Wer auf einen Bauernhof einheiratet und mit den Schwiegereltern unter einem Dach wohnt, braucht Unterstützung von seinem Partner, getrennte Wohnbereiche und klare Absprachen. Den Wiedenmanns aus Neu-Ulm ist das gelungen.
Bildrechte: © Bayerischer Rundfunk / Unser Land 2024

Wer auf einen Bauernhof einheiratet und mit den Schwiegereltern unter einem Dach wohnt, braucht Unterstützung von seinem Partner.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Einheirat auf dem Bauernhof: Ein Rollenbild im Wandel

Immer mehr Frauen, die auf einem Bauernhof einheiraten, stammen selbst nicht aus der Landwirtschaft. Das bringt andere Ansichten und frischen Wind auf die Höfe. Doch die Herausforderungen für die Einheiratenden sind immer noch groß.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Als Jessica Wiedenmann mit gerade mal 19 Jahren ihren Mann Johannes kennenlernt, hat sie keinerlei Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Doch schnell wird klar, das mit ihm und dem Hof kann sie sich gut vorstellen.

Sie studiert Landwirtschaft und zieht nach dem Studium zu ihm auf den Hof in Neu-Ulm. Mittlerweile lebt sie dort seit zehn Jahren, mit ihren Schwiegereltern versteht sie sich sehr gut. Trotzdem war schnell klar: Leben im Mehrgenerationenhaus wie früher in einer gemeinsamen Wohnung, in der man sich Wohnzimmer und Küche teilt, das kann Jessica sich nicht vorstellen.

Privatsphäre und Familienzeit rücken in den Fokus

Ein eigenes Wohnzimmer ist für die 29-Jährige unabdingbar. "Ich brauche das, dass ich abends zur Ruhe kommen kann. Und auch mal mit meinem Mann Themen besprechen kann, die ich nicht unbedingt mit den Schwiegereltern besprechen möchte." Gerade bauen die Wiedenmanns noch weiter um – bald haben sie nicht nur eine eigene Wohnungstür, sondern auch einen eigenen Hauseingang, so dass sie kommen und gehen können, ohne dass die Schwiegereltern das mitbekommen.

Wichtig ist für Jessica auch, dass die Arbeit auf dem Hof nicht ihr gesamtes Leben samt Freizeit einnimmt. Bis zur Geburt von Sohn Anton war sie Projektmanagerin beim Ulmer Schlachthof. Seit zwei Jahren ist sie jetzt in Elternzeit, bald kommt ihr zweites Kind zur Welt. Und für die Kinder da sein, das hat für Jessica Priorität. "Wir möchten nicht unsere Kinder abgeben zur Betreuung bei Oma und Opa, damit wir hier arbeiten können. Ich möchte meine Elternzeit mit den Kindern auch genießen."

Bildrechte: BR/Stefanie Heiß
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Jessica Wiedenmann mit ihrem Mann Johannes und dem zweijährigen Sohn Anton

Hof und Arbeit sind wichtig – aber nicht alles

Das ist eine Einstellung, die man mittlerweile häufiger trifft auf Höfen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt über Frauen in der Landwirtschaft der Universität Göttingen und des Thünen-Instituts. Sie unterscheidet sich deutlich von den bisher gelebten Prinzipien auf landwirtschaftlichen Betrieben.

"Die landwirtschaftlichen Familien haben häufig ein Arbeitsethos, wo der Betrieb zuerst kommt, wenig Urlaub gemacht wird und wenig Freizeit bleibt", sagt Wissenschaftlerin Zazie von Davier vom Thünen-Institut. Gerade Frauen, die selbst nicht vom Hof stammen, würden diese Lebensweise jetzt in Frage stellen.

Umdenken bei Arbeitsaufteilung in jungen Landwirtsfamilien

Es sind jedoch nicht nur die Frauen, die umdenken und ein neues Rollenverständnis entwickeln. Johannes Wiedenmann sagt ganz klar: "Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen." Dass sich nur die Frau um die Kinder kümmert, das kommt für die Wiedenmanns nicht in Frage. Sie teilen sich die Kindererziehung auf. Vormittags ist der zweijährige Anton mit seinem Vater auf dem Hof unterwegs, sitzt mit auf dem Lader, mischt Futter für die Kühe an und hilft mit viel Eifer, den Stall zu kehren. Nachmittags kümmert sich Jessica um ihn. So verbringen beide Eltern Zeit mit ihrem Sohn, haben aber auch ihre Freiräume.

Dazu kommt, dass die Wiedenmanns einen, bald zwei Angestellte auf 450-Euro-Basis beschäftigen – eine Maßnahme, die früher für viele Landwirte nicht in Frage gekommen wäre. "Klar kostet das Geld, aber wenn wir doch mal ausfallen oder ein paar Tage wegfahren wollen, dann wissen die schon, wie unser Betrieb läuft und können problemlos einspringen", sagt Johannes.

Und genug Arbeit gibt es allemal: Bei der Hofübernahme haben sich die Wiedenmanns dazu entschieden, neu zu bauen und zu erweitern – von 30 auf 120 Milchkühe. Umso mehr müssen sie jetzt schauen, dass genug Zeit für ihr Familienleben bleibt. Im September kommt ihr zweites Kind zur Welt. Eine Zeit, die Johannes aktiv miterleben und nicht nur bei der Arbeit im Stall verbringen will.

Zusammenhalt der Ehepartner extrem wichtig

Die Work-Life-Balance hält Einzug auf immer mehr Bauernhöfen. Mindestens genauso entscheidend für das Wohlbefinden der Einheiratenden ist ein gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern. An den typischen Konfliktfeldern hat sich bis heute wenig geändert: Meinungsverschiedenheiten gibt es vor allem bei den Themen Kindererziehung und Privatsphäre sowie bei betrieblichen Fragen.

Entscheidend dabei ist für Jessica, dass ihr Mann Johannes immer hinter ihr steht. "Wir ziehen immer am gleichen Strang. Wenn wir was durchsetzen wollen, dann sind wir beide vorher schon im Reinen, wie wir das machen wollen, und besprechen es dann mit den Schwiegereltern."

Gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern entscheidend

Die Wiedenmanns Senior machen es ihren beiden Hofnachfolgern leicht. Schwiegermutter Christa Wiedenmann sagt: "Natürlich gibt es Dinge, wo ich denke, ich würde es jetzt anders machen. Aber man muss die Jungen jetzt einfach machen lassen." Sie hat damals selbst auf den Hof eingeheiratet und viele Konflikte mit ihren Schwiegereltern erlebt. Streit gab es vor allem bei der Kindererziehung – und weil Christa Wiedenmann bei betrieblichen Entscheidungen oft nicht einbezogen wurde. "Ich habe immer gedacht, den Fehler mache ich später mal nicht."

Johannes' Vater, Siegfried Wiedenmann, sieht das ähnlich. Als die Idee zum Stallneubau auf den Tisch kam, war er die treibende Kraft, den Neubau direkt in die Hände und die Verantwortlichkeit von Jessica und Johannes zu geben. Ein reibungsloser Übergang – nicht überall gelingt das so gut.

Bildrechte: BR/Stefanie Heiß
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Zwei, die sich gut verstehen: Jessica Wiedenmann mit ihrer Schwiegermutter Christa Wiedenmann (links im Bild)

Konflikte mit Schwiegermüttern nehmen ab

Häufig gibt es Konflikte zwischen der einheiratenden Schwiegertochter und der Schwiegermutter – doch die werden weniger, so das Ergebnis der Studie zu Frauen in der Landwirtschaft. "Es gibt offensichtlich einen Diskurs, wie man miteinander umgeht. An der Kommunikationsfähigkeit wurde in den letzten Jahrzehnten stark gearbeitet", sagt Wissenschaftlerin Zazie von Davier. Häufig seien es auch die Schwiegermütter, die den Frauen Arbeit abnehmen. "Die Schwiegermutter hat zwei Seiten, nicht nur eine negative. Das wurde sehr deutlich."

Finanzielle Absicherung der einheiratenden Frauen

Viele Frauen, die heute auf einen Bauernhof einheiraten, sind so wie Jessica berufstätig. Oftmals bleiben sie aber nach der Geburt der Kinder zuhause und kehren nicht in ihren Beruf zurück. Oder sie arbeiten von Anfang an mit auf dem Bauernhof. Dazu kommt die Care-Arbeit: Kinder und Haushalt. Was fehlt, ist häufig die vertraglich festgehaltene Absicherung der Ehefrau. "Es ist sehr wichtig – am besten vor der Ehe – aufzuschreiben, was soll denn passieren, wenn die Ehe geschieden wird und wie wird die Frau entgolten", fordert Zazie von Davier.

Gleiches gilt für die Altersvorsorge. Viele ältere Frauen würden es heute bereuen, dass sie sich darum nicht gekümmert haben. Ein heikles Thema, vor dem sich die Wiedenmanns nicht gescheut haben. Sie haben einen Ehevertrag, der Jessica im Falle einer Scheidung für jedes Jahr, das sie auf dem Hof gelebt und gearbeitet hat, eine bestimmte Summe garantiert.

Die Einheirat in ein Mehrgenerationenhaus bringt viele Herausforderungen mit sich, denen sich die Wiedenmanns bisher sehr erfolgreich stellen. Ihr wertvollster Tipp für andere, die in einer ähnlichen Konstellation auf einem Mehrgenerationenhof leben: "Viel miteinander sprechen. Und beide Seiten immer hinterfragen. Nicht nur die eigene sehen, sondern auch die andere Seite."

Video: Einheirat auf dem Bauernhof - nicht immer einfach!

In der Serie "Hofgeflüster" besucht "Unser Land"-Reporterin Stefanie Heiß Höfe in Bayern. Hier geht es in mehreren Folgen um Themen, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Alle Videos der "Hofgeflüster“-Serie gibt es hier.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!