Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen
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Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen kann die Argumentation des Kanzlers nicht nachvollziehen

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Kritik nach Österreichs Nein zu Rumäniens Schengen-Beitritt

Österreichs Bundeskanzler Nehammer hat mit seinem Nein zur Aufnahme von Rumänien in den Schengen-Raum viel außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Es hagelt Kritik von allen Seiten, im eigenen Land auch vom Staatsoberhaupt.

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Nein, mit den schlechten Umfragewerten für seine regierende ÖVP und den bevorstehenden Landtagswahlen 2023 habe die Entscheidung nichts zu tun, beteuert Karl Nehammer, seit einem Jahr Parteichef und Bundeskanzler. Es sei eine "absurde Unterstellung" zu behaupten, so Nehammer am Sonntag in der ORF-Pressestunde, dass er mit Blick auf die Wahlen Ende Januar in Niederösterreich die Aufnahme des EU-Mitgliedslandes Rumänien in den Schengen-Raum verweigert habe. Seit Wochen und Monaten liegt Nehammers Volkspartei bei der Sonntagsfrage abgeschlagen auf Platz 3. Die rechtspopulistische FPÖ liefert sich mit den Sozialdemokraten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In einer jüngsten Umfrage der Tageszeitung "Der Standard" vom 9. Dezember rangiert die FPÖ bereits auf Platz 1.

Nein, so baute Nehammer bereits am Samstag in einer schriftlichen Erklärung vor, es gehe um eine "Frage der Sicherheit für Österreich", denn: "Solange 75.000 Fremde unregistriert im Osten Österreichs ankommen, ist das ein Sicherheitsproblem, und das muss endlich gelöst werden."

Bundespräsident schaltet sich ein

Nicht nachvollziehbar, kanzelte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, vormals Parteichef der Grünen, den ÖVP-Regierungschef und seinen Innenminister Gerhard Karner ab. Das Eine habe mit dem Anderen nichts zu tun. Die Verbindung zwischen der Zunahme von Flüchtlingen und Migration in Österreich und dem Veto gegen Rumäniens und Bulgariens Schengen-Beitritt, "die sehe ich nicht", stellte der Bundespräsident klar.

Er sehe nur, "dass wir uns eine Menge Unwillen zugezogen haben auf europäischer Ebene". Nur die Niederlande hatten mit Österreich die Aufnahme Bulgariens abgelehnt, im Fall von Rumänien kam das Nein allein aus Wien.

Botschafter aus Wien abberufen

In den betroffenen beiden EU-Mitgliedsländern – seit 2007 in der Europäischen Union – löste das österreichische Veto große Enttäuschung aus. Umso mehr, weil auf derselben EU-Innenministerkonferenz vergangene Woche Kroatien – seit 2013 EU-Mitglied – grünes Licht erhielt, ab Jahresbeginn in den Schengen-Raum aufgenommen zu werden.

Noch am selben Abend bestellte das rumänische Außenministerium die österreichische Botschafterin ein. Tags darauf berief Bukarest den eigenen Botschafter aus Wien ab, zu Konsultationen in der Heimat – unter befreundeten EU-Staaten das diplomatisch schärfste Mittel, um zu erkennen zu geben, wie verärgert man ist.

Rumänien beklagt abrupten Kurswechsel

Noch deutlicher wurde der rumänische Innenminister Lucian Bode heute in einem offenen Schreiben an seinen ÖVP-Amtskollegen Karner: Noch Mitte November habe Österreich auf einer Konferenz in Bukarest klar zugesichert, dass Wien keine Einwände erheben würde. Zuvor habe Karner in bilateralen Gesprächen den Schengen-Beitritt Rumäniens befürwortet.

Kurz darauf habe Österreichs Innenminister den Kurs abrupt gewechselt. Niemand in Rumänien könne daher nachvollziehen, was den plötzlichen Sinneswandel Wiens ausgelöst habe, so Innenminister Bode. Politspielchen dieser Art seien "eines Landes mit einer gefestigten Demokratie und einer so reichen politischen Tradition wie jene Österreichs unwürdig".

Schaden für Österreichs Wirtschaft

Österreichs Wirtschaft kann das Nein zum Schengen-Beitritt Rumäniens kaum glauben: Österreich sei mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro der zweitgrößte Investor in Rumänien. Österreichs Banken, Versicherungen, Energie und Stahl seien stark vertreten, so Harald Oberhofer vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Sollte die Bundesregierung auf längere Zeit beim Nein bleiben, könne es Österreich teuer werden, wie die "Wiener Zeitung" den Wissenschaftler zitiert.

Von der EU-Osterweiterung habe Österreich am stärksten profitiert. Gabriel Felbermayr, Chef des Wifo, wies auf Twitter darauf hin, dass Schengen Handel und Dienstleistungen erleichtere. "Die positiven Effekte für Österreich sind messbar und groß (2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Das mache pro Kopf der Bevölkerung im Jahr 1.000 Euro aus, so Felbermayr. "Staus an den Binnengrenzen sind teuer und sinnlos."

Banker schütteln den Kopf

Die Vorstandschefs der beiden großen österreichischen Banken, Erste Bank und Raiffeisen, setzen auf eine rasche Lösung der Polit-Blockade. Mit einem deutlichen Kopfschütteln in Richtung des Bundeskanzlers schreibt die Raiffeisenbank: "Wir sind aber zuversichtlich, dass es den beteiligten Akteuren rasch gelingen wird, offene Fragen vertrauensvoll, faktenbasiert und ergebnisorientiert zu klären."

Österreichs Außenminister: "Das war kein Veto"

Die außenpolitische Schadensbegrenzung läuft seit dem österreichischen Nein zur Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens auf Hochtouren: "Wir sind nicht ein Staat, der blockiert und Veto einlegt", argumentiert Österreichs Chefdiplomat Alexander Schallenberg seitdem. Es habe sich nicht um ein Veto gehandelt, vielmehr um einen "Hilferuf".

Österreich sei bei Migrationsfragen "immer gleich ein Frontstaat". Insofern sei auch die Haltung Österreichs nicht gegen die beiden EU-Partnerländer gerichtet. Und Schallenbergs Außenministerium betont in einer schriftlichen Erklärung weiter: Es handele sich dabei "um kein definitives Nein Österreichs zur Schengen-Erweiterung". Wien wolle weiterhin mit Bukarest und Sofia "im Gespräch bleiben".

Koalitionspartner kalt erwischt

Vom außenpolitischen Alleingang der ÖVP wurde der grüne Koalitionspartner kalt erwischt: Das sei eine Entscheidung der Volkspartei gewesen, nicht der Regierung. Die grüne Justizministerin Alma Zadić: "Bulgarien und Rumänien gehören zur europäischen Familie dazu, und innerhalb der europäischen Familie ist die Freizügigkeit großgeschrieben." Die grüne Regierungsfraktion lehne das Veto ab.

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