Verteidigungspolitiker warnen davor, die Ukraine im Krieg gegen Russland nicht ausreichend zu unterstützen.
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Milliarden für Verteidigung: Woher das Geld kommen soll

Verteidigungspolitiker warnen davor, die Ukraine im Krieg gegen Russland nicht genug zu unterstützen. Fällt das Land, seien die Folgen für Europa dramatisch. Deutschland müsse viel mehr für Verteidigung ausgeben. Doch woher soll das Geld kommen?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik verändert. Leitlinien und Grundsätze wie "keine Waffenlieferungen in Krisengebiete" gelten plötzlich nicht mehr, genauso wie die Annahme, eine gemeinsame Sicherheit in Europa könne nur mit Russland organisiert werden, erklären Experten. Mittlerweile gelte das Gegenteil.

Vor zwei Jahren rief der Kanzler die Zeitenwende aus

Ausgangspunkt ist der 27. Februar 2022. Der Bundestag traf sich damals zu einer Sondersitzung. Der russische Überfall auf die Ukraine war erst wenige Tage alt. Der Bundeskanzler sprach von einer Zeitenwende. Die Welt nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei nicht mehr dieselbe wie davor, so Olaf Scholz.

Der SPD-Politiker kündigte das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an und kündigte an, dauerhaft mehr Geld für Verteidigung auszugeben, genauer gesagt: zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. NATO-Partner wie die USA drängten schon länger darauf.

Neue deutsche Außenpolitik

Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im BR24-Interview: "Die deutsche Außenpolitik ist in ihrem Kernbestand erschüttert worden und viele Gewissheiten der letzten 30 Jahre und für die kommenden 30 Jahre, sind fundamental erschüttert." In der Bevölkerung hätten der Krieg und die Folgen zu einer großen Unsicherheit geführt.

Bundestagsabgeordnete warnen eindringlich

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter befürchtet, dass sich die deutsche Politik noch nicht ausreichend verändert hat: "Weder unterstützen wir die Ukraine ausreichend, noch sind wir in der Lage, Putin ausreichend konventionell abzuschrecken", sagt Hofreiter BR24. Deshalb sei das Risiko einer Eskalation des Krieges durch zu zögerliches Handeln des Westens in den vergangenen Monaten noch gestiegen.

Er glaubt: "Es ist uns in weiten Teilen immer noch nicht bewusst, wie groß die Gefahr ist." Sollte Putin die Ukraine besiegen, werde er weitere Länder angreifen – auch NATO- und EU-Länder, so der Grünen-Politiker, der Vorsitzender des Ausschusses für EU-Angelegenheiten ist.

Lage sei ernster als viele glauben

Ähnliche Stimmen sind aus der Union zu hören. Der CDU-Außen- und Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter glaubt: "Wir gehen noch viel zu rücksichtsvoll damit um, was wirklich auf dem Spiel steht." Es gehe um unsere Freiheit. "Wenn die Ukraine zerfällt, zerfallen auch EU und NATO, weil Putin dann weitermacht", sagt der Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit BR24.

Dieses Bedrohungsgefühl wachse in der Bevölkerung schneller, als es manche in der Politik wahrnehmen würden. "Der Kanzler könnte viel offener mit der Bevölkerung kommunizieren und deutlich machen, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um eine Ausweitung des Kriegs zu verhindern", so Kiesewetter.

Sondervermögen für die Bundeswehr 2028 aufgebraucht

Mittlerweile ist klar, dass das Sondervermögen für die Bundeswehr nur der Anfang ist. "Der Schwur kommt 2028, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist", sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aktuell würde nur mithilfe des Sondervermögens das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Aber wie geht es danach weiter? Kaim: "Das ist in Zeiten von knappen Kassen eine Frage der Verteilung, der Prioritäten."

300 Milliarden für Verteidigung: Woher kommt das Geld?

Die Finanzierungsdebatte gewinnt in diesen Tagen in Berlin an Fahrt. 300 Milliarden Euro würden in den kommenden Jahren laut Experten für die Bundeswehr, Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen benötigt. Diese Summe brachte im vergangenen Jahr bereits die Wehrbeauftragte Eva Högl von der SPD in die Debatte ein. Und auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagt: "300 Milliarden ist die Summe, die wir brauchen, um das Land abwehrbereit zu machen."

Doch woher soll das Geld kommen? Diese Frage ist bisher ungelöst. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat ein mehrjähriges Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen verlangt, um mehr Geld in Verteidigung investieren zu können. "Wenn es uns gelänge, mal drei Jahre mit dem auszukommen, was wir haben, dann wäre das ein ganz großer Schritt zur Konsolidierung", so Lindner kürzlich im ZDF. Die Aussage stieß unter anderem beim Koalitionspartner SPD und bei Sozialverbänden auf scharfe Kritik.

Neue Schulden aufnehmen?

Der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter hält es für geboten, die Schuldenbremse zu lockern. "Da wirklich Gefahr in Verzug ist, muss man ganz schnell dringend umfangreich investieren. Und deswegen muss man das Geld zwischenzeitlich am Finanzmarkt aufnehmen, um die Investitionen zur Stärkung der Abwehrbereitschaft und Sicherheit schnell zu tätigen", mahnt Hofreiter. Parteikollegin und Außenministern Annalena Baerbock schlägt vor, das Sondervermögen für die Bundeswehr auszuweiten, was unterm Strich auch neue Schulden bedeutet.

Union fordert: mehr sparen und priorisieren

Aber: Nicht nur der Koalitionspartner FDP, auch CDU und CSU lehnen neue Schulden ab. CDU-Außenpolitiker Roderich Kieswetter denkt eher ans Sparen. Die Bundesregierung sollte versuchen, mehr Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen, um weniger Bürgergeld auszahlen zu müssen und mehr Steuereinnahmen zu erzielen.

Kiesewetter: "Unsere Bevölkerung muss sich auch bewusst sein, auf welchen hohen Standards wir sind. Und wir können nicht alle Einzelinteressen bedienen." Es gehe aber nicht darum, Sozialausgaben zu kürzen, sondern mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. Auch die Wirtschaft müsste stärker aktiviert werden, um Steuereinnahmen zu erhöhen und Finanzmittel für Verteidigung freizumachen.

CDU-Politiker Kieswetter: Auch Bürger müssten Beitrag leisten

Nicht alles könne künftig noch finanziert werden, so Kiesewetter, "Das muss der Bevölkerung erklärt werden. Dann ist der individuelle Wohlstand vielleicht für einige Jahre etwas eingeschränkt und man hat nicht mehr zweimal im Jahr Urlaub, sondern nur einmal etwas ausgedehnter", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete. Auch die Bürgerinnen und Bürger seien gefragt, ihren Beitrag zu leisten. Die Bevölkerung wisse, was auf dem Spiel stehe: unsere Freiheit und unsere Sicherheit. Die Wahrheit sei den Menschen zumutbar. "Wenn die Bevölkerung in einem Wolkenkuckucksheim gehalten wird, verliert sie das Vertrauen in die Politik", warnt Kiesewetter.

Außenministerin Baerbock: Finanzierungsdebatte läuft in falsche Richtung

Dagegen warnt Außenministerin Annalena Baerbock gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio davor, Sozialleistungen und soziale Sicherheit gegen Verteidigungsausgaben auszuspielen. Sie zeigt sich aber optimistisch, bald eine politische Lösung für die offenen Finanzierungsfragen zu finden. Wichtig sei, das Thema "Frieden, Freiheit, Sicherheit" nicht für Wahlkampftaktik zu missbrauchen.

Verteilungskämpfe werden härter?

Die Debatte um die Finanzierung von Verteidigung und Sicherheit hat erst begonnen. Noch stehen die Parteien – auch innerhalb der Bundesregierung – in dieser Frage weit auseinander. Harte Verteilungskämpfe sind programmiert.

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