Kardinal Marx vom Bistum München gibt eine Pressekonferenz
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Ein Jahr Missbrauchsgutachten: Pressekonferenz Ende Januar mit Kardinal Marx "Was hat sich getan"

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"Heilige Scheu" bei Ermittlungen gegen die Kirche?

Das Vorgehen der Ermittler im Missbrauchsskandal beim Erzbistum München zeigt: Auch die Kirche wird belangt. Trotzdem tun sich Staatsanwaltschaften schwer, sagen Strafrechtler und sprechen von einer "Beißhemmung" gegenüber der Kirche.

Über dieses Thema berichtet: Religion und Orientierung am .

Diese Meldung sorgt für Aufsehen: Die Staatsanwaltschaft München I ist Mitte Februar mit einem Durchsuchungsbeschluss beim Erzbistum München vorstellig geworden, wie die "Süddeutsche Zeitung" erfahren hat. Die Aktion soll im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal und Vertuschungsvorwürfen gegen Bistumsverantwortliche stehen. Gegen Kardinal Reinhard Marx richten sich die Ermittlungen dem Bericht zufolge nicht.

Der Hintergrund: In mehr als 40 Fällen prüft die Staatsanwaltschaft gerade das mögliche Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger in den vergangenen Jahrzehnten. Die Ermittlungen laufen seit Vorstellung des Aufsehen erregenden Münchner Missbrauchsgutachtens im Januar 2022. Dass es nun offenbar eine Durchsuchung gegeben hat, ist für Experten eine Zäsur. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller etwa spricht von einer "Zeitenwende im Verhältnis von staatlicher Justiz und den Kirchen".

"Heilige Scheu" des Staates bei Strafrecht gegen Kirche

Aber warum gab es nicht schon viel früher Ermittlungen durch Strafrechtler und Staatsanwaltschaften, wo die Missbrauchs-Fälle doch bereits seit Langem bekannt sind? Begegnen Staatsanwaltschaften der katholischen Kirche im Umgang mit den Missbrauchsfällen zu vorsichtig, und hätten staatliche Behörden nicht früher einschreiten sollen? Ja, sagen manche Strafrechtler, wie etwa der Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke. Für ihn gibt es keinen Grund für eine juristische Sonderrolle der Kirche, wie er vor einigen Monaten gegenüber dem BR sagte: "Eine Rücksichtnahme oder gar die Idee, dass die Kirche sich primär um ihre Angelegenheiten kümmern soll, wäre ein fundamentaler Irrtum. [...] Die Justiz hat da aber noch eine gewisse 'heilige Scheu' vor der katholischen Kirche. Aber die sollte endlich abgelegt werden."

Strafrechtsprofessor spricht von Beißhemmung

Es falle auf, dass bei den Staatsanwaltschaften so etwas wie eine Beißhemmung vorhanden sei, was die katholische Kirche und den Umgang mit Missbrauchsfällen angehe, so Putzke. Und zwar auch dann, wenn es um den sogenannten Anfangsverdacht gehe: "Es ist nicht so, dass die Staatsanwaltschaft immer warten muss, bis jemand die Tür öffnet und Akten hereinbringt. Nein! Wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis erlangt, zum Beispiel aus den Medien, dass es ein bestimmtes Gutachten gibt, das vielleicht unter Verschluss gehalten wird, dann muss sie von Amts wegen tätig werden und gegebenenfalls dieses Gutachten auch sicherstellen oder – wenn es nicht freiwillig herausgegeben wird – beschlagnahmen." Demnach hätten bayerische Staatsanwälte bereits 2010 das nicht veröffentlichte Gutachten beschlagnahmen können - und ermitteln. Taten sie aber nicht.

Früherer Justizminister gibt Versäumnisse zu: Ehrfurcht gegenüber der Kirche

Nicht nur Putzke, auch andere Beobachter attestieren den Staatsanwaltschaften deshalb Zurückhaltung bei der Verfolgung kirchlicher Missbrauchstäter, unter ihnen auch der Kriminologe Christian Pfeiffer. Er war von 2000 bis 2003 Justizminister in Niedersachsen. Seine damalige Rolle sieht er inzwischen selbstkritisch, wie er im vergangenen Jahr betonte: "Ich bin nicht ansatzweise auf die Idee gekommen, mit den Generalstaatsanwälten darüber zu reden, dass wir hier eine grundlegende Untersuchung machen müssten. Das ist erst zehn Jahre später der Fall gewesen. Aber das wäre der Zeitpunkt gewesen, wo die Justiz von sich aus hätte aktiv werden müssen." Inzwischen sind die meisten Taten verjährt. Dass der Staat nicht früher intervenierte, erklärt der Kriminologe Pfeiffer ebenfalls mit einer ehrfurchtsvollen Grundhaltung der Kirche gegenüber.

Bei Straftaten des sexuellen Missbrauchs stößt Kirchenrecht an Grenzen

Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg. Auch er findet: Beim Thema Missbrauch geht es um Strafrecht, und hier stoßen die Kirche und ihr eigenes Kirchenrecht an ihre Grenzen, hier müsse der Staat eingreifen: "Das Kirchenrecht ist nicht dafür gemacht, Straftäter und schon gar nicht Straftäter diesen Kalibers - das sind ja Kapitalverbrechen -, Straftäter einer Strafe zuzuführen. Sondern es geht darum zu schauen, welche Konsequenzen hat dieses strafrechtlich relevante Fehlverhalten innerhalb unserer Institution unabhängig davon, dass jemand, der Minderjährige vergewaltigt, nach weltlichem Recht für eine gewisse Zeit lang ins Gefängnis gehört."

Erst seit 2021 gilt im Kirchenrecht sexueller Missbrauch als Verstoß

Im Dezember 2021 ist das neue Strafrecht des Vatikans in Kraft getreten. Erst seitdem gilt sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche nicht mehr nur als Verstoß gegen den Zölibat. Anders als staatliche Gerichte kann ein Kirchengericht allerdings keine Haftstrafen verhängen, sondern einen Täter beispielsweise aus dem Klerikerstand entlassen. Selbst Papst Franziskus räumte jüngst ein, kirchliches Strafrecht allein könne sexuellen Missbrauch nicht eindämmen.

Die Missbauchsskandale in der katholischen Kirche sind eines von vielen Themen auf der Bischofskonferenz in Dresden. Überschattet wird die Vollversammlung von einer Durchsuchungs-Aktion im Erzbistum München.
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Erzbistum München

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