Ein Rettungswagen steht vor einer Notaufnahme eines Krankenhauses.
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Bei einem Großteil der Notrufe wäre es nicht nötig gewesen, einen Rettungswagen zu schicken. Das überlastet das System und die Sanitäter selbst.

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Rettungsdienst: Einsatzkräfte klagen über zu viele Fehleinsätze

Nicht nur steigende Einsatzzahlen und fehlendes Personal überlasten Rettungskräfte, sondern auch häufige Fehleinsätze: Viele Notrufe entpuppen sich als leichtere Fälle, die gar keinen Rettungswagen erfordert hätten. Das hat gefährliche Konsequenzen!

Über dieses Thema berichtet: PULS Reportage am .

Mit Blaulicht und Martinshorn kämpfen sich Notfallsanitäter Fabian Wolf und seine Kollegin mit ihrem Rettungswagen des Arbeiter-Samariter-Bundes durch den Münchner Feierabend-Verkehr. Ein 91-Jähriger soll im Seniorenheim kollabiert sein.

Wolfs Job ist riskant: Die Gefahr für einen tödlichen Unfall ist bei einer Notfall-Fahrt viermal so hoch wie bei einer Fahrt ohne Blaulicht und Martinshorn. Um so ärgerlicher, wenn der vermeintliche Notfall dann gar kein echter Notfall ist.

BRK: Rund 70 Prozent der Einsätze sind Fehleinsätze

Mit Notfallrucksack, EKG und Trage rücken Wolf und seine Kollegin im Seniorenheim an. Dort stellt sich aber schnell heraus: Der ältere Herr braucht zwar medizinische Hilfe – ein Notfall ist das hier aber nicht. Fabian Wolf ist frustriert: "In der Zeit kann es sein, dass der Rettungswagen dort fehlt, wo er dringender benötigt wird", sagt er. Er und seine Kollegin fahren den Patienten trotzdem in ein nahe gelegenes Krankenhaus.

Dieser sogenannte Fehleinsatz ist kein Einzelfall. Das Bayerische Rote Kreuz schätzt auf BR-Anfrage, dass die Zahl dieser Fehleinsätze bei rund 70 Prozent liegt. Das heißt: Nur in einem Drittel der Notfall-Einsätze des BRK in diesem Jahr hätte es den Rettungswagen wirklich gebraucht. Das Bayerische Rote Kreuz deckt mit seinen Fahrzeugen rund 80 Prozent der Notfallrettung im Freistaat ab – und hat deshalb einen guten Überblick über die Einsatzlage.

Und auch Fabian Wolf hat den Eindruck, dass er erschreckend oft an Orte geschickt wird, an denen er eigentlich nicht gebraucht wird: "Es gibt ganze Wochen, wo wir keinen einzigen Einsatz haben, wo wir der richtige Ansprechpartner waren", sagt er.

Notruf nur für lebensbedrohliche Notfälle

Der Notruf unter der 112 ist für die wirklich lebensbedrohlichen Fälle – zum Beispiel wenn jemand bewusstlos ist, keine Luft mehr bekommt oder bei schweren Unfällen mit großen Wunden. Für alle nicht lebensbedrohlichen medizinischen Problemen sollte zuerst der Hausarzt kontaktiert werden – oder wenn das nicht geht, die Hotline 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB).

Allerdings kommt hier die Hilfe meist deutlich langsamer – oder man wird an die Bereitschaftspraxen verwiesen. Das Bayerische Rote Kreuz kritisiert zudem die teilweise langen Wartezeiten an der Hotline der KVB. Auch deshalb wählen nach BRK-Einschätzung viele Menschen den Notruf in nicht lebensbedrohlichen Fällen, weil sie hoffen, so schneller Hilfe zu bekommen. Das kann dazu führen, dass für echte Notfälle die Rettungswägen fehlen.

Feuerwehr-Gewerkschaft: Es kommt auch in München zu Engpässen

Wenn Rettungswägen wegen nicht lebensgefährlichen Magen-Darm-Beschwerden oder verstauchten Knöcheln gerufen werden, müssen echte Notfälle im Extremfall länger warten. Auf BR-Anfrage teilt die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft mit, dass es nach ihrer Einschätzung auch in München mehrmals pro Woche zu Engpässen kommt, bei denen keine durch die Münchner Rettungsdienste vorgehaltenen Rettungswägen mehr zur Verfügung stehen.

Zu solchen Zeiten müssten dann Wägen aus den umliegenden Rettungsdienstbereichen in die Landeshauptstadt disponiert werden. Dies führe zu längeren Anfahrtszeiten und setze einen fatalen Kreislauf in Gang – denn in diesen Zeiten stünden in den entsendenden Bereichen auch keine Rettungswägen mehr zur Verfügung.

Personalnot: Hohe Arbeitsbelastung im Rettungsdienst

Auch wenn Notfallsanitäter Fabian Wolf den Job im Rettungsdienst liebt: Die Arbeitsbedingungen sind aus seiner Sicht zu schlecht. Deswegen macht er den Job nur noch in Teilzeit. Er kritisiert die Bezahlung, die der hohen psychischen wie körperlichen Belastung und der großen Verantwortung nicht gerecht werde.

Damit ist er nicht alleine: In einer aktuellen Befragung der Gewerkschaft Verdi sagt mehr als ein Drittel der befragten Rettungsdienst-Mitarbeiter, dass sie ihren Job sofort wechseln würden, wenn sie dazu die Chance hätten. Die Fachkommission Rettungsdienst im Verdi-Landesbezirk Bayern schätzt, dass im Freistaat derzeit zehn bis 15 Prozent des Personals im Rettungsdienst fehlt. Dies könne nach Einschätzung der Gewerkschaft derzeit gerade noch vom vorhandenen Personal durch Mehrarbeit und Überstunden aufgefangen werden.

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