Münchner Runde | 15.06.2022
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Die Münchner Runde am 15.06.22 (v.l.): Ronja Endres (SPD), Ulrike Scharf (CSU), Irina Volf, Christian Nitsche, Ulrich Singer (AfD), Jörg Mertens.

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Sozialministerin Scharf: Rentner wurden von der Ampel vergessen

9-Euro-Ticket, Tankrabatt und Bonuszahlungen reichen aus Sicht von Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) nicht aus, um Inflation und steigende Armut effektiv zu bekämpfen. In der "Münchner Runde" spricht auch die SPD von Nachbesserungsbedarf.

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Die Angst vor sozialem Abstieg ist groß. Jeder sechste Mensch in Deutschland gilt schon jetzt als arm. Steigende Preise und Rekordinflation verschärfen diese Entwicklung aktuell noch einmal. Die Bundesregierung will mit ihrem Entlastungspaket entgegenwirken - doch dafür hagelte es am Mittwochabend in der "Münchner Runde" viel Kritik.

Stromkosten schlucken Einmalzahlung

"Mit 200 Euro Einmalzahlung kann ich als Grundgesicherter gar nichts anfangen", meinte Jörg Mertens. "Das schluckt allein das erste Vierteljahr Stromkostenerhöhung, die ich jetzt wahrscheinlich zum 1. Juli bezahlen muss." Seit er wegen schwerer Erkrankungen nicht mehr arbeiten kann, ist er von Armut betroffen. Die letzte Rentenerhöhung bezeichnete der Münchner als "Witz". Diese fange nicht einmal die Hälfte der Inflation der vergangenen beiden Jahre auf. Das Problem werde daher immer größer. "Ich habe vor dem Winter Angst, ob ich noch genug zu essen haben werde."

"Enttäuschend": Scharf kritisiert Entlastungspaket

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kritisierte vor allem, dass die Rentnerinnen und Rentner von der Bundesregierung vergessen worden seien: "Im Entlastungspaket nicht drin, in der Energiepauschale mit 300 Euro jetzt nicht mit drin.“ Dem Bundesfinanzminister attestierte Scharf Zynismus, wenn dieser sage, dafür reiche das Geld nicht.

Ihrer Meinung nach müssten strukturelle Änderungen am Sozialsystem vorgenommen werden. Mit den Erhöhungen des Arbeitnehmerpauschbetrags, der Pendlerpauschale und des Freibetrags in der Einkommenssteuer seien einige Dinge gut auf den Weg gebracht worden. Angesichts der hohen Inflation seien die Maßnahmen aber unzureichend. "Die Erhöhungen sind so marginal, dass sie für diese Steigerungen, die wir haben, zu wenig sind", so die CSU-Politikerin.

Ulrike Scharf (CSU)
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Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kritisiert das Entlastungspaket der Ampel-Regierung.

AfD-Politiker Singer vermisst langfristige Lösungen

Hier erhielt Scharf Unterstützung von Ulrich Singer, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bayerischen Landtag. Die Menschen bräuchten verlässliche und langfristige Lösungen. "Da helfen ein 9-Euro-Ticket für drei Monate oder ein Trankrabatt für ein paar Wochen nicht weiter." Insgesamt solle sich der Staat "nicht so sehr einmischen", meinte Singer.

Er plädierte für weniger Steuern, damit "mehr Netto vom Brutto" bleibe und forderte eine langfristige Reduzierung der Energiekosten. Dort könne der Staat durch Steuersenkungen massiv und vor allem dauerhaft Entlastung schaffen. Die gescheiterte Energiewende habe Milliarden gekostet und das Ergebnis sei, dass sich Menschen vielfach die Energie nicht mehr leisten könnten.

Ulrich Singer (AfD)
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Der bayerische AfD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Singer fordert Steuerentlastungen für die Bürger.

Bayern-SPD sieht Bedarf für Nachbesserungen

Die Vorsitzende der Bayern-SPD, Ronja Endres, widersprach Singer hier klar. Der Preis für Strom wäre deutlich teurer, wenn es keine erneuerbaren Energien gäbe. Sie verteidigte grundsätzlich das Entlastungspaket der Bundesregierung, um in einem ersten Schritt die Inflation für die Menschen aufzufangen. Aber auch Endres betonte, dass dies noch nicht ausreiche. Es gebe "Signale aus Berlin", dass weitere Pakete folgen würden.

Außerdem müsse man am Sozialsystem nachbessern. Das sei langwieriger als Sofortzahlungen, lohne sich aber. Das Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll, sei hierzu ein wichtiger Schritt, "weil das Entlastung bringt und die Demütigung rausnimmt." Die SPD setze sich für einen starken Staat ein, aber in den letzten Jahren sei man in der Bundesregierung nicht mit dem richtigen Partner für solche Vorhaben in einer Koalition gewesen.

Ronja Endres (SPD)
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Die Vorsitzende der Bayern-SPD Ronja Endres verteidigt das Entlastungspaket der Bundesregierung und verspricht Nachbesserungen.

Armutsforscherin sieht Gefahr für die Demokratie

Mit Kritik an den politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte sparte auch Armutsforscherin Dr. Irina Volf in der Sendung nicht. "Armut ist kein persönliches Versagen. Es ist ein Ergebnis komplexer politischer Entscheidungen", sagte Volf, die am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main den Bereich Armut leitet. "Vier Millionen Menschen in Deutschland arbeiten Vollzeit und bleiben arm."

Entsprechend sei Armut ein strukturelles Problem und die aktuellen Bemühungen der Politik nur der Versuch, "ein Pflaster auf eine tiefe Wunde" zu kleben. Sie sieht darin auch eine Gefahr für die Demokratie. "Die Spaltung der Gesellschaft wird die Politik einholen."

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