Berlin, 15.01.24: Zahlreiche Traktoren, Lastwagen und Autos stehen auf der Straße des 17. Juni.
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Berlin, 15.01.24: Zahlreiche Traktoren, Lastwagen und Autos stehen auf der Straße des 17. Juni.

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Die Bauern und ihre Wut: Wie geht es jetzt weiter?

Zum Ende ihrer Protestwoche kommen Tausende Landwirte nach Berlin zum Brandenburger Tor. Dort macht Finanzminister Lindner klar: Es bleibt bei der Streichung der Agrardiesel-Subvention. Was wird aus der Wut der Bauern? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Allein die Kulisse ist gewaltig. Bauern und Lkw-Fahrern ist es seit dem frühen Morgen gelungen, den Verkehr in Berlins Mitte zum Erliegen zu bringen. Die großen Einfallstraßen aus den vier Himmelsrichtungen sind kaum mehr zu überqueren. Der Boulevard Unter den Linden, der von Osten zum Brandenburger Tor führt, ist dicht an dicht vollgestellt mit Traktoren.

Die Fahrer scharen sich um große Öltonnen, aus denen Feuer lodern. Auf einem Truck steht: "Hütet euch vor Sturm und Wind und Bauern, die in Rage sind."

Lindner muss frieren und warten

Mit Sturm und Wind haben es die Redner vorm Brandenburger Tor von Anfang an zu tun. Eiskalt bläst ihnen der Westwind auf der Bühne ins Gesicht. Von unten kommt die Rage dazu: Tausende pfeifen und skandieren. Wut und Entschlossenheit: Beides ist hier mit Händen zu greifen.

Die Frage ist, was passiert damit jetzt, da die Protestwoche vorbei ist? Antworten müssen die Redner liefern. Einer von ihnen ist Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Eine Dreiviertelstunde friert er still vor sich hin. Unüblich im politischen Berlin, da kommen Bundesminister in der Regel sehr schnell zu Wort. Auf der Großkundgebung soll der Minister erst mal zuhören, bevor er spricht. Nach vier Rednerinnen und Rednern, jeder hat eine Botschaft für ihn im Gepäck, tritt Lindner ans Mikro.

Hunderte vor der Bühne skandieren "Hau ab", pfeifen ihn aus, minutenlange Buhrufe. Lindner setzt an mit seinen Ausführungen, schreit an gegen den Lärm, der ihn nicht zu irritieren scheint. Bauernpräsident Joachim Rukwied sieht sich trotzdem genötigt einzugreifen, was wiederum Lindner offensichtlich gar nicht gefällt. Rukwied schon, kann er doch damit zeigen, dass er "seine Leute" im Griff hat. So wie bei Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) der Mitte Dezember ebenfalls ausgepfiffen wurde. Rukwied sagt: "Wir sind gut erzogen." Der Respekt verlange, Lindner erst sprechen zu lassen und gegebenenfalls hinterher zu buhen.

Viel Wut – wenig Verbindendes

Eigentlich scheinen die Verhältnisse auf der Bühne klar: Da sind vor allem Vertreter der Landwirtschaft, aber auch der Spediteure, Bäcker, aus dem Gastgewerbe. Und alle sind gegen einen – den Finanzminister, der hier die Bundesregierung vertritt.

Aber so einfach ist es nicht. Für alle, die an diesem Spätvormittag auf der Bühne sind, steht viel auf dem Spiel. Sie wollen die Leute bei der Stange halten, aber gleichzeitig nicht radikalisieren. Hinzu kommt, dass die Situation für jeden anders ist. Sogar bei den Landwirten: Unterschiedliche Betriebsgrößen und -formen bedeuten für jeden andere Probleme. Die Spediteure ächzen unter der im Dezember erhöhten Maut und dem gestiegenen CO2-Preis, die Bäcker unter Rohstoff- und Energiepreisen. In dieser Situation setzen manche auf einfache Formeln.

Alle Bauern erreichen – ein Balanceakt

Der Chef des Bauernverbands, der für seine Rede am Beginn der Proteste vor vier Wochen viel Kritik hat einstecken müssen, versucht einen Zwischenweg. Er hat sich selbst an die Spitze des Protests gesetzt, mit markigen Worten die Stimmung angeheizt. Rukwied hatte der Bundesregierung gedroht, wenn die ihre Sparmaßnahmen nicht zurücknehme. Nun muss er sehen, dass er die Geister, die er rief, unter Kontrolle behält. Und gleichzeitig nicht zu weich wird, damit dem Bauernverband nicht die Mitglieder in Richtung radikaler Vereinigungen abwandern.

Rukwied betont, dass die Bauernschaft "zu 100 Prozent" hinter der Demokratie stehe. Es gehe im Kern um ein Ziel: "Wenn die Bundesregierung die Steuererhöhungspläne zurücknimmt, dann gehen wir mit den Treckern von der Straße." Heißt, die schrittweise Beendigung der Subventionen für den Agrardiesel soll ganz zurückgenommen werden.

Gleichzeitig sagt Rukwied, dass die Menschen in Deutschland hinter den Protesten der Bauern stünden. Warum? "Weil sie auch der Meinung sind, dass sich in der Politik was ändern muss." Die Politik müsse "raus aus der Berliner Blase, hin zu Bürgerinnen und Bürgern, hin zu Bäuerinnen und Bauern". Dafür gibt es riesengroßen Applaus. Konkret ist die Aussage nicht, sie nimmt auf, was viele hier vor dem Brandenburger Tor empfinden. Ganz zum Schluss der Veranstaltung ruft Rukwied den Protestierenden zu: "Wenn das hier kein Zeichen ist, die Vorschläge zurückzunehmen, dann frage ich mich, was sollen wir dann machen?" Es hört sich nicht nach Drohung an.

Lindner: Mehr Geld gibt es nicht

Lindner hatte da bereits gesprochen – und versucht, die Bauern abzuholen. "Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesels hier sind. Es hat sich doch über Jahre und Jahrzehnte etwas aufgestaut." Darüber müsse man sprechen. Es ist einer der wenigen Sätze, nach dem weniger gepfiffen wird.

Lindner erklärt, dass die Bundesregierung einfach mit dem Geld auskommen müsse, das da ist. Dass es beim Sparen aber fair zugehen müsse. Dass der Protest der Bauern doch schon viel erreicht habe, nämlich die Komplettrücknahme einer Einsparung. Dass er gern zu Bürokratieabbau bereit sei. Und dann sagt er diesen einen Satz: "Ich kann Ihnen heute nicht mehr staatliche Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt." Der Rest geht beinahe im Pfeifkonzert unter: Man könne gemeinsam dafür streiten, "dass Sie wieder mehr Freiheit und wieder mehr Vertrauen für Ihre Arbeit bekommen", sagt Lindner noch. Aus seiner Sicht wäre das "eine Chance in dieser Lage, die man nicht ausschlagen sollte".

Wohl nicht das Ende der Bauernproteste

Es ist wahrscheinlich, dass die Bauern es mit Bürokratieabbau nicht gut sein lassen werden. Im Moment gibt es aber auch keine Anzeichen, dass die Bundesregierung von ihrem Agrardieselplan ablassen könnte.

Der Bauernverband hat angekündigt, wieder zu protestieren, wenn die Subventionskürzung nicht zurückgenommen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht mit einer Protestwoche getan ist, ist hoch. Zumal viele Bauern zu dieser Jahreszeit noch etwas mehr Zeit zum Protestieren haben. Unklar ist, ob die vielen Unzufriedenen, die sich nun den Bauernprotesten angeschlossen haben, einen gemeinsamen Nenner finden. Ob so eine neue Protestbewegung entsteht.

Im Video: Abschluss der Protestwoche der Landwirte in Berlin

Wieder ein Protest-Tag mit viel PS, heute in Berlin
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Wieder ein Protest-Tag mit viel PS, heute in Berlin

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