Palästinensische Flüchtlinge nach einem israelischen Luftangriff in Rafah (07.02.2024).
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Palästinensische Flüchtlinge nach einem israelischen Luftangriff in Rafah.

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Armee plant Offensive: Netanjahu befiehlt Evakuierung Rafahs

Israels Ministerpräsident Netanjahu hat der Armee des Landes den Befehl erteilt, eine Offensive auf Rafah im Gazastreifen und im Zuge dessen die Evakuierung der Bevölkerung vorzubereiten. Dort befinden sich bis zu einer Million Flüchtlinge.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Trotz internationaler Kritik soll die israelische Armee nach dem Willen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nun auch in den südlichsten Teil des Gazastreifen vorrücken. In der dortigen Stadt Rafah, die vor dem Krieg rund 300.000 Einwohner hatte, sollen sich derzeit mindestens 1,3 Millionen Menschen aufhalten.

Netanjahu vermutet letzte Hamas-Hochburg in Rafah

Netanjahu wies am Freitag das Militär an, einen Plan zur Evakuierung der Bevölkerung von Rafah im Gazastreifen auszuarbeiten – in Rafah sei ein umfassender Militäreinsatz erforderlich. Er habe Sicherheitsvertreter aufgefordert, einen Plan vorzulegen, der die Evakuierung von Zivilisten aus der Stadt und eine Militäroperation zur Zerschlagung der verbliebenen militanten Hamas-Einheiten vorsehe.

"Es ist unmöglich, das Kriegsziel der Eliminierung der Hamas zu erreichen, wenn vier Hamas-Bataillone in Rafah verbleiben", ließ er am Freitag über das Büro des Ministerpräsidenten mitteilen. Die Pläne, die die Militärführung der Regierung vorlegen soll, müssten auch die Evakuierung der Zivilisten in Rafah beinhalten, hieß es in der Mitteilung. Israel gibt an, Rafah sei die letzte verbliebene Hochburg der militant-islamistischen Hamas. Diese Information kann nicht unabhängig überprüft werden.

Palästinensern bleibt nur die Flucht Richtung Meer

Der mittlerweile vier Monate andauernde Krieg hat die humanitäre Krise im Gazastreifen dramatisch verschärft. Hunderttausende Menschen flohen vor den Kämpfen in den Süden des Palästinensergebiets, der nun ebenfalls unter Beschuss steht.

Laut einem Mitarbeiter des zuletzt in die Kritik geratenen UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) ziehen derzeit viele Menschen aus Sorge vor einem Bodenangriff von Rafah in Richtung Meer. Sollte Israel die Stadt stürmen, "sterben wir in unseren Häusern", sagte ein Bewohner der Stadt gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Wir können nirgendwo hin."

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist seit Monaten katastrophal. Palästinensische ARD-Mitarbeiter in Gaza schildern, dass die Menschen nicht nur tagelang nichts essen, sondern auch verdorbene Lebensmittel nutzen. Verheerend ist es auch für die verbliebenen Bewohner im Norden des Gazastreifens. Dort essen die Menschen inzwischen Gras, um ihren Hunger zu stillen. Die UN-Koordinierungsstelle "OCHA" hat festgestellt, dass in Gaza fast zehn Prozent der Kinder unterernährt sein, dazu wurde bei Kleinkindern und Säuglingen der Armumfang gemessen.

Internationale Kritik an Israels Plänen

Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden deutliche Kritik am Vorgehen der israelischen Armee geäußert. Er sei der Meinung, dass Israels Vorgehen im Gazastreifen "überzogen" sei, sagte Biden am Donnerstag (Ortszeit) vor Reportern im Weißen Haus. "Es gibt viele unschuldige Menschen, die hungern, viele unschuldige Menschen, die in Schwierigkeiten sind und sterben. Das muss aufhören." Weiter betonte der US-Präsident, er habe sich sowohl in Ägypten als auch in Israel für die Einfuhr weiterer humanitärer Hilfen in den Gazastreifen eingesetzt.

Die USA sind eng mit Israel verbündet. In den vergangenen Wochen wurden die Appelle der Biden-Regierung aber immer deutlicher, Israel solle sich bei seinem Einsatz mäßigen und stattdessen gezielter Hamas-Kämpfer ins Visier nehmen. Einen Militäreinsatz in Rafah ohne Berücksichtigung der Lage der Zivilbevölkerung lehnten die USA ausdrücklich ab.

UN-Generalsekretär António Guterres hatte bereits zuvor vor einer humanitären Katastrophe und Folgen für die gesamte Region gewarnt. Die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens sei in Rafah zusammengepfercht und könne nirgendwo anders hin, schrieb er auf der Nachrichtenplattform "X", vormals Twitter. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte sich in den vergangenen Tagen deutlich gegen ein militärisches Vorgehen in Rafah ausgesprochen.

Roter Halbmond: Israels Armee stürmt Krankenhaus in Chan Junis

Unterdessen stürmten israelische Soldaten nach Angaben des Palästinensischen "Roten Halbmondes" ein Krankenhaus in der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens. Die israelischen Streitkräfte hätten das Krankenhaus Al-Amal gestürmt und mit einer Durchsuchung begonnen, erklärte die Organisation am Freitag. Das israelische Militär reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur AFP in dieser Sache.

Anfang der Woche hatte der Rote Halbmond mitgeteilt, dass rund 8.000 Menschen, die in dem Krankenhaus Schutz gesucht hätten, evakuiert worden seien. Rund 40 Vertriebene, 80 Patienten und 100 Mitarbeiter seien nach der Evakuierung im Krankenhaus verblieben.

UN-Experten sehen Hinweis auf Kriegsverbrechen

Die Tötung von drei Palästinensern in einem Krankenhaus im besetzten Westjordanland durch ein israelisches Spezialkommando könnte UN-Experten zufolge ein mögliches Kriegsverbrechen sein. "Nach internationalem humanitärem Recht stellt die Tötung eines wehrlosen verletzten Patienten, der in einem Krankenhaus behandelt wird, ein Kriegsverbrechen dar", sagten die Sonderberichterstatter am Freitag. Indem sie sich als scheinbar harmloses medizinisches Personal und Zivilisten verkleideten, hätten die Mitglieder des Sonderkommandos auch das Kriegsverbrechen der Perfidie begangen. Sie forderten Israel auf, eine Untersuchung einzuleiten. Das israelische Militär reagierte zunächst nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

Bei einem Undercover-Einsatz hatten israelische Sicherheitskräfte am 29. Januar drei Palästinenser im Ibn Sina Krankenhaus in der Stadt Dschenin getötet. Dem israelischen Militär zufolge handelt es sich bei einem der Getöteten um Mohammed Dschalamneh, der Kontakte zum Hamas-Hauptquartier im Ausland gehabt und einen Anschlag nach dem Vorbild des Massakers vom 7. Oktober geplant haben soll. Die beiden anderen hätten im Dienst der Dschenin-Brigade und des Islamischen Dschihad gestanden.

Karte: Die militärische Lage im Gazastreifen

Palästinenser melden mehr als 27.000 Tote

Am 7. Oktober hatten Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas und weiterer militanter Palästinensergruppen Israel überfallen und zahlreiche Massaker verübt. Sie töteten israelischen Angaben zufolge etwa 1.160 Menschen, darunter viele Zivilisten. Rund 250 Menschen wurden zudem als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Als Reaktion auf den Angriff startete Israel einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen.

Dabei sind nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde bei israelischen Angriffen bislang insgesamt 27.947 Menschen getötet worden. 67.459 Palästinenserinnen und Palästinenser seien zudem seit Kriegsbeginn verletzt worden. Allein in den vergangenen 24 Stunden seien 107 Menschen getötet und 142 verletzt worden. Die Zahl der Opfer könnte noch weitaus höher sein, da viele Menschen vermisst werden und unter den Trümmern zerstörter Gebäude liegen dürften. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, bei vergangenen Konflikten stellten sich die Angaben jedoch als glaubwürdig heraus.

Im Video: Netanjahu befiehlt Evakuierung Rafahs

Israels Ministerpräsident Netanjahu hat die Armee angewiesen, einen Angriff auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorzubereiten.
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Israels Ministerpräsident Netanjahu hat die Armee angewiesen, einen Angriff auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorzubereiten.

Mit Informationen von AP, dpa, AFP, Reuters

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