Misteln auf einem Apfelbaum inmitten einer Streuobstwiese
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Misteln auf einem Apfelbaum inmitten einer Streuobstwiese

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Immer mehr Misteln: Gefahr für Streuobstwiesen

Von Germanen und Kelten verehrt, ist die Mistel bis heute als Heilpflanze und Glückbringer geschätzt. Die Pflanze ist jedoch auf dem Vormarsch – und wird für Obstbäume zur Gefahr, vor allem für alte Bäume auf Streuobstwiesen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Geheimnisvoll, bewundert und verehrt seit Jahrtausenden: Um kaum eine andere Pflanze ranken sich so viele Legenden und Mythen wie um die Mistel. Ins Auge sticht sie vor allem ab Herbst, wenn die Laubbäume ihre Blätter abwerfen. In den kahlen Baumwipfeln sind dann kugelige Gewächse zu sehen, die großen Vogelnestern ähneln.

Einst "Zeichen der Götter"

Den Griechen, Kelten und Germanen galt die Mistel als Zeichen der Götter, wächst sie doch gewissermaßen zwischen Himmel und Erde. Weiß gekleidete keltische Druiden stiegen hoch in die Baumkronen und schnitten die Misteln mit einer goldenen Sichel – berichtet schon der römische Gelehrte Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte. Glaubt man Plinius, war die Mistel damals wohl eher selten zu finden. Davon kann heute jedoch keine Rede mehr sein.

Auf dem Vormarsch

In ganz Deutschland verbreitet sie sich immer mehr, auf Kiefern, Tannen und Laubhölzern – und wird dabei vor allem für Obstbäume zur Gefahr, berichtet Franziska Wenger, Streuobst-Expertin beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). Sie sorgt sich vor allem um die wertvollen Streuobstwiesen: "Die Mistel ist ein Halbschmarotzer. Das bedeutet, dass sie ihrem Wirtsbaum Wasser und Nährstoffe entzieht, aber gleichzeitig selber noch Photosynthese betreibt." Für einen gesunden Baum stelle das kein Problem dar, so Wenger: "Wenn der Baum aber selbst beispielsweise durch Trockenheit gestresst ist oder durch fehlende Pflege, dann kann die Mistel zum Problem werden, weil sie einfach einen zusätzlichen Stressfaktor für den Baum darstellt und ihm zusätzlich Wasser und Nährstoffe entzieht."

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Laubholz-Mistel an einem Apfelbaum: Typisch sind die gelbgrünen, lanzettlichen, ledrigen Blätter und die beerenartigen weißen Früchte

Oft überaltert und schlecht gepflegt

Ein von der Mistel besiedelter und sozusagen "angezapfter" Baum stirbt für gewöhnlich nicht ab. Das wäre schließlich auch nicht im Sinne der Mistel, die dann mit dem Wirtsbaum sterben würde. Das gilt aber eben nicht immer, sagt Franziska Wenger. "Auf Streuobstwiesen im Besonderen ist es so, dass viele unserer Streuobstwiesen überaltert sind. Also die Bäume sind alt und schlecht gepflegt. Das heißt, sie sind schon in einem eher schlechten Zustand. Und wenn dann zusätzlich ein starker Mistel-Befall dazukommt, kann das zu einem Absterben der Bäume führen."

Bild der Gegensätze

Einen solchen Befall findet man in Freutsmoos, einem Gemeindeteil von Palling im Landkreis Traunstein. Direkt an der Hauptstraße stehen alte Obstbäume, an die 150 Jahre alt. Die Bäume sind in keinem guten Zustand – und übersät mit Misteln. Einer der Bäume so sehr, dass er fast vollständig grün scheint in der einsetzenden Abenddämmerung. Nur wenige Meter entfernt eine Streuobstwiese, etwa 2000 Quadratmeter groß. Sie gehört Klaus Obermaier, der sie pflegt – in vierter Generation. Die Bäume sind entsprechend alt, zwischen 150 und 200 Jahre: neben Apfelbäumen auch Kirschbäume und ein großer Nussbaum, darunter Sorten, die heute niemand mehr kennt.

Misteln schon im Ansatz entfernen

Die Misteln tauchen immer häufiger auf, beobachtet auch Klaus Obermaier. Seine alten Bäume sucht er deshalb zweimal im Jahr sorgfältig ab - um die Misteln zu entfernen, wenn sie noch ganz klein sind. Ein besonders gutes Auge brauche es dafür nicht, meint Klaus Obermaier: "Im Prinzip nicht – wenn man weiß, wie die Misteln ausschauen. Das sind kleine Pflänzchen, die am Stamm beginnen oder an den Ästen und den Verzweigungen." Die Misteln tauchen bei ihm immer wieder auf, werden aber jedes Mal aufs Neue entfernt.

Bildrechte: wissenmedia aus: Brockhaus Enzyklopädie Online, Mistel. http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/mistel (aufgerufen am 2022-12-22), NE GmbH | Brockhaus
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Die Mistel ist eine Halbschmarotzerpflanze an Laub- und Nadelhölzern. Sie keimt unmittelbar auf dem Ast des Wirtsbaums.

"Profiteur des Klimawandels"

Die Mistel sei ein Profiteur des Klimawandels, sagt Streuobstexpertin Franziska Wenger. Sie wandere immer mehr nach Norden und auch in höhere Lagen. An Obstbäumen solle man Misteln genau so entfernen, wie Klaus Obermaier es auf seiner Wiese macht, empfiehlt sie: "Dabei sollte man so vorgehen, dass man die Mistel komplett entfernt, also abschneidet und nicht abreißt. Ein Abreißen kann zu einer Verletzung des Baumes führen und schädigt ihn dann zusätzlich. Und beim Abschneiden sollte man darauf achten, möglichst tief in das gesunde Holz zurückzuschneiden, sodass sich die Mistel nicht weiter ausbreiten kann."

Halbschmarotzer und Heilpflanze

Die Mistel, der Halbschmarotzer, ist natürlich nicht nur ein "Schädling", sondern auch eine seit Jahrtausenden geschätzte Heilpflanze, die in der Volksheilkunde schon gegen so manches Leiden eingesetzt wurde und immer noch wird, weiß Kräuterpädagogin Andrea Illguth aus Grabenstätt: "Bei Epilepsie sogar früher, dann bei Blutungen, Schwindel, zur Gedächtnissteigerung." Die Mistel stehe zudem im Ruf, eine krampflösende Wirkung zu haben und werde auch bei Asthma angewandt, so Andrea Illguth: "Und früher kam sie auch oft nach Geburten zum Einsatz. Dass man wieder schneller auf die Beine kommt."

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Zweig der Laubholzmistel (Viscum album) mit Beeren

Verwendung in Arzneimitteln

In Arzneimitteln findet die Mistel heute vor allem Verwendung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs, heißt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Gerade der Einsatz bei Krebs aber wird in Fachkreisen kritisch diskutiert. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz) gibt es "bis heute keinen sicheren Beweis für die Wirksamkeit gegen Tumorerkrankungen". Moderne Studien, heißt es beim dkfz, deuteten lediglich an, dass sich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern könne. Hingewiesen wird auch darauf, dass einige Hersteller bei bestimmten Krebsarten, etwa bei Hirntumoren und Hirnmetastasen, Nierenzellkarzinomen, Leukämien und Lymphomen, vor der Anwendung von Mistelpräparaten warnen. Beim Bundesamt für Arzneimittel rät man, den Einsatz solcher Medikamente immer mit einem Arzt abzusprechen.

Nahrung für Vögel

Neben ihrer Nutzung als Heilpflanze, sagt LBV-Streuobstexpertin Franziska Wenger, habe die Mistel schließlich aber, wie jede Pflanze, ihren ganz eigenen Platz im Ökosystem. Das Halbschmarotzer-Dasein sei einfach die Art und Weise, wie die Mistel ihre Nische im Ökosystem gefunden habe. Grundsätzlich gelte: "Bei einem gesunden Baum führt der Befall einer Mistel normalerweise auch nicht dazu, dass der Baum abstirbt." Hoch oben im Geäst der Bäume biete die Mistel dann vor allem im Winter Nahrung für verschiedene Vogelarten.

Verbreitung durch Vögel

Die Vögel sind es dann auch, die der Mistel bei ihrer Verbreitung helfen. Der Samen in den erbsengroßen, weißen Beerenfrüchten ist von einer sehr klebrigen und zähen Masse umgeben. Wenn Vögel die Beeren fressen, müssen sie ständig ihren Schnabel putzen, indem sie den Schleim an den Zweigen des Baumes abstreifen. Dabei bleibt der Samen oft am Holz kleben. Oder er wird vom Vogel gefressen und mit dem Kot ausgeschieden und so verbreitet.

Mitnehmen erlaubt

Misteln von Obstbäumen zu entfernen ist dabei ebenso wenig verboten wie sie auf einem Spaziergang mitzunehmen. Denn sie stehen nicht, wie manchmal geglaubt wird, unter Naturschutz. Wichtig, sagt Kräuterpädagogin Andrea Illguth, sei es aber, behutsam vorzugehen: „Wie immer sollte man beim Sammeln beachten, dass man so sammelt, dass keiner sieht, dass jemand da war. Also man entnimmt einfach achtsam. Ich kenne das ja selbst. Wenn man mal loslegt, dann agiert die Sammelwut. Aber man nimmt halt einfach nur so viel, wie man wirklich braucht. Und das ist im meisten Fall nur ganz wenig. Und wie gesagt, das soll keiner sehen, dass man da war.“

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Gegen einen Mistelzweig ist in England sogar die Polizei machtlos. Und es darf so oft geküsst werden, wie Beeren am Mistelzweig sind.

Wer so sammelt, kann die Mistel also nutzen. Als Heilpflanze, für Tees und Tinkturen, oder als Schmuck – zum Beispiel als weihnachtliche Dekoration. Oder aber, um sich darunter, wie es etwa in England üblich ist, so viele Küsse zu geben, wie Beeren am Mistelzweig sind.

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