"Wohnung gesucht - Weil Papa oft böse zu Mama ist" - Plakative Aktion in München zum Tag gegen Gewalt an Frauen.
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"Wohnung gesucht - Weil Papa oft böse zu Mama ist" - Plakative Aktion in München zum Tag gegen Gewalt an Frauen.

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"Aktion Karla" - Abrisszettel in München sorgen für Aufsehen

Häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder kommt leider noch immer viel zu häufig vor. Und oft passiert das im Verborgenen. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, haben sich zwei Münchnerinnen eine provokative Aushangaktion einfallen lassen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Direkt am Stachus hängt an einer Mauer ein Zettel: Gut leserliche Überschrift mit vielen Ausrufezeichen, darunter ein kurzer Text, ganz unten Abriss-Streifen. Nichts Außergewöhnliches, sieht man in der Stadt ja an jeder Straßenlaterne.

Bei näherem Betrachten fällt dann aber doch etwas auf. "!!!Frau entlaufen!!!" steht da ganz groß drauf. Frau? Darunter dann weitere Details: "Am letzten Dienstag zwischen 21 und 23 Uhr. Sie hat die Kinder mitgenommen 3 und 7 Jahre. Wer hat sie gesehen?"

Ein paar Meter weiter in der Fußgängerzone klebt ein weiteres Plakat an einem Baum. Dort sucht eine junge Auszubildende ein günstiges Zimmer zur Untermiete, aber "ohne sexuelle Übergriffe!".

"!!!Frau entlaufen!!!" - Provokative Zettel sollen ins Auge stechen

Desirée Kudla und Amelie Nippold arbeiten im Frauenobdach "Karla 51" in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes. Seit ein paar Tagen sind sie aber viel draußen unterwegs, denn hinter der plakativen Aktion stecken die beiden Sozialarbeiterinnen.

"Wir haben die Aktion so gestaltet, dass wir ein Bewusstsein schaffen wollen für das Thema 'Gewalt an Frauen' und zwischen dem Zusammenhang von Gewalt an Frauen und Wohnungslosigkeit", sagt Desirée Kudla, während sie ein weiteres Plakat an eine Laterne anklebt. Mit ihrer Kollegin wollte sie die Münchner Aktionswochen gegen Gewalt an Frauen und Kindern mit einer Kampagne begleiten, an der man - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht so leicht vorbeikommt.

Die Idee dahinter: Die provokativen Angebots- oder Gesuchszettel sollen sofort ins Auge stechen und dadurch zum Nachdenken anregen. Denn Gewalt gegen Frauen und Kinder spielt sich noch immer viel zu oft im Verborgenen ab, das erlebt auch Amelie Nippold tagtäglich in ihrer Arbeit im Frauenobdach.

"Dass es partnerschaftliche Gewalt gibt, ist bekannt, dass die nicht so selten ist, ist auch bekannt – aber es ist zu wenig sichtbar. Es heißt ja so schön 'häusliche Gewalt' - das ist im Haus weggesperrt, das sieht niemand von außen." Amelie Nippold, Sozialarbeiterin im Frauenobdach "Karla 51"
  • Zum Artikel: "Gewalt gegen Frauen - Das ist die Lage in Bayern"
Die beiden Initiatorinnen der "Aktion Karla": Die Sozialarbeiterinnen Amelie Nippold (li.) und Desirée Kudla (r.).
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Die beiden Initiatorinnen der "Aktion Karla": Die Sozialarbeiterinnen Amelie Nippold (li.) und Desirée Kudla (r.).

Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten

Dass ein breites Publikum mit diesem Thema konfrontiert werde, sei wichtig, sagen die beiden Sozialarbeiterinnen. Denn: Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Das ist kein spezifisches Problem einer bestimmten Gruppe.

Schon wenige Sekunden, nachdem die Abrisszettel in der Münchner Fußgängerzone aufgehängt worden sind, bleiben die ersten Passanten stehen. "Es ist vielleicht nicht mal schlecht, dass da der eine oder andere zum Nachdenken kommt. So geht’s ja mir auch gerade", sagt zum Beispiel ein Mann, nachdem er sich aufmerksam drei verschiedene "Angebote" und "Gesuche" durchgelesen hat.

Eine junge Frau zeigt sich erst irritiert, erkennt aber dann beim genaueren Hinsehen die Kampagne dahinter und findet es gut, dass auf diese Weise Aufmerksamkeit generiert wird.

600 Plakate mit zehn verschiedenen Motiven

Über 600 Plakate mit zehn verschiedenen Motiven haben Desirée Kudla und Amelie Nippold in den letzten Tagen in der Münchner Innenstadt aufgehängt. Unten bei den Abrissstreifen gibt es einen Link zu ihrer Homepage. Dort kommen Betroffene zu Wort, außerdem gibt es Informationen über mögliche Anlaufstellen und Hilfsangebote.

Frauenobdach - Keine so hohen Aufnahmehürden wie Frauenhäuser

Am Nachmittag geht's dann wieder zurück an ihren Arbeitsplatz im "Karla 51", dem Frauenobdach in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Dort wartet eine Menge Arbeit, denn von den 55 Einzelzimmern für schutzbedürftige Frauen ist heute nur noch ein einziges frei. Und auch das kann sich jede Minute ändern.

Desirée Kudla zeigt uns das letzte freie Zimmer. Das Bett in dem kleinen Raum ist bereits frisch bezogen, im Bad hängen Handtücher. Dennoch: Wie ein gemütliches Hotelzimmer sieht es hier nicht aus, die Regale sind leer und die Wände kahl.

Die Sozialarbeiterin legt noch Zahnpasta und Zahnbürste, eine Creme, Seife und Shampoo auf einen kleinen Tisch neben dem Bett. Sollte heute noch eine Frau in Not einen Zufluchtsort brauchen, ist zumindest das Nötigste da.

"Im Gegensatz zu Frauenhäusern, die geschützt sind, wo man die Adresse nicht findet, können wir eben auch Frauen aufnehmen, die nicht nur von physischer oder sexueller Gewalt betroffen sind." Desirée Kudla, Sozialarbeiterin im "Karla 51"

Frauenhäuser haben teilweise hohe Hürden und nehmen Frauen oft nur nach einer körperlichen Gewalterfahrung auf. Ein Frauenobdach bietet jedoch auch bei psychischer Gewalt oder Obdachlosigkeit Schutz. Ohne Anmeldung, ohne Namensnennung und ohne dass die Frauen genau begründen müssen, warum sie gekommen sind. Im "Karla 51" gibt es sogar einen Notfallraum, der 24 Stunden am Tag geöffnet ist und im Gegensatz zu den versteckten Frauenhäusern steht die Adresse des Frauenobdachs für alle leicht auffindbar im Internet.

Das "Karla 51" ist auch ein Begegnungsort für Frauen

Es gibt aber noch eine weitere Besonderheit im "Karla 51": Auch Frauen und Kinder von außerhalb können kommen. In der "Caféküche" gibt es Frühstück oder ein warmes Essen für nur 70 Cent. Waschmaschinen und Duschen stehen für alle zur Verfügung und einmal in der Woche werden gespendete Kleider ausgegeben.

Dass diese Hilfsangebote offen und leicht zugänglich sind, ist besonders bei Frauen wichtig, erklärt Isabel Schmidhuber, die Leiterin des "Karla 51".

"Frauen wollen sehr viel länger den Anschein aufrechterhalten, dass sie nicht wohnungslos sind. Man erkennt die wohnungslosen Frauen im Stadtbild bei uns in München so gut wie nicht." Isabel Schmidhuber, Leiterin des Frauenobdachs "Karla 51"

Die Tür ist offen - Rund um die Uhr und an jedem Tag im Jahr

Gerade deshalb bietet das "Karla 51" unkompliziert Schutz für Frauen und Kinder. 100 Mitarbeiterinnen sorgen dafür, dass die Tür für sie immer offen ist. Rund um die Uhr und an jedem Tag im Jahr.

Desirée Kudla und Amelie Nippold machen mit ihrer Aushangaktion nicht nur darauf aufmerksam, dass für viele Frauen und Kinder ein Ort ohne Gewalt keine Selbstverständlichkeit ist. Die beiden Sozialarbeiterinnen wollen damit auch Betroffene ermutigen, sich Hilfe zu suchen und aus einer gewalttätigen Beziehung auszubrechen.

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