Der iranische Präsident Ebrahim Raisi (2.v.r.) nimmt an der Parade zum Tag der Armee auf einem Militärstützpunkt im Norden Teherans teil.
Bildrechte: Majid Asgaripour/WANA (West Asia News Agency) via REUTERS

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi (2.v.r.) nimmt an der Parade zum Tag der Armee auf einem Militärstützpunkt im Norden Teherans teil.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Nach dem Angriff auf Israel: Wie stark ist Teherans Militär?

Israels Regierung und Militärführung haben angekündigt, dass der iranische Drohnen- und Raketenangriff vom Wochenende nicht unbeantwortet bleiben werde. Eine der Abwägungen dabei lautet: Wie stark ist das iranische Militär?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Es gebe einen Grund, warum der Iran bislang nicht angegriffen worden sei, wie der amerikanische Sicherheitsexperte und Kenner des iranischen Militärs Afshon Ostovar am Vortag des iranischen Angriffs auf Israel von der "New York Times" zitiert wird. Zwar fürchteten die Gegner des Iran den Iran nicht. "Vielmehr ist ihnen klar, dass jeder Krieg gegen den Iran ein sehr gefährlicher Krieg ist." Diese zutreffende Einschätzung basiert auf den umfangreichen militärischen Fähigkeiten, die sich das iranische Regime seit dessen gewaltsamer Machtübernahme 1979 über Jahrzehnte hinweg angeeignet hat.

Irans Streitkräfte und Revolutionsgarden

Die iranischen Streitkräfte gehören nach Angaben des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) zu den größten im Nahen Osten. Die Truppenstärke wird, Stand 2023, mit mindestens 580.000 Soldaten im aktiven Dienst und rund 200.000 Reservisten angegeben. Die Streitkräfte sowie die Revolutionsgarden verfügen über voneinander getrennte Teilstreitkräfte, also jeweils über Bodentruppen, Luftwaffe und Marine. Innerhalb der Revolutionsgarden, die nach dem Sturz des Shahs 1979 von Ayatollah Khomeini zur originären Abwehr jeglicher Umsturzversuche gegründet wurden, sind die sogenannten "Al Quds Brigaden" für die "Auslandsaktivitäten" des Regimes verantwortlich.

Das heißt: Die Al Quds Brigaden betreiben die Bewaffnung, Ausbildung und Unterstützung der pro-iranischen Stellvertreter-Milizen im Libanon, in Syrien, Irak, Jemen und den palästinensischen Gebieten. Seit Jahrzehnten treibt die iranische Führung die Produktion von Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen voran, von Drohnen und einer großen Flotte von Schnellbooten und einigen U-Booten. Das Waffenarsenal an ballistischen Raketen und Drohnen gehört zu den umfangreichsten in der Region.

Die Rüstungsexporte gehen unter anderem nach Russland, um Putins Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Umgekehrt, so die gestern veröffentlichte Recherche der "Washington Post", könnte Russland dem Iran hochleistungsfähige Luftabwehr-Systeme liefern. Damit könnte sich der Iran vor möglichen israelischen Luftangriffen wirksam schützen. Die Rüstungszusammenarbeit zwischen Moskau und Teheran würde die militärischen Fähigkeiten beider Länder stärken, so das Fazit der "Washington Post".

Wie sieht die Risikoabschätzung aus?

In einer ersten Analyse der entscheidenden Frage, ob der "iranisch-israelische Konflikt nach den Luftangriffen Teherans zum Stillstand gekommen" ist, bilanziert das renommierte Internationale Institut für Strategische Studien: Israel scheine bereit zu sein, Vergeltung zu üben, auch wenn es dabei auf heftigen Widerstand aus Washington stoßen würde. Die israelische Luftabwehr sei durch amerikanische, britische, französische und arabische Fähigkeiten ergänzt worden und habe nahezu alle ankommenden Geschosse zerstört. In der IISS-Analyse, die gestern veröffentlicht worden ist, heißt es wörtlich weiter: "Dies zeigt, dass Israel in diesem Mehrfrontenkonflikt weiterhin auf externe Unterstützung angewiesen ist."

Die Länder, die Israel unterstützt hätten, seien jedoch weiterhin vorsichtig, was die Risikobereitschaft des Landes angehe. Washington sei gegen eine Ausweitung des Konflikts und dränge Israel, den Erfolg zu verkünden und weiterzumachen. In Israel würde allerdings eine Reaktion von "noch nie dagewesenem Ausmaß" erwogen. Der Iran werde als schwach und abgeschreckt betrachtet. Es werde befürchtet, dass der Iran eine "neue Eskalationsschwelle" gesetzt habe, indem er Israel direkt und nicht über Stellvertreter angreife. "Ein Angriff auf iranische Kommando-, Militär- oder Nukleareinrichtungen würde allerdings den Iran dazu zwingen, seine Zurückhaltung aufzugeben."

Irans "Achse des Widerstands"

Innerhalb der vergangenen vier Jahrzehnte hat die iranische Führung eine Phalanx von sogenannten "Stellvertreter-Milizen" in all denjenigen Staaten aufgebaut, die an Israel angrenzen oder in geografischer Nähe zu Israel liegen. Die Absicht: Das Regime in Teheran konnte somit seinen "Erzfeind Israel" von Ferne aus bedrohen und angreifen, ohne direkt und unmittelbar in einen militärischen Konflikt mit Israel hineingezogen zu werden. Zur wichtigsten Stellvertreter-Miliz des Iran gehören die pro-iranischen Hisbollah-Milizen im Libanon.

Sie sollen über rund 30.000 Soldaten und ein Waffenarsenal von 135.000 bis 150.000 Raketen verfügen, so die Schätzungen der US-Militärs. Sie zählen zu den kampfstärksten Einheiten, die der Iran an Israels Nordgrenze aufgebaut hat. In Syrien können die iranischen Revolutionsgarden mit offener Unterstützung des syrischen Diktators Assad agieren. Der Iran hat Assad, zusammen mit Russland, bei der brutalen Niederschlagung der Protestbewegung uneingeschränkt unterstützt. Über die irakisch-syrische Grenze verläuft eine der wichtigsten Nachschublieferungen des Iran für die Hisbollah. Seit Jahren bombardiert Israels Luftwaffe Waffentransporte entlang dieser Lieferrouten, um die Weitergabe von leistungsfähigen iranischen Waffensystemen zu verhindern.

Im Irak hat der Iran seit dem US-angeführten Krieg von 2003 weitreichenden Einfluss und mindestens vier schlagkräftige Schiiten-Milizen aufgebaut, die für Angriffe auf US-Einrichtungen im Irak eingesetzt wurden.

Im Jemen konnten die Huthi-Milizen ab 2014 mit iranischer Unterstützung die Oberhand im Bürgerkrieg gewinnen. Sie sollen inzwischen bis zu 80 Prozent des Staatsgebiets kontrollieren. Der Iran unterstützt die Huthis in erster Linie mit Waffen und militärischer Ausbildung. Die Anzahl ihrer Bewaffneten wird sehr unterschiedlich eingeschätzt und reicht von rund 20.000 Mann bis zu 200.000. Mit ihren Luftangriffen auf den Schiffsverkehr im Roten Meer sowie auf Ziele im Süden Israels zählen die Huthis zur Südflanke der sogenannten "Achse des Widerstands".

Und schließlich werden die beiden islamistischen Extremistengruppierungen Hamas und Islamischer Djhad seit langem finanziell und militärisch unterstützt. Das US-Außenministerium bezifferte bereits 2020 den Finanztransfer mit bis zu 100 Millionen Dollar pro Jahr.

Israels größte Sorge: Das iranische Nuklearprogramm

Israels vorrangiges Interesse bestehe darin, dem Iran "Atomwaffen vorzuenthalten", wie der israelische Ex-General und frühere nationale Sicherheitsberater Giora Eiland die jahrelange Grundüberzeugung der israelischen Regierung und Armee wiedergibt. Derzeit scheine der Iran "zuversichtlich auf das Erreichen dieses gefährlichen Ziels zuzusteuern", schreibt Eiland in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung "Yedioth Achronoth".

Der iranische Angriff vom Wochenende beweise, wie "gefährlich ein mit Atomwaffen ausgestatteter Iran nicht nur für Israel wäre." Von einem Militärschlag gegen die iranischen Nukleareinrichtungen, die sich seit langem in schwer gesicherten unterirdischen Anlagen befinden, dürfte Israel allerdings absehen. Zu eindeutig hat US-Präsident Joe Biden dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu signalisiert, dass Washington einen derartigen Schritt komplett ablehnen und Israel dabei nicht unterstützen würde.

Daher dürfte Israel, so vermutet Ex-General Eiland, jetzt die "Gelegenheit nutzen, den internationalen Druck auf den Iran zu erhöhen", also auf weitere Sanktionen gegen Teheran bestehen sowie auf eine "glaubwürdige militärische Drohung". Dies wäre die richtige Vorgehensweise, "dass Israel seinen berechtigten Wunsch, den Iran anzugreifen, gegen die Zusage des Westens eintauscht, in dieser Angelegenheit zu handeln."

Im Audio: USA und EU kündigen neue Sanktionen gegen den Iran an

ARCHIV (11.04.2024): Nationaler US-Sicherheitsberater Jake Sullivan bei einer Pressekonferenz
Bildrechte: picture alliance / abaca | Pool/ABACA
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Nationaler US-Sicherheitsberater Jake Sullivan

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!