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Filmemacher Michael Kalb (Mitte) führt Video-Interview mit Karl Hinterstößer (l.) aus Dinkelscherben.

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Von Weimar bis Wiederaufbau: Zeitzeugen-Projekt befragt Schwaben

"Man müsste doch mal die Alten fragen", sagt man so. Oft verstreicht die Zeit, ohne dass jemand fragt. Im Landkreis Augsburg läuft ein Zeitzeugen-Projekt, das die Erinnerungen der ganz normalen Leute auf dem Land bewahren will. Von Christian Wagner

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Karl Hinterstößer bekommt ungewöhnlichen Besuch. Vor seiner Haustür in Dinkelscherben steht Filmemacher Michael Kalb. Und der will einfach alles wissen. Zu erzählen hat Hinterstößer mit seinen 92 Jahren so einiges:

"Sonntags grundsätzlich ist man auf den Berg raufgegangen. Die Frauen haben Faustball gespielt. Die Männer haben Sport gemacht, Stabhochsprung zum Beispiel, Speerwurf oder Kugelstoßen." Zeitzeuge Karl Hinterstößer aus Dinkelscherben

Die Menschen erzählen lassen

Die Kamera läuft. Filmemacher Kalb hat schon an die 20 solcher Interviews geführt. "Man muss gar nicht so viel nachfragen", sagt Kalb, "die Leute erzählen einfach von sich, die sind auch so gute Redner, dass man gar nicht oft unterbrechen muss. Nur manchmal frage ich vielleicht noch nach ein paar Details."

Karl Hinterstößer blättert im Fotoalbum. Auf dem Bild vom Turnverein ist 1934 schon die Hakenkreuzfahne im Hintergrund zu sehen. Da macht sich das Nazi-Regime im Alltag breit, auch in Dinkelscherben.

"Ich hab meine Eltern immer angebettelt, dass ich auch zum Jungvolk gehen durfte. Das war ich neun oder zehn Jahre alt. Als ich dann gehen durfte, hab ich mein Braunhemd bekommen, meine Uniform. Da war man dann begeistert. Meine Eltern waren eigentlich immer skeptisch. Meine Mutter hat da eher dran geglaubt, aber mein Vater hat auch später noch gesagt 'Das kann nicht gutgehen'." Zeitzeuge Karl Hinterstößer aus Dinkelscherben

Unterschiedliche Leben, aber doch ähnliche Geschichten

Es ging nicht gut. Karl kam mit 19 an die Ostfront, immerhin unverletzt in Kriegsgefangenschaft, konnte früher als andere nach Dinkelscherben zurückkehren. Es ist eine Geschichte, wie sie Millionen deutscher Männer und ihre Familien erlebt haben. Sie zu erzählen, das erscheint ihm richtig.

Es werden immer weniger, die erzählen können von der Zeit in den 30er-Jahren, vom Krieg und danach. Michael Kalb hört gerne zu. "Das macht diese ganze Zeit so greifbar. Weil man sieht, wie skurril, wie chaotisch und grausam das alles war, damals."

Zeitzeugen-Gespräche werden zu Buch und Film

Greifbar werden die Geschichten der Alten in den Dörfern rund um Augsburg als Buch: Für die Archive tippen Freiwillige die Gespräche Wort für Wort ab. Und die Schüler der Region können sich im kommenden Jahr den ersten Film von Michael Kalb anschauen. Damit Geschichte mehr ist als reine Fakten.

"Die letzten Zeitzeugen", so könnte dieser Film heißen. Das steht aber noch nicht fest.