Drei junge Frauen sitzen um einen runden Tisch, hinter dem eine Stehlampe leuchtet
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Der Co-Working Space "KultWork" in der Altstadt von Nördlingen ist der erste im Landkreis Donau-Ries

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Neues Arbeiten: Co-Working Space auf dem Land

In Großstädten gibt es Co-Working Spaces schon lange, auf dem Land sind sie noch selten: In Nördlingen gibt es mit dem „KultWork“ den ersten im Landkreis Donau-Ries. Doch das Vermieten von Arbeitsplätzen allein reicht als Geschäftsmodell nicht aus.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Am Frühstückstisch bei Familie Vogler in Ederheim im Landkreis Donau-Ries: Statt im Homeoffice zu arbeiten, macht sich Frank Vogler bereit, um zum Co-Working Space ins nahe Nördlingen zu fahren. Dort war er noch nie und will es ausprobieren. Das Ziel: Konzentrierter zu arbeiten als daheim. "Vormittags sind die Kinder in der Schule und im Kindergarten, aber nachmittags gibt’s dann schon den ein oder anderen Moment, wenn man ein wichtiges Telefonat zu führen hat, da muss man sich als Eltern gegenseitig absprechen, um die Kinder ein bisschen im Zaum zu halten", sagt Frank Vogler.

Erster Co-Working Space im Landkreis Donau-Ries

Eine halbe Stunde später im "KultWork" mitten in der Nördlinger Altstadt: Auch hier gibt es einen gewissen Lärmpegel, aber Frank Vogler hat sich gleich einen Tisch in einer ruhigen Ecke ausgesucht – auch weil er selbst heute einige Telefonate führen will. "Homeoffice-Flüchtlinge", nennt Theresa Ulbricht Menschen wie Frank Vogler. Seit fünf Monaten betreibt sie den ersten Co-Working Space im Landkreis Donau-Ries. Im "KultWork" seien die Nutzer gemischt: Zu den Homeoffice-Flüchtlingen kämen die Selbstständigen und Kreativen, die kein eigenes Büro mieten wollen oder können, aber auch eine Studentin ist heute da.

Das Arbeiten wird immer unabhängiger vom Ort

Vereinfacht gesagt geht es im "KultWork" wie in allen Co-Working Spaces darum, Büroarbeitsplätze zu vermieten. Es gibt Tages- oder Monatspässe. Wer sich einmietet, bekommt einen Platz, Strom, Internet, kann den Drucker nutzen oder eine der "Telefonzellen". Das sind kleine Räume, in denen man ungestört telefonieren kann. Auch einen Meeting-Raum gibt es. Frank Vogler hat schon sein Headset aufgesetzt und erledigt den ersten Videoanruf zunächst von seinem Platz. Er arbeitet bei einem großen Unternehmen aus der optischen Industrie. Dort ist er Vertriebsleiter für komplexe Mikroskopsysteme. Er kann zwar auch jeden Tag 40 Minuten in die Firma fahren, dort hat er aber gar kein eigenes Büro mehr. Frank Vogler ist ein Beispiel dafür, wie das Arbeiten in vielen Berufen immer unabhängiger vom Ort wird.

35 Co-Working Spaces auf dem Land in Bayern

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gibt es bundesweit 142 Co-Working Spaces im ländlichen Raum, 34 davon in Bayern. Mit dem Nördlinger "KultWork" sind es jetzt 35. Die Autoren der Studie betonen, dass die Corona-Pandemie die digitale Transformation beschleunigt habe. Immer mehr Menschen hätten deshalb nicht den "einen" Arbeitsort. Die Autoren der Studie nennen dieselben Gründe fürs Co-Working, wie Theresa Ulbricht aus Nördlingen: keine Lust auf Homeoffice, sich mit anderen Menschen vernetzen oder sich den weiten Weg zum Arbeitsplatz in der Stadt sparen.

Menschen nutzen Co-Working Spaces zum Austausch untereinander

In der Studie der Bertelsmann-Stiftung machen die Autoren Unterschiede zwischen den Co-Working Spaces in der Stadt und auf dem Land aus. Zum einen seien die Nutzerinnen und Nutzer auf dem Land diverser als in der Stadt – es arbeiten dort also nicht nur die Kreativen mit Hochschulabschluss. Zum anderen hätten die Co-Working Spaces auf dem Land eines gemeinsam: Den Netzwerkgedanken. Co-Working funktioniere dort, wo sich Menschen austauschen können. Unterm Strich seien Co-Working Spaces aber bisher nur selten wirtschaftlich zu betreiben.

Wegen Corona droht Kurzarbeit

Auch Theresa Ulbricht muss kämpfen. Mit steigenden Corona-Inzidenzen weichen viele doch lieber wieder ins Homeoffice aus. Weil es noch keinen Referenzumsatz aus vorherigen Jahren gibt, bekomme sie auch keine staatlichen Hilfen, sagt Ulbricht. Im Dezember werde das "Kultwork" aller Voraussicht nach Kurzarbeit anmelden, zumindest vorübergehend, bis die vierte Corona-Welle vorbei sei.

Mehrere Standbeine, um mit dem Co-Working Space Geld zu verdienen

Aber funktioniert das Geschäftsmodell auf dem Land ganz generell überhaupt, wo viele ein Haus besitzen, in dem genug Platz für ein Arbeitszimmer ist? "Die Nachfrage ist auf dem Land sicher geringer, aber wir haben drei Beine, auf denen wir stehen", sagt Theresa Ulbricht. Neben dem Co-Working können Firmen die Räume für kleine Feiern, Events oder Präsentationen mieten. Außerdem steht der Name "KultWork" für Kultur: Vernissagen und Afterwork-Feiern sorgen für Umsatz bei Getränken und machen den Co-Working Space bekannter.

Die Hoffnung: Das Aussterben der Innenstädte abmildern

Ein weiterer Aspekt: Co-Working Spaces in eher ländlichen Gegenden könnten dazu beitragen, das Aussterben der Innenstädte abzumildern. Das "KultWork" ist dafür ein Beispiel. Auch in Nördlingen gibt es einige Leerstände in der mittelalterlichen Altstadt. Der Co-Working Space ist deshalb offenbar auch im Interesse der Region: Sowohl Nördlingens Oberbürgermeister David Wittner (PWG) als auch der Donau-Rieser Landrat Stefan Rößle (CSU) kamen zur Eröffnung ins "KultWork".

Bundeslandwirtschaftsministerium gibt Tipps für Co-Working Spaces

Auf allen Ebenen scheinen Co-Working-Konzepte derzeit erwünscht. Das Ministerium von Noch-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat Anfang des Jahres eine Broschüre herausgegeben. Darin gibt's Tipps für Gründerinnen und Gründer von Co-Working Spaces und Hinweise zu Förderungen. Die Ministerin selbst sieht Vorteile darin, dass Pendelzeiten wegfielen und sich Familie und Beruf besser vereinbaren ließen. Außerdem könnten Co-Working Spaces die Entwicklung der Region fördern und Fachkräfte am Ort halten.

Gründerin ist überzeugt: Co-Working auf dem Land wird immer populärer

Trotz des schwierigen Starts in der Pandemie glaubt Theresa Ulbricht an die Zukunft. Sie selbst arbeitet als Social-Media-Beraterin ortsunabhängig. "Das höchste Gut ist inzwischen die Zeit, dessen werden sich immer mehr Leute bewusst. Ich bin überzeugt, dass Co-Working auf dem Land immer populärer wird und dass wir hier Vorreiter sein können. Wenn wir in zehn Jahren noch mal hier stehen, gibt es vielleicht noch fünf andere, die ähnlich aufgestellt sind wie wir."

Guter Kaffee und ein Bummel durch die Stadt

In ihren Interviews für die Studie zu Co-Working Spaces auf dem Land fanden die Autoren der Bertelsmann-Stiftung übrigens heraus: Guter Kaffee ist ein wichtiges Kriterium für ein Co-Working Space. Den gibt es auch im Nördlinger "KultWork" – von einer regionalen Rösterei. Auch für Frank Vogler ein Argument, im "KultWork" zu arbeiten. Zum Feierabend ist sein Fazit positiv: "Das Arbeiten war sehr angenehm", sagt der Vertriebsleiter. Und als Dorfbewohner sei er mal wieder in die Stadt gekommen: "Ich habe zwischendurch ein paar Erledigungen in der Stadt machen können – ich kann mir gut vorstellen, hier mal wieder zu arbeiten."

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