Die Debatte hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf die Spur gesetzt: „Die Zahlen sind schockierend, denn sie zeigen: Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort – ein Ort, an dem Angst herrscht." So ließ sich die SPD-Politikern kürzlich zitieren, als sie den neuen Bericht zu Partnerschaftsgewalt vorstellte.
Der Schock über Gewalt gegen Frauen zieht Kreise
"Zuhause": Geht es bei den Zahlen, die das BKA in seiner kriminalstatistischen Auswertung von 2017 veröffentlichte, also um häusliche Gewalt?
- Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2018. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
Diese Richtung schlugen zumindest viele Berichte im Anschluss an die Veröffentlichung und die Ankündigung von Giffey ein, Hilfseinrichtungen für Frauen auszubauen. Den Schock über die Zahlen, den die Ministerin ausdrückte, gaben viele in der Debatte weiter. Die Gewalt in Partnerschaften, hieß es da bisweilen, nehme zu in Deutschland.
Doch stimmt das so?
Die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik
Nein - so einfach ist es nicht.
Im vergangenen Jahr erfasste die Polizei bundesweit 138 893 Opfer von vollendeten oder versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt. Für das Jahr zuvor waren es 133 080 Delikte. Das sieht nach einem Anstieg aus. Doch die Zahlen sind nicht ohne Einschränkungen vergleichbar.
Denn die Definition von Partnerschaftsgewalt, mit der das BKA arbeitete, änderte sich. In die Auswertung gingen deshalb mehr Delikte ein als in den Jahren zuvor.
Das brachte der Veröffentlichung (und den Medien) einen prominenten Kritiker ein: In einer Kolumne bemängelte der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer den Umgang mit der Statistik - und auch die Statistik selbst:
Man würde spontan nicht auf den Gedanken kommen, dass sich unter dem Stichwort 'häusliche Gewalt' oder 'Beziehungsgewalt' Phänomene verbergen wie 'Zwangsprostitution' und 'Zuhälterei'. Sie sind aber in der neuen Statistik eingerechnet. Ebenfalls neu hinzugerechnet ist 'Verletzung der Unterhaltspflicht' (§170 StGB, 5550 Fälle). (...) Wenn man diese neu aufgenommenen Tatbestände abzieht, ist die Zahl der gemeldeten Taten nicht gestiegen, sondern um knapp 2000 gesunken."
Das allerdings stimmt so auch nicht.
Die Kritik im Faktencheck
Das Bundeskriminalamt rechnet zu Partnerschaftsgewalt:
- Mord und Totschlag
- gefährliche Körperverletzung
- schwere Körperverletzung
- Körperverletzung mit Todesfolge
- vorsätzliche einfache Körperverletzung
- Vergewaltigung, sexuelle Nötigung
Und neuerdings auch:
- Bedrohung, Stalking, Nötigung (psychische Gewalt)
- Freiheitsberaubung
- Zuhälterei
- Zwangsprostitution
In Auftrag gegeben habe die Neuerungen Giffeys Ministerium, so das BKA.
Bis hierhin hat Ex-Bundesrichter Fischer noch recht. Diese neu einbezogenen Kategorien sind für fast 7000 Delikte in der Statistik verantwortlich (6898, um genau zu sein).
Zieht man diese Zahl von der Gesamtzahl ab, ergibt sich im Vergleich zum Jahr 2016 tatsächlich ein Rückgang der Partnerschaftsgewalt. Allerdings nicht um "knapp 2000", wie Fischer schrieb, sondern nur um 1085 Delikte.
Zudem: Die Verletzung der Unterhaltspflicht allerdings rechnete das BKA nicht in die Gesamtzahl der Partnerschaftsgewalt-Delikte ein. Auch wenn das Ministerium diese Straftaten als "ökonomische Gewalt" betrachtet und entsprechend in den Bericht aufgenommen haben wollte.
Die Zahlen zur Verletzung der Unterhaltspflicht sind stattdessen extra aufgeführt.
Partnerschaftsgewalt oder häusliche Gewalt - was denn nun?
Tatsächlich hinzugerechnet sind allerdings die Zuhälterei und Zwangsprostitution in den Fällen, in denen Tatverdächtige und mutmaßliche Opfer Ehepartner waren, in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften oder Ex-Partner.
Denn: Der BKA-Bericht heißt "Partnerschaftsgewalt". Nicht "häusliche Gewalt". Beide Ausdrücke sind keine Legaldefinitionen, also keine Rechtsbegriffe, die so im Gesetz stehen. Sie sind also offen dafür, politisch definiert zu werden - auf nicht-gesetzgeberischer Ebene.
Und genau das macht das Bundesfamilienministerium: Es entscheidet, welche Delikte unter "Partnerschaftsgewalt" zusammengefasst werden sollen. Diese Definition gibt das Ministerium ans Bundeskriminalamt weiter, das dann den Bericht verfasst.
Für den aktuellen Bericht nun entschied das Ministerium, die Kategorie „Bedrohung, Stalking, Nötigung (psychische Gewalt)" neu zu bilden, Bedrohung und Stalking wurden dafür zusammengefasst und die Nötigung hinzugefügt. Dazugekommen sind eben auch die Kategorien „Freiheitsberaubung“, „Zuhälterei“ und „Zwangsprostitution“.
Der Grund: Am 1. Februar trat in Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, in Kraft. Artikel 3 bestimmt einen umfassenden Gewaltbegriff, der sich auch auf Delikte gegen die persönliche Freiheit wie Freiheitsberaubung und Zwangsprostitution erstreckt. Zudem gibt es entsprechende Empfehlungen des European Institute for Gender Equality (EIGE). Diesen Pflichten und Empfehlungen folgte das Ministerium. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erklärte gegenüber BR24 zudem:
Berichte aus der Praxis von Fachberatung und Polizei weisen darauf hin, dass Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution, Zuhälterei oder Freiheitsberaubung durch ihren Partner / Ex-Partner werden, diese Taten nicht selten als eine Ausdrucksform im Gesamtgeschehen der vom Partner verübten Beziehungsgewalt / Häuslichen Gewalt erleben, und dass die zwischen Täter und Opfer bestehende Beziehung in solchen Fällen maßgeblich für Umsetzung der Tat ist.
Häusliche Gewalt ist mehr als Gewalt im gemeinsamen Haus
Den BKA-Bericht allerdings als Statistik zu "häuslicher Gewalt" nach landläufigem Verständnis zu verzeichnen, ist tatsächlich unpassend - wie Fischer anmahnt. Artikel 3b der Istanbul-Konvention legt dar, dass der Begriff „häusliche Gewalt“ alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt bezeichnet, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte.
Zusammen in einem Haushalt mit dem oder den Tatverdächtigen lebten 2017 nur etwa die Hälfte der mutmaßlichen Opfer in Deutschland, so der BKA-Bericht. Und über Gewalt gegen Kinder etwa steht darin nichts.
Ein weiteres Problem bei der Vergleichbarkeit der Zahlen liegt im geänderten Sexualstrafrecht. Vor zwei Jahren fasste der deutsche Gesetzgeber den Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches neu, seither gilt ein erheblich strengeres Sexualstrafrecht. Deshalb ist ein zahlenmäßiger Vergleich mit den Vorjahren nicht möglich.
Grundsätzlich ist bei der Polizeilichen Kriminalstatistik und den einzelnen Berichten zu spezifischen Themen auch Skepsis angebracht - da sie nur Verdachtsfälle, nicht Verurteilungen auflistet. Und die Dunkelziffer der nicht angezeigten und nicht registrierten Fälle bleibt unsichtbar.
Fazit
Wäre die politische Definition von Partnerschaftsgewalt unverändert geblieben im Vergleich zum Vorjahr, so wäre die Zahl der registrierten Straftaten in dem Bereich gesunken. Weil das Ministerium jetzt aber mehr Delikte in den Blick nimmt, steigt auch die Zahl der Taten in der Statistik.
Dieser Bericht des BKA ist eine Analyse der polizeilich erfassten Daten über Menschen, die in Partnerschaften leben und Opfer oder Tatverdächtige sind - als Ehepartner, in eingetragener Lebenspartnerschaft, als Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften und als ehemalige Partner. Darauf fokussiert sich die Analyse.