Eine Selbsthilfegruppe für Muskelkranke trifft sich in Straubing.
Bildrechte: BR/Rothkegel

Eine Selbsthilfegruppe für Muskelkranke trifft sich in Straubing.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Selbsthilfe für Muskelkranke – ein Gemeinschaftsprojekt

Sich austauschen und verstehen - Für Kranke können Selbsthilfegruppen wichtig und hilfreich sein. Doch die Organisation verlangt den Ehrenamtlichen viel ab. Häufig lassen sich nur schwer Gruppenleiter finden.

Normalerweise ist der Behindertenparkplatz vor dem großen Wirtshaus in Straubing leer. Heute ist er allerdings ungewöhnlich voll. Thomas Zitzelsberger hat deshalb etwas weiter weg geparkt. Der 25-Jährige leidet seit seinem siebten Lebensjahr unter einer neuromuskulären Erkrankung und sitzt in einem E-Rollstuhl. Jeden zweiten Samstag im Monat trifft er sich in Straubing mit anderen Betroffenen. Der Austausch über die Krankheit mit Gleichgesinnten ist für ihn unersetzlich.

Gruppenmitglieder helfen sich gegenseitig

Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Muskelerkrankte (DGM) ermöglichen den Dialog zwischen Menschen mit ähnlichen Krankheiten. In verschiedenen Gruppen informieren sich Betroffene hier auch über die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung oder geben sich Tipps in Bezug auf Hilfsmittel. Denn sie müssen zum Teil mehrere Jahre warten, bis ihnen Hilfsgüter von der Krankenkasse genehmigt werden.

Die Gruppe kann schneller Hilfe leisten, erzählt Gruppenleiterin Gabriele Boettcher. Ihre Masken für die nächtliche Beatmung hat sie von einem verstorbenen Mitglied übernommen, die Joystick-Lenkung aus Thomas Zitzelsbergers barrierefreiem Auto kommt von ihr. Der Angehörige eines Gruppenmitglieds baut behindertengerechte Möbel.

Gruppen sind auf das ehrenamtliche Engagement angewiesen

Selbsthilfegruppen sind auf das Engagement ihrer Mitglieder angewiesen. "Aber das Problem der Krankheit ist, dass wir leider immer weniger werden," sagt Thomas' Mutter Charlotte. Eine Kontaktgruppe der DGM in Landshut löste sich im vergangenen Jahr auf, nachdem die Leitung erkrankt war und sich niemand mehr für die Nachfolge gefunden hatte.

Obwohl 84 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass Selbsthilfegruppen eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem spielen, fehlen die Menschen, die Verantwortung übernehmen. Laut einer Studie zum Stand der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland haben 60 Prozent der Leitungen in Selbsthilfegruppen Schwierigkeiten, Freiwillige zu finden.

Ohne die engagierte Leitung von Gabriele Boettcher gäbe es die Gruppe in Straubing wahrscheinlich auch nicht mehr. Sie organisiert Treffen, hält Kontakt zu den Mitgliedern und kümmert sich um Anfragen von Interessierten. Obwohl sie selbst unter Gliedergürteldystrophie leidet.

Eine Psychologin unterstützt die Gruppe

Ganz allein sind die chronisch Kranken aber nicht. Wo Selbsthilfegruppen an ihre Grenzen geraten, hilft Psychologin Albertine Deuter weiter. Sie ist Bezugsperson für mehrere Gruppen in Ober- und Niederbayern. Sie hilft in akuten Krisensituationen, wenn zum Beispiel jemand seine Diagnose frisch bekommen hat und nicht weiter weiß. Die Nachfrage ist groß, erzählt sie. Sie und ihr kleines Team seien mehr als gut ausgelastet. "Oft müssen wir ans Ehrenamt verweisen."

Die Erkrankung steht nicht im Vordergrund

Im Straubinger Wirtshaus herrscht eine lockere Atmosphäre. Alle sitzen in ihrem Rollstühlen zusammen am Tisch, essen Kuchen, unterhalten sich und lachen viel. Natürlich würden auch oft bedrückende Themen und Probleme besprochen, erzählt Gruppenleiterin Gabriele Boettcher. Sie schätzt es aber sehr, dass hier ihr schwarzer Humor besonders gut ankommt. "Wenn jemand zu mir sagt 'bleib ruhig sitzen', sage ich immer: 'Ich wäre gar nicht aufgestanden!", sagt sie und lacht.

"In erster Linie sind wir alle Menschen mit Bedürfnissen. Wir sind viel mehr als nur die Erkrankung", sagt Boettcher. Deshalb will sie die Treffen weiter organisieren. "Die Vorfreude, sich jeden Monat zu treffen, ist für mich das Schönste", erzählt Thomas Zitzelsberger. Der 25-Jährige ist dankbar, den Weg durch sein umgebautes Auto allein meistern zu können. Denn für andere Betroffene ist das keine Selbstverständlichkeit.

Dieser Beitrag entstand in der Lehrredaktion Audio/Video des Studiengangs Journalistik und Strategische Kommunikation an der Universität Passau in Zusammenarbeit mit Journalistinnen und Journalisten aus dem BR-Studio Niederbayern/Oberpfalz. Weitere Geschichten über die medizinische Versorgung in Niederbayern finden Sie unter www.br24.de/niederbayern.

Eine Selbsthilfegruppe für Muskelkranke trifft sich in Straubing.
Bildrechte: BR/Rothkegel
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Eine Selbsthilfegruppe für Muskelkranke trifft sich in Straubing.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!