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Marx für Sozialstaats-TÜV: "Armut kein gegebenes Schicksal"

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Kardinal Marx für Sozialstaats-TÜV zur Bekämpfung von Armut

Die Überwindung von Armut gehört nach Überzeugung von Kardinal Marx zur Grundphilosophie eines modernen Sozialstaates. Auf der Katholischen Armutskonferenz betonte er aber auch: Ein reiner Fürsorgestaat, der nur "Geschenke" verteile, sei zu wenig.

Erst Corona, dann Inflation und steigende Energiepreise: Die Armut in Deutschland hat zugenommen. In München, einer der wohlhabendsten Städte in Deutschland, ist dies auf den ersten Blick vielleicht nicht zu sehen. Im statistischen Durchschnitt sei die Armut hier nicht gestiegen, sagt die Vorständin des Caritasverbandes München und Freising, Gabriele Stark-Angermeier, bei der dritten Katholischen Armutskonferenz in München.

Im Winter, wenn es kalt sei, würde die Armut jedoch sichtbarer. "Wenn ich unterwegs bin, erlebe ich, wie Menschen in den Ausgängen versuchen, sich einen Schlafplatz zu organisieren", so Stark-Angermeier. "Oder ich merke es auch bei unserer Antonius- und Korbinians-Küche, wo wir Essen täglich ausgeben und wo einfach die Menschenmenge größer wird."

Marx: Materielle Existenzsicherung reicht nicht aus

Die Kirche tritt nach den Worten des Münchner Kardinals Reinhard Marx für einen Sozialstaat ein, der in Not geratenen Menschen vor allem ermöglichen soll, ihre Souveränität zurückzubekommen. Natürlich stehe jedem Menschen ein Minimum an Lebensunterhalt zu, sagte Marx auf der Armutskonferenz. Doch ein reiner Fürsorgestaat, der nur "Geschenke" verteile, sei zu wenig.

Finanzielle und materielle Existenzsicherung sowie das Sicherstellen einer Wohnung seien zwar wichtig. Es reiche jedoch nicht, bei Armut nur über Geld zu reden. Es brauche auch Menschen, die Bildung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichten. Hier engagierten sich die Haupt- und Ehrenamtlichen, etwa in Kirche und Caritas.

Marx sprach sich für einen sogenannten Sozialstaats-TÜV aus. Mit diesem sollte überprüft werden, ob die jeweiligen Sozialmaßnahmen auch wirksam seien. Dafür braucht es seiner Ansicht nach kompetente Leute, die auf die Fälle schauten und die jeweiligen Möglichkeiten und Hilfsmaßnahmen für die von Armut Betroffenen zusammenführten. Die Menschen müssten in die Lage versetzt werden, ihr Leben wieder selbstbestimmt nach ihren Bedürfnissen zu leben.

Bentele: Bürgergeld wichtige Stütze

Arm zu sein, das muss nicht unbedingt Obdachlosigkeit bedeuten. In Deutschland gilt als arm, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Und das betreffe Kinder und Jugendliche, ältere Menschen und Frauen besonders, sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele.

Das Bürgergeld sei für diese Menschen eine wichtige Stütze und die Erhöhung gerechtfertigt, "weil wir gerade sehen, es gibt eine große Preissteigerung, gerade bei Lebensmitteln, Energie, Mieten, das wird immer teurer." Man könne daher nicht einfach sagen, "dieses Jahr gefällt's mir nicht, ich setze die Bürgergelderhöhung aus, weil unsere Verfassung das Recht auf Existenz schützt", so Bentele.

"Antrag auf Bürgergeld oft schambehaftet"

Einen Antrag auf Bürgergeld zu stellen sei kompliziert und oft auch schambehaftet, da sind sich die Teilnehmer der Armutskonferenz einig. Manche Menschen seien noch nicht einmal dazu in der Lage. Sie fielen völlig durchs Raster, "weil sie ihren Job verloren haben, krank geworden sind, ihren Familienanschluss verloren habe, aus dem Wohnraum rausgefallen sind und auf der Straße leben", sagt Gabriele Stark-Angermeier.

"Dann haben sie auch kein Bankkonto mehr, dann können sie auch keinen Antrag stellen, wo Geld zur Verfügung gestellt wird, dann brauchen sie ganz andere Zugänge." Diese Zugänge möchte die Caritas bieten. Dass Menschen sich mit dem Bürgergeld ein schönes Leben machen, sei die absolute Ausnahme.

Caritas-Direktor: Ursachen von Armut bekämpfen

Der Direktor des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising, Hermann Sollfrank, forderte, es müssten die Ursachen und nicht nur die Symptome von Armut bekämpft werden: "Wir brauchen endlich mehr Sozialwohnungen, eine Wohnungsbauoffensive, die diesen Namen verdient." Nötig seien dafür mehr Genossenschaften, aber auch mehr Dienstwohnungen von großen Unternehmen.

Das inzwischen erhöhte Wohngeld sei ein gutes Signal, ein Problem aber stelle die Bürokratie dar. Oft müssten Antragsteller in der bayerischen Landeshauptstadt ein Jahr warten, bis der Bescheid komme.

Mit Informationen der KNA und epd

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