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Christian Nitsche

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Kommentar von Christian Nitsche: Deutschland vor Neuwahlen?

Steht Deutschland nach diesem Wahlabend vor Neuwahlen? Weil sich auch in langen Koalitionsgesprächen keine Kompromisse finden, die für alle in Frage kommenden Parteien tragbar sind? Ein Kommentar von BR-Chefredakteur Christian Nitsche.

„In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt Angela Merkel am Tag ihrer schwersten Niederlage. Glaubt sie, dass bei diesem Ergebnis eine Regierungsbildung gelingt? Sie sei „generell immer zuversichtlich“, lässt die Kanzlerin die Wähler wissen. Doch die Lage ist extrem verfahren.

Extrem verfahrene Lage

Der dramatisch gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, will in keine neue Große Koalition eintreten. Aus Sicht der SPD ein kluges Manöver, um sich in der Opposition zu sammeln für die Zeit nach Merkel. Aber ohne jegliche Sondierungsgespräche mit der Union sich einer Regierung zu verweigern, wird der Verantwortung der Partei für Deutschland in einer Zeit großer Verunsicherung und bedrohlicher internationaler Konflikte nicht gerecht.

Schulz: gescheitert. FDP: geplättet

FDP-Chef Lindner, sichtlich geplättet vom Schachzug der SPD, lässt die Öffentlichkeit wissen, die SPD könne ihn nicht in eine Regierung hineinzwingen. Ihm scheint sehr unwohl, in eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen zu gehen. Schwarz-Gelb wäre auch die Wunschkoalition vieler in der Union gewesen. Aber für diese Option reicht das Ergebnis bei weitem nicht. So stehen sich im Koalitionspoker im Moment gegenüber: eine Union, von der über eine Million Wähler zur AfD gewandert sind. Die CSU, selbst derb gebeutelt, verspricht einen harten Verhandlungskurs. Sie hat die Landtagswahl in einem Jahr vor Augen und trägt Angstschweiß, da sie von einer erneuten absoluten Mehrheit derzeit weit entfernt ist.

CSU: derb gebeutelt. Grüne: unvereinbar mit CSU?

Die Grünen, nach niedrigen Umfrageergebnissen jetzt im gefühlten Aufwind, werden keine Kompromisse bei ihrem Markenkern hinnehmen und weiter auf das Ende der Verbrennungsmotoren pochen. Unvereinbar scheinen Grüne und CSU beim Thema Obergrenze bei der Zuwanderung. CSU-Chef Seehofer kann im Bemühen, die AfD in Bayern an den Rand zu drängen, hier keine Zugeständnisse machen. Die Grünen werden da aber sicher nicht mitziehen. Und Angela Merkel hat der CSU in diesem Punkt immer die kalte Schulter gezeigt. Die FDP scheint näher am CSU-Kurs als die Kanzlerin.

Keine tragbare Lösung für alle

Aber in einem Bündnis aus diesen vier Parteien ist keine Lösung in Sicht, die für alle gleichermaßen tragbar ist. Wenn also die SPD jegliche Verhandlungen über eine Koalition verweigert, ist die Frage, ob sich überhaupt eine tragfähige Koalition bildet. Eine Minderheitsregierung aus Union und FDP, geduldet von der SPD, kann sich Deutschland nicht leisten angesichts der internationalen Konflikte. Die AfD würde dies zudem als Schwäche der etablierten Parteien werten und für sich nutzen.

Lange Koalitionsgespräche - dann Neuwahlen?

Ziehen sich die Koalitionsgespräche über Monate hin, so wird unweigerlich der Gedanke aufkommen, es müssten Neuwahlen abgehalten werden. Union und SPD hätten die Gelegenheit, bis zu Neuwahlen in der Flüchtlingspolitik konsequenter zu handeln und zum Beispiel der Erwartung der meisten Deutschen zu entsprechen, abgelehnte Asylbewerber konsequenter abzuschieben. Allerdings ein riskantes Manöver, das die Stimmanteile der SPD und Union nicht unbedingt stärken könnte. So blicken die Wähler am Wahlabend eher ratlos drein und fragen sich zurecht: Wie soll Deutschland in dieser Lage politische Stabilität verkörpern? Die Antwort sind die Parteien noch schuldig!