Laut Strafrechtlern wäre eine Abschaffung des Paragrafen 218 theoretisch möglich
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Laut Strafrechtlern wäre eine Abschaffung des Paragrafen 218 theoretisch möglich

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Strafrechtler: Abschaffung von Abtreibungsparagraf §218 möglich

Die Grünen wollen den umstrittenen Paragrafen 218 streichen, heftiger Protest kommt aus Bayern. Wie bereits vor 30 Jahren droht der Freistaat mit einer Klage. Doch diesmal könnte der Abtreibungsparagraf aus dem Strafgesetzbuch verschwinden.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (B`90/Die Grünen) hat angekündigt, den Paragrafen 218, der den Abbruch einer Schwangerschaft in Deutschland unter bestimmten Umständen verbietet, abschaffen zu wollen. Prompt zog die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) nach: Sollte es so weit kommen, werde sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Scharf wirft Paus vor, sie ignoriere den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens. Genau damit musste sich das Bundesverfassungsgericht bereits vor 30 Jahren befassen.

Urteil von 1993: Staat hat Pflicht Leben zu schützen

Aktuell ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland verboten. Vor 30 Jahren wurde der Paragraf 218 überarbeitet: Der Abbruch sollte straffrei werden. Bereits damals hatte das Bayerische Familienministerium vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt. Seither gibt es einen Kompromiss: Die Schwangere muss sich beraten lassen und darf nur bis zur zwölften Woche abtreiben. Das regelt seither der Zusatzparagraf 218a.

Nun geht es um die Frage, ob der Paragraf im Strafgesetzbuch bleibt oder nicht. Sollte es zu einer erneuten Klage kommen, wie Ulrike Scharf es angekündigt hat, wäre es Juristen zufolge ein heikler Fall: Der Staat sieht sich in der Pflicht, Leben zu schützen, auch ungeborenes, sagt Strafrechtler Tonio Walter von der Universität Regensburg. Entsprechend müsse eine Tötung bestraft werden, so die Argumentation des Staates. Ulrike Scharf folgert daraus, dass der Paragraf deshalb auch ins Strafgesetzbuch gehört. Im Jahr 1993 hatte das Bundesverfassungsgericht dies bestätigt.

Regelung könnte im Sozialrecht verankert werden

Dass der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch verbannt werden soll, hat die Ampel bereits im Koalitionsvertrag ankündigt. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat das zum Anlass genommen, um in einer Arbeitsgruppe ein Papier zu erarbeiten. Die Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe, die Strafrechtlerin Céline Feldmann, sagt: Man könnte Schwangerschaftsabbrüche durchaus auch im Sozialrecht verankern, konkret im Schwangerenkonfliktgesetz. Man brauche hierfür nicht das Strafrecht. Eine ersatzlose Streichung aus dem Strafgesetzbuch wäre also möglich.

Bundesverfassungsgericht könnte anders entscheiden als 1993

Wie das Bundesverfassungsgericht im Falle einer Klage entscheidet , kann auch Feldmann nicht vorhersagen. Aber seit der letzten Entscheidung seien immerhin 30 Jahre vergangen. Außerdem ließe sich in letzter Zeit ein Trend feststellen: "Es lässt sich immer wieder beobachten, dass sich das Bundesverfassungsgericht an aktuelle Entwicklungen anpasst." Auch rücke es das Selbstbestimmungsrecht immer mehr in den Mittelpunkt. Erkennen könne man dies zum Beispiel in der Gerichtsentscheidung zur Sterbehilfe.

Verbände: Rechtliche Regelung ja, aber nicht im Strafgesetzbuch

Denn auch das Selbstbestimmungsrecht einer ungewollt Schwangeren ist verfassungsrechtlich geschützt. Thoralf Fricke vom Verband pro familia Bayern sagt: "Der Paragraf 218 untergräbt dieses Selbstbestimmungsrecht." Denn das Gesetz mache die Frau zur Straftäterin, sie könne nicht frei über ihren Körper entscheiden. Eine rechtliche Regelung, sagt Adriana Beran vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, sei weiterhin notwendig, aber eben nicht im Strafgesetzbuch.

Der bayerischen Familienministerin wirft Beran "fehlende Kompromissbereitschaft" vor. Dass die derzeitige rechtliche Regelung sogar zu einer defizitären Versorgungslage führt, betont Céline Feldmann vom Juristinnenbund. Unter anderem, weil viele Kliniken unter den aktuellen rechtlichen Voraussetzungen nicht abtreiben.

  • Zum Artikel: Schwangerschaftsabbrüche in Bayern immer noch schwierig

Freie Wähler stützen CSU-Kurs

Die Freien Wähler, die in Bayern mitregieren, unterstützen die bayerische Familienministerin: Das derzeitige Abtreibungsrecht stelle einen sorgfältig austarierten Kompromiss dar und sollte "nicht weiter angetastet werden", so der rechtspolitische Sprecher Hubert Faltermeier. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Ruth Waldmann, wirft Ulrike Scharf hingegen "Totalverweigerung" vor. "Bevor irgendwelche Klagen angedroht werden, sollte erst einmal der Vorschlag der Kommission abgewartet werden". Politisch zurückhaltend äußert sich die FDP-Fraktion: "Gegenseitige politische Vorwürfe helfen hier nicht weiter."

Paus will Kommission einsetzen

"All diese Fragen sind hoch komplex“, teilt Bundesfamilienministerin Lisa Paus dem BR mit. Deshalb soll nun eine Sachverständigenkommission prüfen, inwiefern man den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches regeln könnte. "Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Debatten“, so Paus.

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