Krankenhaus-Mordserie

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Krankenpfleger Niels H. wegen 97 weiterer Morde angeklagt

Wegen sechs Morden sitzt der Krankenpfleger Niels H. bereits in Haft. Jetzt hat ihn die Staatsanwaltschaft Oldenburg wegen weiterer 97 Morde angeklagt. Mord aus Langeweile und Geltungssucht, lautet der Vorwurf. Von Roana Brogsitter

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Jeden Tag sterben in deutschen Krankenhäusern Menschen. Dass jemand ausgerechnet hier dabei tatkräftig nachgeholfen haben soll, das mag man sich gar nicht vorstellen. Doch genau das ist geschehen, möglicherweise mehr als 100 Mal. Es ist wohl die größte Mordserie in der deutschen Kriminalgeschichte.

Wie die Staatsanwaltschaft Oldenburg heute bekannt gab, hat sie den Krankenpfleger Niels H. jetzt wegen weiterer 97 Morde angeklagt. In den Jahren 2008 und 2015 war der heute 41-Jährige bereits zu lebenslanger Haft wegen Mordes in sechs Fällen verurteilt worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass er darüber hinaus zwischen 1999 und 2005 am Klinikum Delmenhorst 62 und am Klinikum Oldenburg 35 Patienten getötet hat, bevor er erwischt wurde.

Aus Langeweile und Geltungssucht

Die Motive von Niels H. waren laut Anklage mutmaßlich Langeweile und Geltungssucht. Der Pfleger, der sich als Held fühlen wollte, hätte den Tod der Patienten zumindest billigend in Kauf genommen, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft. Er soll schwer Kranken eigenmächtig Medikamente verabreicht haben, die lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und Herzflimmern auslösen.

"Dies tat er, um seine Fähigkeiten im Bereich der Reanimation gegenüber Kollegen und Vorgesetzten präsentieren zu können und um seine Langeweile zu bekämpfen." Martin Koziolek, Oberstaatsanwalt

Die Ermittler hatten 134 Leichen exhumieren und toxikologisch auf Medikamentenrückstände untersuchen lassen. Bei 97 sind sie sich sicher, dass Niels H. nachgeholfen hat, in drei weiteren Fällen könnten die Rückstände auch von durch Ärzte verordnete Medikamente herrühren.

130 weitere Verdachtsfälle konnten nicht weiter verfolgt werden, da die Verstorbenen im Rahmen einer Feuerbestattung beigesetzt worden waren. Drei mögliche Opfer wurden in der Türkei bestattet und konnten noch nicht untersucht werden.

Mammutprozess

Jetzt muss das Landgericht Oldenburg entscheiden, ob es zu einem neuen Prozess gegen Niels H. kommt. Angesichts der hohen Zahl an Opfern und damit an Nebenklägern und deren Vertretern könnte das Verfahren zu einer logistischen Herausforderung werden und die Kapazitäten eines Landgerichts sprengen. Möglicherweise muss der Prozess deshalb in einer anderen Stadt stattfinden.

Aufgeflogen war Niels H. 2005, als ihn eine Krankenschwester auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst auf frischer Tat ertappte. Er wurde daraufhin 2008 rechtskräftig verurteilt. Bereits damals gab es schon Hinweise, dass der Pfleger viel mehr Menschen auf dem Gewissen hat. Der Hartnäckigkeit von Angehörigen ist es zu verdanken, dass er in einem zweiten Prozess in fünf weiteren Fällen schuldig gesprochen wurde. In diesem Verfahren zeigte sich dann, dass die Zahl der Opfer vermutlich noch weit höher lag. Eine Sonderkommission der Polizei rollte den Fall deshalb neu auf.

Wurde einfach weggeschaut?

Geklärt werden muss auch noch, inwieweit die Klinikleitungen mitverantwortlich gemacht werden können. In beiden Kliniken hätte es frühzeitig Hinweise gegeben, die polizeiliche Ermittlungen gerechtfertigt hätten. Laut der Staatsanwaltschaft dauern die Ermittlungen gegen damals verantwortliche Mitarbeitende im Klinikum Oldenburg noch an.