Geflüchtete aus Afghanistan während einer Sprechstunde (Archiv- und Symbolbild)
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Geflüchtete aus Afghanistan während einer Sprechstunde (Archiv- und Symbolbild)

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Haushalt 2024: Soziale Projekte fürchten um Existenz

Wegen der Haushaltskrise wissen viele soziale Einrichtungen nicht, ob sie Geld für 2024 bekommen. So sind etwa Opferberater, Bildungsprojekte und Betreuer von Geflüchteten betroffen. Zwar gibt es positive Signale – doch manche bangen weiter.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Es ist ein Morgen, der Antworten liefern könnte. Antworten, auf die Yousra Marouf Yassin seit Wochen wartet. Die Bundesregierung will verkünden, wie der Haushalt 2024 aussehen soll. Marouf Yassin arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in München und betreut Geflüchtete. Doch ob nächstes Jahr noch Geld dafür da ist, weiß sie nicht. "Man ist ein bisschen traurig, weil man investiert sehr, sehr viel Arbeit hier rein", sagt sie. "Man macht sich ständig Gedanken: Wie geht es weiter?"

Ihre Arbeit wird von der Bundesregierung gefördert, und die muss auch wegen des Karlsruher Verfassungsgerichts-Urteils 17 Milliarden Euro einsparen. Viele soziale Einrichtungen warten auf ihr Geld für das kommende Jahr. Opferberatungen, Bildungsprojekte, Betreuer von Geflüchteten wissen nicht, wie es weitergeht. "Ich warte jetzt auf eine klare Antwort", sagt Marouf Yassin. Sie hofft auf eine Entscheidung, die "Sicherheit gibt für unsere Arbeit".

Sozialarbeiter unterstützen zugewanderte Fachkräfte

Von dieser Arbeit profitieren Menschen wie Shams Quamar. Er kommt aus Indien, ist nach Deutschland gezogen und wollte als Sozialarbeiter Geld verdienen. Aber sein Studium wurde nicht anerkannt. "Am Anfang war ich geschockt, dass ich so viel noch einmal lernen sollte", sagt er. Nochmal zu studieren und sich in Deutschlands Bürokratie zurechtfinden, sei nicht einfach gewesen.

"Aber sie hat mich motiviert", betont er und deutet auf Marouf Yassin. Sie hat eine Hochschule für ihn gesucht, bei Anträgen geholfen.  Mittlerweile studiert Quamar im dritten Semester und arbeitet in einem Altenheim. Gerade weil überall Personal fehlt, sollte die Betreuung von Zuwanderern nicht eingeschränkt werden, sagt Marouf Yassin. Die Leute bräuchten Unterstützung, um in den Berufsalltag zu finden.  

Betroffene Vereine sehen Demokratie in Gefahr

Staatlich geförderte Projekte erhalten oft nur für ein Jahr Geld und müssen hoffen, ein Jahr später wieder berücksichtigt zu werden. Wenn der Bundeshaushalt im Dezember noch nicht steht, bewilligt das zuständige Ministerium normalerweise, dass sie vorläufig Geld investieren. Diesmal gibt es eine Ausgabensperre.

Betroffene Vereine schlagen Alarm: Viele hätten nicht die Ressourcen, um etwa Gehälter vorzufinanzieren. Schließungen drohen. Wenn nicht bald Zusagen kommen, sei die Demokratie in Gefahr, meinen einige.

Auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel mahnt im BR-Interview, in vielen wichtigen Bereichen würde sich dann niemand mehr engagieren: "Da steht auf dem Spiel, dass wichtige Initiativen, die dazu beitragen, Flüchtlinge zu integrieren, Demokratie zu fördern, soziale Anliegen zu stabilisieren, nicht mehr gefördert werden."

Bundeskanzler Scholz verkündet Kürzungen  

Am Mittwoch um 12 Uhr tritt die Bundesregierung schließlich vor die Kameras. Ihr Plan: Die Schuldenbremse wird eingehalten. Das bedeute auch Kürzungen, betont Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er sagt allerdings nicht, ob soziale Projekte, wie das von AWO-Mitarbeiterin Marouf Yassin, davon betroffen sind. Welches Beratungsangebot schließen, welches Bildungsprojekt womöglich eingestellt werden muss, ist damit weiter offen.  

Demokratie-Unterricht für Grundschüler gefährdet?

Auch an der Grundschule Karlsfeld ist man auf die Zuschüsse angewiesen. Hier hat die Klasse 1E am Mittwochnachmittag Demokratie-Unterricht. 22 Kinder sitzen im Kreis, blicken gebannt in die Mitte. Dort liegen Zettel mit Namen. Sie sollen ihren eigenen finden. Auf Kommando krabbeln sie los, wuseln wild durcheinander, suchen. Nach eineinhalb Minuten sind sie fertig. "Wollen wir mal schauen, ob das nicht schneller geht", sagt ihre Lehrerin und fordert sie auf, zusammenzuarbeiten. Beim zweiten Mal sprechen die Kinder miteinander, und es geht tatsächlich zügiger.

Selbstwirksamkeit, Sozialverhalten, Toleranz – das sollen die Erstklässler hier lernen. Lehrerin Sabrina Werner vom Kreisjugendring erklärt, warum: "Wenn man sich anschaut, wie die Entwicklungen gerade sind" – etwa was Rassismus und Antisemitismus betreffe – "ist es einfach von vornherein wichtig, den Kindern eine vielfältige, offene Gesellschaft näherzubringen."

Der Demokratie-Unterricht gehört zu einem Modellprojekt. Werners Arbeitsstelle wird zur Hälfte von der Bundesregierung finanziert. Dass diese für kommendes Jahr noch nichts zugesagt habe, sei für die Grundschule Karlsfeld ein Problem, sagt Schulleiterin Barbara Sparr: "Das ist für uns ein Schlag ins Gesicht. Wir sind im dritten Jahr, in dem wir jetzt die Struktur aufgebaut haben. Und möglicherweise fällt es jetzt komplett weg."

Bundesregierung muss wegen Schuldenbremse sparen

Aber die Bundesregierung will keine neuen Schulden machen und muss deshalb sparen. Und ob Grundschüler das Fach "Demokratie" wirklich brauchten, könne man hinterfragen, sagt Politologe Schroeder: "Bei so einer Fülle von Projekten, die in solchen Haushalten gefördert werden, sind sicherlich auch eine ganze Reihe dabei, wo man sagen kann: Ist das wirklich notwendig?" Grundschullehrer wüssten auch, dass sie Demokratie vermitteln sollen.

Trotzdem kommt am Nachmittag die gute Nachricht für die Grundschule Karlsfeld. Das zuständige Bundesfamilienministerium schreibt: An ihren Projekten wird nicht gekürzt. Die Erstklässler lernen im nächsten Jahr also wie gewohnt Demokratie.  

Bei Beratung für Geflüchtete ist Finanzierung weiter offen

Marouf Yassin hingegen muss weiter warten. Die Arbeiterwohlfahrt München bekommt ihr Geld vom Bundesinnenministerium. Und von da gibt es noch keine Antwort. Marouf Yassin gibt sich optimistisch: "Da jetzt nicht gesagt wird, dass gekürzt wird, nehme ich das mal als gut auf."

Die endgültige Entscheidung erhalten alle Sozialprojekte ohnehin erst im Januar. Dann muss der Bundestag den Bundeshaushalt 2024 verabschieden.  

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