Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD)
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Bundespräsident Steinmeier wohl vor seiner zweiten Amtszeit

Am Sonntag wählt die Bundesversammlung ein neues Staatsoberhaupt. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird der amtierende Bundespräsident auch der künftige sein. Ein Rückblick auf Steinmeiers erste Amtszeit und ein Ausblick auf die vermutlich zweite.

Eigentlich sollte er ja gar nicht im Bellevue sitzen. Die unionsgeführte Bundesregierung hatte 2017 keine Ambitionen, ausgerechnet einem SPD-Mann ins Amt des Bundespräsidenten zu verhelfen. Da aber die Wunschfrau von Angela Merkel, die ehemalige Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, am Ende doch absagte, lief die Wahl ziemlich bald auf Steinmeier hinaus.

An politischer Erfahrung fehlte es dem einstigen Kanzleramtsminister, Fraktionschef, Kanzlerkandidaten und Außenminister Frank-Walter Steinmeier jedenfalls nicht. Aber konnte er auch Staatsoberhaupt sein? Mit all den Attributen, die diesem Amt zugeschrieben werden: Bürgernähe, Wärme, Mutmacher, Versöhner, Mahner?

Schweigen im Wahlkampf – Reden nach dem Jamaika-Aus

Frank-Walter Steinmeier wird im Frühjahr 2017 zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Zu einer Zeit, als in Deutschland der Bundestagswahlkampf Fahrt aufnimmt. Parteinahme gehört sich nicht für einen Präsidenten, also hört man im ersten halben Jahr relativ wenig von Steinmeier.

Das Wahlergebnis vom Herbst 2017 passte eigentlich niemandem so recht in den Kram. Die Kanzlerin hätte wohl lieber allein mit den Grünen regiert, die SPD hatte die Nase voll vom Regieren als Juniorpartner, und die FDP wollte endlich wieder mitregieren. Das Wahlergebnis zwang die Union, die Grünen und die FDP an einen Tisch, aber die Liberalen liefen in letzter Sekunde davon.

Die SPD hatte bereits vollmundig angekündigt, voller Stolz und Demut in die Opposition zu gehen. Steinmeier nutzt die Kraft seines Amtes. Er bittet SPD-Chef Martin Schulz zum Tee ins Bellevue und erinnert ihn an die staatspolitische Verantwortung der Sozialdemokraten.

Demokratie – eine "anstrengende Staatsform"

Frank-Walter Steinmeier hat Politik wie ein gelerntes Handwerk verinnerlicht. Er kennt Verwaltungsvorgänge ebenso wie die Niederungen von Gesetzesvorlagen. Wo sind die Finten, wo die Fallstricke? Steinmeier kann sie erkennen. Wer einmal das Kanzleramt geleitet hat, dem macht keiner so schnell was vor. Steinmeier denkt durch und durch politisch. Er weiß um die Grenzen des Machbaren, um das Ringen um Mehrheit, um die Suche nach dem Kompromiss – jedes Mal aufs Neue. In seiner Antrittsrede sagt Steinmeier, wir müssen wieder lernen, für die Demokratie zu streiten.

Demokratie sei eine "anstrengende Staatsform". Diesen Begriff verwendet der Bundespräsident öfter. Sei es bei seiner "Demokratiereise" durch die 16 Bundesländer oder in den vielen Bürgerdialogen, bei denen er ganz normale Menschen zum Gespräch ins Bellevue einlädt. Wenn Corona einen Strich durch eine echte Begegnung macht, finden die Gespräche eben digital statt. Steinmeier will die "stille Mehrheit" hören. Und so sitzen Krankenpfleger, Jugendliche im Bundesfreiwilligendienst und Geflüchtete am Tisch im Bellevue.

Mitfühlende Worte, aber kein großer Redner

Wenn Steinmeier sein kehliges Lachen herausholt und noch dazu sein verschmitztes Lächeln, hat er sehr gewinnende Züge. Steinmeier ist ein Menschenfreund, der sich auch vor Gesten der Umarmung nicht scheut. Nach dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau findet er ebenso die richtigen Worte wie beim Jahrestag des Massakers in Babyn Jar, wo SS-Kommandos 1941 mehr als 33.000 ukrainische Juden ermordeten.

Der Bundespräsident kann Schmerz fühlen, ohne sich dabei von den eigenen Gefühlen leiten zu lassen, so wie das bei seinem Vorgänger Joachim Gauck oft der Fall war.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und Reuven Rivlin, damaliger Staatspräsident von Israel, während Steinmeiers Staatsbesuch 2021.

Steinmeier wirkt zugänglich und nahbar, er kann auf Menschen zugehen und ihnen in die Augen sehen. Dennoch reißt er in seinen Reden nicht mit. Seine sonore Stimme kann erzählen, aber nicht begeistern. Er bleibt oft in derselben Tonlage, dabei hätte er viele Varianten in der Stimme. In Gesten ist Steinmeier besser als in Reden.

Herausforderungen der zweiten Amtszeit: Wann kommt die "Ruckrede"?

Von Steinmeier ist noch kein Satz in die Geschichtsbücher eingegangen, so wie sie von anderen Bundespräsidenten nachzulesen sind. Der 8. Mai als "Tag der Befreiung" von Richard von Weizsäcker bleibt unvergessen, ebenso wie der von Roman Herzog eingeforderte "Ruck", der durch Deutschland gehen müsse. Für Christian Wulff gehörte der "Islam zu Deutschland". Und für Steinmeier?

Verschwörungstheoretiker säumen die Straßen, Impfgegner kleben sich gelbe Judensterne auf die Jacken. Die Corona-Pandemie ist noch nicht überstanden. Ein Fünftel der Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor, die Klimaziele werden Geld kosten, Energie wird teurer. Es gibt viele Themen, die die Menschen aufregen, berühren, in Existenznot bringen.

Steinmeier kann gut auf Menschen zugehen. Die viel zitierte Spaltung der Gesellschaft sieht er so nicht. Er glaubt an Versöhnung, Miteinander und konstruktives Streiten. Der wohl auch künftige Bundespräsident braucht in den nächsten Monaten viel Überzeugungskraft.

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