Zettel zur Wohnungssuche
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Werden Frauen obdachlos, kommen sie nur schwer wieder auf eigene Beine.

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Hohe Miete: Wie Frauen in die Wohnungslosigkeit getrieben werden

Werden Frauen obdachlos, kommen sie nur schwer wieder auf eigene Beine. Viele leben jahrelang in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Besonders schockierend: Selbst wenn sie Arbeit finden, reicht der Lohn oft nicht für eine eigene Wohnung.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Die 60-jährige Manuela ist froh, dass sie ein Dach über dem Kopf hat. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Sie ist eine Weltenbummlerin, arbeitete bei der Post in Neuseeland, betrieb ein Hotel in Mexiko. Zuletzt war Manuela Kellnerin in einem südspanischen Restaurant. Bis Corona kam und sie arbeitslos wurde.

Die Angst vor der Straße

Zunächst kam sie bei ihrem Bruder in München unter. Als das nicht mehr ging, fand die 60-Jährige eine Unterkunft in der Notaufnahme für Frauen "Karla 51", einer Einrichtung der Diakonie nahe des Münchner Hauptbahnhofs. Sie fühlte sich willkommen, war glücklich über ein Einzelzimmer mit sauberem Bad. "Ich hatte Angst, dass ich wieder auf der Straße schlafen muss", sagt Manuela.

  • Lesen Sie hier: "Nach 15 Jahren: Rolands Weg aus der Wohnungslosigkeit"

Niedrige Löhne, hohe Mieten

Bei "Karla 51" kommen Frauen unter, die Gewalt in der Ehe erlebt haben, junge Schwangere, die nicht wissen, wohin sie sollen, Frauen, deren Rente nicht reicht. Aber auch Frauen, die arbeiten, sich aber keine Wohnung leisten können. "Ganz viele Frauen verdienen teilweise noch ganz lange, wenn sie wohnungslos sind", sagt die Sozialpädagogin Amelie Nippold. Frauen arbeiteten oft in Berufen im sozialen Bereich mit niedrigen Löhnen oder entschieden sich wegen der Kinder nur Teilzeit zu arbeiten. "Da sind wir, glaube ich, bei einer strukturellen Frage", sagt Nippold.

Versteckte Wohnungslosigkeit

Strukturell sind Frauen stärker von Wohnungslosigkeit bedroht als Männer. Zwar melden sich mehr Männer als Frauen wohnungslos, aber Frauen leben häufig in sogenannter "versteckter Wohnungslosigkeit". Sie tauchen irgendwo unter: bei Freunden, aber auch in Zweckbeziehungen zu Männern.

Von Einrichtung zu Einrichtung

Maximal acht Wochen können die Frauen bei "Karla 51" eigentlich bleiben – dann müssen sie weitervermittelt werden. Nur wohin? "Man schafft es manchmal, aber selten. Das Problem ist, dass es keine Wohnungen gibt", sagt Nippold. "Es ist typisch, dass eine Frau, wenn sie ihre Wohnung verliert, jahrelang in der Wohnungslosenhilfe verbringen wird." Die Frauen würden dann "von Einrichtung zu Einrichtung weitergeschoben".

Wohnungsnot nicht nur in München

Auch Manuela lebt inzwischen in einer anderen Einrichtung – in einer Unterkunft des Sozialdienstes katholischer Frauen. Ihr Zimmer ist sehr klein – nur das Bett passt hinein, kein Schrank, kein Tisch, kein Stuhl. Sie überlegt jetzt, woanders zu leben – eventuell am Bodensee.

Aber wird es dort wirklich besser sein? Die Wohnungsnot besteht keineswegs nur in München, schreibt das Bayerische Sozialministerium auf Anfrage des BR: "Der Bedarf an Sozialwohnungen ist überall dort hoch, wo bezahlbarer Wohnraum knapp ist. Dies betrifft sowohl Großstädte und deren Umkreis, aber mitunter auch ländliche Gebiete."

Weniger Sozialwohnungen

Selbst in Städten wie Rosenheim sind sowohl Kaufpreise für Eigentumswohnungen als auch die Mieten hoch, genauso in Augsburg oder in Ballungsräumen, wo es Industrie – und damit Zuzug – gibt. Doch der Bestand an Sozialwohnungen geht in Bayern sogar zurück – immerhin, betont das Ministerium, konnte in den vergangenen fünf Jahren der "Rückgang deutlich gebremst werden". 133.000 Sozialwohnungen gibt es bayernweit.

Die Hälfte des Lohns für die Miete

Eine Frau, die vor einem Jahr den Sprung aus der Wohnungslosenhilfe herausgeschafft hat, ist Susi. Auch sie will ihren echten Namen nicht nennen. Sie verließ ihren gewalttätigen Ehemann, fand 2019 eine Vollzeitstelle im Casino – aber sie lebte ein weiteres Jahr in einer Münchner Obdachlosenunterkunft, weil sie keine Wohnung fand.

Ihr Sohn stand als Bürge zur Verfügung; ihre Unterlagen seien perfekt gewesen, sagt die 60-Jährige. Aber sie habe keine Chance gehabt, eine Wohnung zu finden. "Vielleicht weil mein Lohn nicht so hoch war", sagt Susi. Rund 1.600 Euro netto verdient sie im Casino. Erst durch die Vermittlung ihrer Chefin fand sie ein kleines Apartment in München, das sie sich gerade so leisten kann. 50 Prozent ihres Nettogehalts gehen jetzt für die Miete drauf.

Gefahr für die Demokratie?

Ein Mann, der sich mit der angespannten Mietsituation in Bayern bestens auskennt, ist Jörn Scheuermann, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Wohnungsnotfallhilfe München und Oberbayern. Er koordiniert die Wohnungslosenangebote aller Einrichtungen in Südbayern und berät die Politik.

Seit der Finanzkrise vor gut zehn Jahren hätten Finanzinvestoren "den deutschen Immobilienmarkt, deutsches Betongold als absolut sichere Wertanlage für sich entdeckt. Das spült viel Geld auf den Markt". Damit würden Großstädte und Ballungsräume zu teuer für Menschen im Niedriglohnsektor. "Das ist eine Situation, wo ich behaupte, dass dort Demokratie beginnt zu bröckeln."

Bundesregierung plant mehr Sozialwohnungen

Aber was ist die Lösung? Eine Mietpreisbremse? Mehr öffentlich geförderte Wohnungen? Das helfe alles ein bisschen, reiche aber nicht aus, meint Wohnungsexperte Scheuermann. Er wünscht sich eine soziale Bodenreform. So könnten überproportionale Gewinne aus Bodenpreissteigerungen abgeschöpft und den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. So stehe es sogar in der bayerischen Verfassung.

Auch die Bundesregierung arbeitet an einer Lösung und verspricht 100.000 neue Sozialwohnungen im Jahr. So steht es im Koalitionsvertrag. Nur ein Bruchteil, rund 40.000, sind im vergangenen Jahr gebaut worden.

  • Zum Artikel: "Deutschland-Plan: So soll Wohnen günstiger werden"

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