen immensen Druck auf Landwirte und andere Lebensmittelproduzenten aus und betreibt Preisdumping.

Die sogenannte UTP-Richtlinie der EU – das Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – ist bereits in Kraft und wird gerade evaluiert. Forderungen der Landwirte nach kostendeckenden Erzeugerpreisen bleiben aber bestehen. Denn unterm Strich erhalten viele Landwirte und Produzenten einen immer geringeren Anteil vom Verkaufspreis im Laden. Die Produktionskosten für sie steigen aber weiter.

Das sind die sichtbaren Kosten

Die in Deutschland gängigen, durchschnittlichen Lebensmittelpreise werden natürlich sowohl von den Herstellungskosten, als auch von der nachgelagerten Logistik (Transport, Lagerung, usw.) beeinflusst, ebenso wie von Steuern (MwSt, etc.), dem durchschnittlichen Lohnniveau und der Wettbewerbssituation im Einzelhandel.

Für den Handel selbst spielen neben Angebot und Nachfrage auch die Qualität, die Zuverlässigkeit der Lieferanten und zunehmend auch Kriterien wie Nachhaltigkeit oder faire Produktionsbedingungen eine wichtige Rolle.

Faktoren, die "wahre Kosten" beeinflussen

Die Berechnung der wahren Kosten von Lebensmitteln ist komplex. Denn einbezogen werden müssen auch Faktoren wie CO2- und Stickstoffemissionen, Energieverbrauch, Überdüngung, Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit. Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen den "ab Hof"-Preisen, die direkt beim Erzeuger anfallende Kosten beinhalten, und "externen Kosten", die alle anderen wirtschaftlichen Aktivitäten umfassen. Im "Ab-Hof-Preis" sind diese nämlich nicht enthalten. Externe Kosten können Umweltkosten oder eben auch soziale Kosten sein – je nachdem, ob sie direkte Auswirkungen auf die Umwelt oder die Menschen haben.

Konkret geht es dabei um Kosten, die letztlich die Gesellschaft oder der Steuerzahler trägt, also um Folgen der Lebensmittelproduktion: etwa Klimawandel, Fettleibigkeit, Kinderarbeit und Plastikverschmutzung. Diesen "wirklichen Preis" wollen die beiden Forscher bei ihren neun ausgewählten Produkten abbilden. Leichte Ungenauigkeiten bei der Berechnung sieht Tobias Gaugler allenfalls im Cent-Bereich: "Plusminus bei der Nachkommastelle, aber die Tendenzaussage, gerade auch bei CO2, da ist man sich wissenschaftlich schlicht einig, dass das so passt."

Hätten die Wissenschaftler neben Klima, Gesundheit, Wasser und Boden noch ein paar Treiber mehr berücksichtigt, wären einige Preissteigerungen noch höher ausgefallen.

CO2-Bepreisung ist wissenschaftlicher Standard

Die Erforschung der wahren Kosten von Produkten ist kein neues Thema. Organisationen wie "True Price" arbeiten seit Jahren daran. Zusammen mit der Initiative Sustainable Trade (IDH) haben sie bereits Studien zu den wahren Kosten von Kaffee, Kakao, Baumwolle und Tee veröffentlicht, die eine klare Aufschlüsselung von 14 verschiedenen Arten von externen Kosten bieten.

Das Wissen um die wahren Kosten von Lebensmitteln ist auch deshalb wichtig, um Risiken besser zu steuern, Innovationen voranzutreiben und um Umwelt- und soziale Kosten in der gesamten Lieferkette reduzieren zu können. Es ermöglicht Unternehmen, nachhaltigere und kosteneffizientere Produktionsalternativen zu entwickeln.

Wahre Kosten: Geringerer Aufschlag bei Obst und Gemüse

Schwachpunkt des Einkaufsprojekts ist, dass fast ausschließlich tierische Produkte mit den "wahren Kosten" ausgewiesen werden. Bei Gemüse und Obst, also unverarbeiteten Lebensmitteln, fiele der Preisaufschlag nämlich nicht so drastisch aus. Er bliebe meist im einstelligen Prozentbereich.

Hinsichtlich des Eintrags von klimaschädlichem Treibhausgas in die Umwelt macht es zudem einen entscheidenden Unterschied, ob Lebensmittel frisch sind oder verarbeitet wurden. Auch der Anbau, ob regional und saisonal sowie der Transport, zum Beispiel für importierte Ananas, spielen eine bedeutende Rolle. Ebenfalls eine erhebliche Auswirkung hat die Wahl zwischen Freiland- und Gewächshausanbau sowie der Einsatz von Düngemitteln und die Art der Verarbeitungsprozesse.

Folgekosten von Lebensmitteln: Das Beispiel Tomate

Dokumentarfilmerin und Bestsellerautorin ("Der Konsumkompass") Katarina Schickling betont, dass die Gesellschaft diese Folgekosten ohnehin trage, ohne sie groß infrage zu stellen. Ein Beispiel sind Tomaten, die es mittlerweile das ganze Jahr über im Supermarkt gibt, ohne dass sich viele über den ökologischen Preis Gedanken machen. "Wenn man sich anschaut, wie viel Kilogramm CO2-Äquivalent eine regionale Tomate in der Saison auslöst, im Vergleich zu einer spanischen Tomate im Winter, dann ist es das Zehnfache", sagt Katarina Schickling, "die Schäden, die dadurch angerichtet werden, bezahlen wir aber nicht an der Supermarktkasse, sondern woanders."

Ein Großteil unseres importierten Obstes und Gemüses stammt aus Murcia in Spanien, wo sich eine der größten Salzwasserlagunen der Welt befindet. Diese steht kurz vor dem Kippen, weil durch intensive Bewässerung dem System zu viel Wasser entzogen wurde. Dies hat zu einer spektakulären Algenplage geführt – eine direkte Folge der Nachfrage nach immer billigerem Gemüse.

Sternekoch Alexander Herrmann, der in seinem renommierten Restaurant im oberfränkischen Markt Wirsberg (Lkr. Kulmbach), höchste Qualität liefert, sieht speziell für Deutschland ein weiteres Problem: "Wir vergleichen unsere Gemüsesorten mit dem europäischen Ausland. Aber das, was bei uns so richtig wächst, lassen wir gern außen vor, weil ein Weißkraut natürlich in der heimischen Küche mehr Aufwand bedeutet, als wenn ich eine Tomate aufschneide und allseits beliebten Mozzarella drauflege." Dabei, unterstreicht der fränkische Spitzenkoch, sollten wir doch den Wert und die Vielfalt regionaler Produkte mehr schätzen und unterstützen.

Im Video: Penny erhöht im Rahmen der Aktion "Wahre Preise" die Preise für bestimmte Produkte

Lebensmittel liegen in einem Einkaufswagen
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Neun Produkte sind bei Penny diese Woche teurer. Die Aktion soll darauf aufmerksam machen, dass die Ladenpreise nicht alle Folgekosten enthalten.

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