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Muskelkrankheit SMA SMA: Neue Therapien, neue Hoffnung

Am Leben teilnehmen: Für rund vier Millionen Menschen in Deutschland ist das nur schwer möglich, denn sie haben eine seltene, manchmal unheilbare Krankheit. Die medizinische Forschung ist gerade für seltene Erkrankungen komplex und teuer. Doch manchmal gibt es so etwas wie ein kleines Wunder. Beispiel SMA, spinale Muskelatrophie: Seit kurzem gibt es jetzt eine Therapie gegen die tückische Krankheit. Welchen Patienten nutzen die lang ersehnten Medikamente, und wie wirken sie?

Von: Bernd Thomas

Stand: 26.08.2019

SMA: Wie neue Forschung helfen kann. Lachendes Kleinkind auf Wippe | Bild: BR

Ein Leben ohne Bewegung? Für die leidenschaftlichen Sportler Nina und Andreas Mörl undenkbar, für ihre Tochter Emma aber ist das anders: Sie hat viel ihrer ursprünglichen Bewegungsfähigkeit und Mobilität verloren. Emma hat SMA, spinale Muskelatrophie Typ 2, eine seltene Erkrankung. Rund einhundert Kinder werden hierzulande pro Jahr mit SMA geboren. Heute ist Emma 17 Jahre alt, schon vor sieben Jahren haben wir sie zum ersten Mal besucht.

SMA: verändertes Gen mit drastischen Folgen  

Beide Eltern sind gesund, aber Träger eines teilweise veränderten Gens, wie ungefähr jeder fünfunddreißigste bis fünfzigste, meist ohne davon zu wissen. Ein Kind solcher Eltern kann an SMA erkranken.

Durch die Genveränderung fehlt ein wichtiges Eiweiß, das die sogenannten Motoneurone, spezielle Nervenzellen des Rückenmarks, zum Wachsen und Überleben brauchen. Sie gehen zugrunde. Die Folgen sind dramatisch: Je nach Schwere der Erkrankung verlieren unterschiedlichste Muskeln früher oder später ihre Bewegungsfähigkeit und bilden sich immer mehr zurück. Kinder mit der schwersten Form der Krankheit, der SMA Typ 1, hatten bis vor kurzem nur eine Lebenserwartung von wenigen Monaten und Jahren.  

Intensive Forschung: Hoffnung auf Leben

Welches Gen SMA verursacht, ist seit 1995 bekannt. Schon langer wurde auch in Deutschland intensiv an möglichen Therapieansätzen geforscht. Aber bis vor kurzem gab es nur Tests, um zweifelsfrei festzustellen, ob und welche Form der SMA vorliegt und auch, ob ein Gesunder Träger eines veränderten Gens ist.

Neue RNA-Medikamente: Therapie mit Wirkung?

2016 kommt dann endlich die Nachricht, auf die alle gewartet haben. Eine neue Gruppe von Wirkstoffen, so genannte RNA-Medikamente, scheinen erstmals tatsächlich bei SMA helfen zu können. Die neuen Medikamente verändern gezielt die Struktur einzelner geschädigter Genabschnitte, der so genannten Boten-RNA. Die ursprüngliche Wirkung dieser Boten RNA wird damit wieder möglich. Im Falle von SMA bedeutet das: Durch das Medikament kann das fehlende Protein, das die Motoneurone zum Wachsen und Überleben brauchen, wieder gebildet werden. Die lebenswichtigen Zellen überleben. Zu Beginn der Behandlung sind innerhalb weniger Wochen mehrere Punktionen des Rückenmarks nötig. Alle vier Monate muss dann der Medikamentenspiegel aufgefrischt werden. Aber die Krankheit tatsächlich heilen können diese Wirkstoffe bisher nicht.  
Aber es gibt heute Medikamente, die auch oral aufgenommen werden können. Und selbst ein Genthearpie-Medikament, das Säuglingen unter ganz bestimmten Voraussetzungen nur einmal gegeben werden muss, wird schon vereinzelt eingesetzt.

Diagnose SMA: Überleben durch die neuen Therapien?

Kristina und Stefan Probst leben mit ihren Kindern Leo und Clara in der Nähe von Ulm. Clara wird im August 2016 geboren, drei Jahre nach ihrem älteren Bruder. Was damals ihre Eltern noch nicht wissen: Auch sie sind beide Träger des veränderten Gens. Leo hat Glück, er entwickelt sich völlig normal und ist gesund. Wenige Wochen nach Claras Geburt fällt ihren Eltern auf, dass sich ihre Tochter immer weniger bewegt, oft nur mit den Augen reagiert. Claras Leben ist akut in Gefahr. Anfang 2017 steht die Diagnose fest: Clara hat SMA Typ 1, für die Eltern ein Schock.    

Doch die Kinderärztin der Familie hat damals schon von Studien über die neuen Wirkstoffe erfahren. Clara bekommt ihre Chance. Als zweites Kind erhält sie in der Uniklinik Ulm die neuen RNA-Medikamente damals noch im Rahmen eines Härtefallprogramms. Aufgrund der Erfolge in den USA war eine Studie abgebrochen worden, um möglichst vielen Babys und Kleinkindern mit SMA schnell eine Behandlung zu ermöglichen.

Erfolgreich: Pilotprojekt Neugeborenen-Screening bei SMA

Im März 2018 wird der kleine Matthias geboren. Auch er hat SMA Typ1. Sein Glück: Familie Friedrich lebt in Bayern. Nach den Behandlungserfolgen mit den neuen Medikamenten läuft hier im Jahr 2018 ein Pilotprojekt für ein mögliches Neugeborenen-Screening. Alle Kinder werden routinemäßig auf SMA getestet, sobald sie geboren sind. Das Ziel der Ärzte ist es, mit der Behandlung zu beginnen, bevor überhaupt erste Symptome auftreten. Denn wenn sich Symptome zeigen, ist die Krankheit bereits fortgeschritten.    

"Man rechnet damit, dass innerhalb des ersten Lebenshalbjahres 90 Prozent der Nervenzellen abgestorben sind. Das heißt, wenn wir eine Therapie haben wollen, oder wenn wir mit einer Therapie rechtzeitig helfen wollen, müssen wir die Kinder schon erfassen, bevor sie überhaupt Symptome entwickeln."

Prof. Dr. med. Wolfgang Müller-Felber, ISPZ, Klinikum der Universität München

Matthias ist eines von acht Kindern, das im Rahmen der Pilotstudie durch die routinemäßige Untersuchung identifiziert und sofort nach der Geburt behandelt werden konnte. Er wird dabei regelmäßig nach den selben wissenschaftlichen Kriterien beurteilt, wie andere SMA-Kinder auch. Der Erfolg ist vielversprechend.

"Wenn man ihn so ansieht, unterscheidet er sich in Nichts von einem normalen Kind. Momentan würde man sagen, er ist ein völlig normal entwickeltes einjähriges Kind. Vor ein paar Jahren hätte er diese Entwicklung nicht nehmen können."

Prof. Dr. med. Wolfgang Müller-Felber, ISPZ, Klinikum der Universität München

Die Pilotstudie wurde inzwischen erfolgreich abgeschlossen. Aber bis ein SMA-Neugeborenen-Screening, das inzwischen schon beschlossen ist, bundesweit umgesetzt werden kann, dauert es wahrscheinlich noch.

"Diese Prozesse dauern einfach eine gewisse Zeit, sodass wir hier zwar sehr zügig jetzt dieses Projekt durchziehen konnten und es auch weiterhin als Pilotprojekt durchführen werden. Eine bundesweite Ausdehnung des Screenings dauert aber wahrscheinlich noch."

Prof. Dr. med. Wolfgang Müller-Felber, ISPZ, Klinikum der Universität München

Neue SMA-Therapie: Erfolge für alle Patienten?

Obwohl bei Clara, im Gegensatz zu Matthias, erst mit der Behandlung begonnen werden wurde, nachdem bereits deutliche Symptome zu sehen waren, macht auch sie stetig Fortschritte. Trotzdem wird sie mit Einschränkungen leben müssen. Wie gravierend und umfangreich sie sein werden, kann heute noch niemand vorhersagen. Valide Studienergebnisse gibt es bisher nur für Babys und Kleinkinder und das auch erst, seit es die Behandlung überhaupt gibt. Wissenschaftlich ist also noch Vieles ungeklärt. Dazu gehört auch die Frage, welche Patienten mit welchem Typ SMA von einer Behanldung profitieren.      

"Natürlich muss man hier abwägen. Wir haben hier letztlich keine Daten für die Wirksamkeit des Medikamentes bei Jugendlichen und bei Erwachsenen, und wir haben noch bei keinem Patienten letztlich bisher Langzeitdaten. ."

Dr. med. Claudia Wurster, Fachärztin für Neurologie, Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm

Jugendliche und Erwachsene mit SMA: Kleine Fortschritte – große Erfolge?

Auch jugendliche Patienten wie Emma, die ebenfalls alle vier Monate mit den Medikamenten behandelt wird, hoffen auf eine Verbesserung oder Stabilisierung ihrer Situation. Schon die Tatsache, dass Fortschritte möglich sind und es keine Rückschritte gibt, ist ein Erfolg. Auch scheinbar kleinste Fortschritte können von großer Bedeutung im Alltag sein.

Geduld und Zeit sind gefragt. Das weiß auch Ralf Schuster, 30 Jahre alt. Wie Emma hat auch er SMA Typ 2. Er weiß: Was er an Bewegungsfähigkeit verloren hat, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber auch er hofft auch einen Therapieerfolg. Wie viele SMA-Patienten hat er Probleme mit der Atmung. Schon eine einfache Erkältung kann für solche Patienten lebensbedrohlich werden. Können die neuen Medikamenten helfen? 

"Wir sehen bei einigen Patienten eine Verbesserung der Lungenfunktion. Das sind zwar oft nur zehn, fünfzehn, zwanzig Prozent, aber die können für den einzelnen Betroffenen schon eine größere Sicherheit geben."

Dr. med. Kurt Wollinsky, Beatmungssprechstunde, Muskelzentrum der Universität Ulm

Die kostspielige Behandlung, die von vielen Krankenkassen bezahlt wir, ist bei jugendlichen und erwachsenen Patienten, im Gegensatz zu Babys und Kleinkindern, oft aufwändig und nicht ohne Risiken. Bei Emma hat sich durch die Krankheit die Wirbelsäule verändert. Die Punktion muss mit Hilfe eines Computertomogramms erfolgen. Das ist, zusätzlich zur eigentlichen Medikamentengabe, die nur wenige Minuten dauert, eine komplizierte Angelegenheit, die viel Erfahrung und Wissen erfordert.

Hinzu kommt: Nicht alle Patienten sind so genannte Responder, sprechen gleich gut auf die Wirkstoffe an. Aber: Viele Jugendliche und Erwachsene bemerken an sich selbst Veränderungen, auch wenn die für Außenstehende scheinbar unbedeutend wirken.

"Also zum Beispiel, ich habe mehr Appetit und ich kann auch länger sitzen und bin generell fitter am Abend."

Emma

Ralf Schuster will, wie viele, die Therapie auf jeden Fall fortsetzen. Er ist berufstätig. Und dabei sind für ihn schon kleinste Bewegungen von entscheidender Bedeutung. Ein weiterer Verlust seiner Bewegungsfähigkeit würde wahrscheinlich das Aus seiner wissenschaftlichen Laufbahn bedeuten.

"Die Maus am PC zu bedienen ist natürlich für mich sehr wichtig, damit ich arbeiten kann. Deswegen hoffe ich darauf, dass mir das erhalten bleibt."

Ralf Schuster, Physiker

Er hat ebenfalls Veränderungen an sich bemerkt, die auch von Außenstehenden bestätigt werden: Er kann lauter sprechen, ist gesundheitlich stabiler und hat weniger Infekte. Er hofft, dass das auch auf Dauer so bleiben wird. Aber das wird sich erst in den nächsten Jahren erweisen. Trotzdem gibt es schon heute durchaus weitere interessante Entwicklungen. Die neuen RNA-Medikamente, haben, glaubt man Ärzten und Wissenschaftlern, auch für die Therapien anderer Erkrankungen Potential.

"Allein hier im Haus laufen klinische Studien für die Huntington Erkrankung, für eine genetische Form der ALS und auch für Alzheimerdemenzen stehen klinische Studien an. Das könnte möglicherweise ein Durchbruch sein. Dazu kommt noch, dass gerade für die SMA die Entwicklung weit darüber hinaus weitergeht. Es gibt erste Ansätze einer Gentherapie. Auch hierzu gibt es erste Studien und auch die sind sehr vielversprechend."

Dr. med. Claudia Wurster, Fachärztin für Neurologie, Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm

Patienten, Eltern, Ärzte: Zusammenarbeit für eine erfolgreiche Therapie

Claras Ärzte schätzen bei der Behandlung vor allem auch den Einsatz und die gute Zusammenarbeit mit ihren Eltern. Wichtige Anregungen und Informationen gerade für niedergelassene Kollegen kommen immer wieder von Eltern und Betroffenen selbst. Als Experten in eigener Sache sind viele Patienten und deren Angehörige heute international gut vernetzt und immer auf dem neuesten Stand, was Therapien und Forschungen angeht.

Selbsthilfeprojekt Muskeln für Muskeln: Aufklären und unterstützen

Muskeln für Muskeln: Jeder kann mitmachen

Jede Sportlerin, jeder Sportler kann sich für die Aktion „Muskeln für Muskeln“ engagieren, indem er für deren Ziele wirbt oder Spenden sammelt. Nach Absprache kann er dafür Werbematerial wie Trikots und Flyer nutzen. In den vergangenen Jahren kamen auf diese Weise rund 150.000 Euro zusammen, die an die „Initiative Forschung und Therapie für SMA“ weitergegeben wurden.

Selbsthilfearbeit unterstützt und fördert die Forschung heute oft ganz konkret. Schon 2009 gründeten Nina und Andreas Mörl gemeinsam mit ihrem Freund Florian Bauer die Aktion Muskeln für Muskeln – Sportler für SMA. Inzwischen werben neben vielen Breitensportlern auch zahlreiche Promis und Profis als SMAider und Botschafter der Aktion in ganz Deutschland. Das Prinzip und die Idee leuchten ein: Diejenigen, die als Sportler ihre Muskeln besonders intensiv nutzen, setzen Kraft und Engagement für diejenigen ein, deren Muskelkraft durch die Erkrankung bedroht wird. Ziel ist, die seltene Muskelerkrankung SMA bekannter zu machen und weitere Gelder für die Forschung zu sammeln. Inzwischen hat sich die Aktion, die rein ehrenamtlich organisiert ist, zu einem wichtigen Motor der SMA-Selbsthilfearbeit in Deutschland entwickelt.

Inklusion und selbstbestimmtes Leben – mit SMA

Ein weiteres wichtiges Ziel ist, auch über das tägliche Leben mit SMA aufzuklären und nicht zuletzt für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Betroffenen und ihrer Familien zu kämpfen. Denn immer noch gibt es viele Hürden und Probleme, die dem Ziel der Inklusion im Wege stehen.

Eine Erfahrung, die auch Familie Probst schon mehrfach machen musste. Die Freude über Claras Fortschritte wird immer wieder getrübt durch zermürbende Auseinandersetzungen mit Bürokratie und Behörden. Für Claras Eltern eine zusätzliche Belastung zum ohnehin schon anstrengenden Familienalltag.

"Die ganzen Hilfsmittel, die Beantragungen, die Arztbesuche. Es ist jede Woche wieder etwas was und man denkt immer, jetzt hat man das Hilfsmittel und jetzt ist, aber dann kommt was Neues, es geht immer weiter."

Kristina Probst

Internationale Selbsthilfe: Impulsgeber für die Forschung

Unter dem Dach der „Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V.“ setzt sich die „Initiative Forschung und Therapie für SMA“ dafür ein, dass Forschungsgelder, die die internationale Selbsthilfe zur Verfügung stellt, gezielt für erfolgversprechende Projekte eingesetzt werden. Inzwischen sind die Selbsthilfeverbände so zu wichtigen und kompetenten Ansprechpartnern vieler Forschungseinrichtungen geworden.


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