Um Personal freizuhalten und die Intensivstationen nicht zusätzlich zu belasten, verschieben Kliniken immer wieder Operationen.
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Um Personal freizuhalten und die Intensivstationen nicht zusätzlich zu belasten, verschieben Kliniken immer wieder Operationen.

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An bayerischen Krankenhäusern werden wieder mehr OPs verschoben

Um Personal freizuhalten und die Intensivstationen nicht zusätzlich zu belasten, verschieben Kliniken immer wieder Operationen. Vereinzelt müssen dabei auch dringende Eingriffe um ein paar Tage verlegt werden.

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN am .

"Die Ressource Intensiv war schon immer knapp", sagt Michael Beyer, ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Augsburg. In der Coronakrise ist sie noch knapper geworden. Er erzählt von den Besprechungen mit Kollegen am Vortag von OP-Terminen. "Da sagt einer, ich habe einen Patienten mit Hirntumor – ich muss den operieren. Dann kommt der Allgemeinchirurg: Ich hab einen Tumorpatienten, da droht vielleicht ein Darmverschluss. Dann kommt der Herzchirurg und sagt: Mein Patient bekommt keine Luft mehr, ich muss die Klappe ersetzen."

Die Ärzte müssen entscheiden, welcher Patient am dringendsten ist – und wer noch einen Tag warten kann. Man kämpfe ständig mit einem Rückstau an Eingriffen. "Weil es nie gelingt, all die Patienten, die man eigentlich operieren will, tatsächlich zu operieren", sagt Beyer.

Verschobene OPs sollen Gesundheitssystem entlasten

Kliniken in Bayern verschieben zunehmend wieder planbare Operationen. Das entlastet den Betrieb und hält Personal frei. Denn die Situation auf den Intensivstationen ist angespannt: Betten müssen für Covid-Patienten freigehalten werden, teils wurden Ärzte und Pflegekräfte dorthin abgezogen. Von Terminverschiebungen betroffen sind vor allem elektive Eingriffe: planbare Operationen, bei denen nicht sofort gehandelt werden muss. Das kann die Knie- oder Hüft-OP sein, ein unkritischer Leistenbruch, eine Magenverkleinerung oder eine OP zur Entfernung von Schrauben oder Platten nach Knochenbrüchen.

Denn nach manchen Operationen landen Patienten zumindest ein, zwei Tage auf der Intensivstation, bei Komplikationen auch länger. Notfälle würden weiterhin sofort versorgt, heißt es von der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Etwa bei Schlaganfall oder Herzinfarkt, bei einem gefährlichen Tumor oder nach einem schweren Unfall. Fehlen einem Krankenhaus die Kapazitäten, wird der Patient in ein anderes verlegt.

Situation bayernweit unterschiedlich

Ob und welche Eingriffe verschoben werden, liegen im ärztlichen Ermessen. Die Situation ist je nach Einrichtung sehr unterschiedlich – und kann sich tagtäglich ändern. In Würzburg und Rosenheim sind derzeit noch keine Einschränkungen bei geplanten Operationen nötig. In den Kliniken Südostbayern werden Verschiebungen versucht, auch wenn drängendere Gelenkersatz-OPs in Trostberg und Berchtesgaden möglich sind. In Deggendorf sind rein elektive Operationen schon seit November gestoppt, teilweise werden auch onkologische OPs verschoben.

Auch in Ingolstadt werden keine planbaren Eingriffe mehr vorgenommen, bei denen der Patient im Anschluss ein Intensivbett benötigt. An verschiedenen Kliniken in München kommt es ebenfalls zu Verschiebungen. Am LMU-Klinikum wird bei weniger dringlichen Patienten einen Tag zugewartet, wenn am Morgen der OP nicht genug Intensivbetten zur Verfügung stehen. Die Patienten bekommen dafür am nächsten Tag eine höhere Priorität. Nimmt die dritte Welle Fahrt auf, könnten die ohnehin reduzierten OP-Kapazitäten noch weiter eingeschränkt werden.

Oft sind Knie- und Hüft-OPs betroffen

Häufig werden Gelenkersatz-Operationen verschoben. Schon in der ersten und zweiten Welle wurden viele Termine auf Eis gelegt – manche Kliniken kämpfen noch mit dem Rückstau. Eine Knie- oder Hüftprothese einzusetzen, ist zwar meist nicht dringend.

Doch auch elektive Eingriffe lassen sich nicht endlos verschieben. "Die Prothese gibt im Normalfall Mobilität und Lebensqualität", sagt Rüdiger von Eisenhart-Rothe von der Klinik für Orthopädie am Rechts der Isar. Wenn Patienten monatelang auf den Eingriff warten, leiden sie oft unter chronischen Schmerzen und sind auf Schmerzmittel angewiesen, die wiederum Nebenwirkungen haben können.

Patienten verschieben Termine aus Angst oft selbst

Gerade ältere Patienten würden schnell schwächer, unbeweglicher und könnten stürzen. In bestimmten Konstellationen könnten sich so auch Operationsergebnisse verschlechtern. "Wenn die Patienten ein halbes Jahr, ein Jahr, länger warten, haben sie mehr Knochenverlust, die Bänder können schlechter werden, eine Fehlstellung kann zunehmen." Womöglich würden größere Implantate benötigt, so könnte sich die Operationszeit verlängern und die Komplikationsrate steigern.

Allerdings verschieben Patienten oft auch selbst ihre Termine auf eine Zeit nach der Impfung – aus Angst vor Ansteckung. Eisenhart-Rothe rät: Wer sich mit Schmerzen quält, soll weiterhin dringend einen Arzt aufsuchen. Es sei wahrscheinlicher, sich im Supermarkt um die Ecke Corona einzufangen als im Klinikum.

Deutsche Krebshilfe: Versorgung "hochgefährdet"

Die Deutsche Krebshilfe warnte kürzlich, dass die Versorgung von Krebspatienten "hochgefährdet" sei. Viele Erkrankungen würden zu spät entdeckt, weil die Menschen weniger zur Früherkennung gehen. Dann könne schlechter behandelt werden, Langzeitfolgen seien noch nicht absehbar. Vereinzelt käme es auch zu Verzögerungen bei nicht dringlichen Operationen.

Der Bayerischen Krebsgesellschaft sind im Freistaat keine negativen Rückmeldungen bekannt. Dringende Tumor-OPs finden statt, heißt es von den angefragten Kliniken. In einzelnen Fällen gibt es aber etwa am Universitätsklinikum Augsburg auch bei Krebsbehandlungen kurzzeitige Verzögerungen, wenn das je nach Art der Symptome und Aggressivität der Erkrankung möglich ist. "Wir haben Patienten, die auf zwei, drei, vier Tage verschoben werden müssen, weil sie dort nicht wie geplant ein Bett haben", sagt Oberarzt Marcus Murnauer.

Verschiebungen sind oft belastend für Patienten

Oft werden Operationen sehr kurzfristig verschoben. Für die Patienten und Angehörigen ist das belastend. Auch hinter vermeintlich elektiven Eingriffen stehen Schicksale, sagt Michael Beyer – und nennt eine Brustkrebspatientin, die sehnsüchtig auf ihre OP zum Brustaufbau wartet, um sich wieder als Frau fühlen zu können. "Klar, da sagt man, das ist elektiv, verschiebbar, ist doch nicht notwendig. Aber für die Frau ist das ein psychologisches Drama, wenn sie dir sagen, die nächsten Wochen können wir das nicht tun."

Was tun, wenn meine Operation verschoben wurde?

Wenn ein geplanter Eingriff verschoben wird und das medizinisch vertretbar ist, hat man als Patient erst einmal keine rechtlichen Möglichkeiten, sagt Dr. Johannes Schenkel von der Unabhängigen Patientenberatung: Die Krankenhäuser seien nicht verpflichtet, den Termin einzuhalten. Anders sieht es dagegen aus, wenn durch die Verschiebung ein Schaden entsteht. Patienten könnten dann wie bei einem Behandlungsfehler vorgehen, etwa ein Gedächtnisprotokoll anfertigen und Einsicht in Krankenunterlagen nehmen.

Schenkel rät aber: "Suchen Sie als Patient immer das Gespräch mit den behandelnden Ärzten, um durchzusprechen, welche Aspekte für die Aufschiebbarkeit oder Dringlichkeit der Operation sprechen." So könne man etwa auf Schmerzen und die eingeschränkte Lebensqualität hinweisen. Ein Klinikwechsel sei zwar prinzipiell eine Option, allerdings oft aufwändig.

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