Anni Kalchgruber kämpft für Tempo 30
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Anni Kalchgruber kämpft für Tempo 30

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Für Tempo 30 im Ort: Aktivisten-Uroma gibt nicht auf

Sie ist 87 und kämpft für Tempo 30 in ihrem schwäbischen Heimatort Kesselostheim. Anni Kalchgruber sammelte Unterschriften, bekam einen Termin beim Landrat. Jetzt ist klar: Tempo 30 wird es nicht geben – trotzdem gibt es kleine Erfolge für die Uroma.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Was das Problem an einer Ortsdurchfahrt in Kesselostheim sei? Anni Kalchgruber sitzt in ihrem elektrischen Rollstuhl und kann nicht sofort antworten, ein Lastwagen fährt vorbei. "Dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Es ist sehr gefährlich für Kinder, für alle."

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Fast die Hälfte des Dorfes hat für Tempo 30 unterschrieben

Letztes Jahr wurde Anni Kalchgruber als "Aktivisten-Oma" bekannt. Sie sammelte Unterschriften für Tempo 30 auf der Ortsdurchfahrt von Kesselostheim, einem Ortsteil des Marktes Bissingen im schwäbischen Landkreis Dillingen an der Donau. 68 Anwohner unterschrieben damals – das ist fast die Hälfte der Einwohner des Dorfes.

Der 87-Jährigen geht es vor allem darum, die Kinder zu schützen. Letztes Jahr ist Anni Kalchgruber noch jeden Tag früh aufgestanden, um ihre Urenkelin Mia zum Schulbus über die Straße zu begleiten – auch wenn ihr das Gehen mit Rollator damals schon schwerfiel.

87-Jährige: "Ich bin sehr enttäuscht"

Doch ein Jahr nach Anni Kalchgrubers Unterschriftenaktion gilt in Kesselostheim immer noch Tempo 50. "Ich bin sehr enttäuscht, dass nicht viel geschehen ist – außer dem Schild da und das steht total verkehrt. Das sieht man erst, wenn man ein Kind überfahren hat." Die 87-Jährige meint das Verkehrszeichen 136-10, ein rot umrandetes Dreieck mit Kinder-Piktogrammen darauf. Es steht seit einiger Zeit kurz vor der Bushaltestelle für die Schulkinder. Doch durch die Kurve davor ist es mit Tempo 50 eigentlich erst zu sehen, wenn die Gefahr schon da ist, meint Kalchgruber.

Doch einen Erfolg verbucht die Aktivisten-Uroma für sich: Sie hat es eingefädelt, dass der Schulbus jetzt auf beiden Straßenseiten anhält. So müssen die Kinder morgens nicht mehr die Straße überqueren – egal, auf welcher Seite der Ortsdurchfahrt sie wohnen.

Anwohnerinnen finden Straße "lebensgefährlich"

Aber sonst ist alles wie vorher. Anwohnerin Thea Rehm beschreibt den Verkehr so: "Manchmal kriminell, weil es eine Herausforderung ist, wenn man vom Hof auf die Straße herausfahren will. Man sieht ja weder rauf noch runter und dann kommen die hier mit einem Affenzahn". Einige Häuser weiter erlebt es Elisabeth Konrad so: "Es ist wirklich manchmal lebensgefährlich, wenn man da rausschaut. Ein Lastwagen, der in dem Tempo da vorbeifährt – ein Kind hätte keine Chance".

Landrat ließ Tempo 30 prüfen

Die Straße durch Kesselostheim ist eine Staatsstraße. Deshalb ist der Landkreis zuständig. Der Dillinger Landrat Markus Müller (Freie Wähler) hatte Anni Kalchgruber letzten Sommer persönlich empfangen. "Dass uns das Thema wichtig ist, zeigt ja der Termin heute", sagte ihr der Landrat damals. Auch wenn er gleich relativiert: "Die Straßenverkehrsordnung legt da hohe Hürden, aber ich werde jetzt das Ganze in das Prüfverfahren geben".

Diese Prüfung ist mittlerweile durch. Das Ergebnis: Es wird kein Tempo 30 in Kesselostheim geben. Dafür ist die Straße zu wenig befahren. Im Januar wurden 350 Autos pro Stunde gezählt. "Die Höchstzahl des Verkehrsaufkommens ist nach den rechtlichen Vorgaben zu wenig, um hier auf 30 runterzubremsen", erklärt Thomas Strehler, Leiter der Abteilung Kommunales, Sicherheit und Ordnung im Landratsamt Dillingen.

Auch Zebrastreifen und Fußgängerampel unwahrscheinlich

Wie stark sich der Verkehr herunterbremsen lässt, ist in der Straßenverkehrsordnung geregelt. Je mehr Verkehr und je mehr Menschen die Fahrbahn queren, desto strenger die Maßnahmen. Aber bei 350 Autos pro Stunde müssten schon in der gleichen Zeit 300 Personen die Fahrbahn kreuzen, damit zumindest mal ein Zebrastreifen möglich wäre, rechnet Strehler vor. Und das bei 160 Einwohnern, die Kesselostheim hat.

Für Anni Kalchgruber ist das nicht nachvollziehbar: "Die, die das bestimmen und bewilligen können, die sollen mal hier wohnen und das miterleben, dann würden die das verstehen. Dann könnten die mit Herz und Verstand und nicht bloß nach Paragraphen urteilen."

Beim Bürgermeister melden sich Befürworter von Tempo 50

Bei Bissingens Bürgermeister Stephan Herreiner (Christliche Bürger Unteres Kesseltal) melden sich neben den Befürwortern von Tempo 30 auch die Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung: "Es gibt durchaus auch Stimmen, die sagen, 50 hat seine Berechtigung", sagt Herreiner. Schließlich sei man es auf dem Land gewohnt, dass man sich mit dem Auto selber "Mobilität schaffen müsse", sagt der Bürgermeister.

Seine Marktgemeinde Bissingen hat 18 Ortsteile und dementsprechend viele Ortsdurchfahrten. Da müsste er dann überall Tempo 30 machen, sonst könne er es niemanden vermitteln, warum nur in Kesselostheim langsamer gefahren werden müsse.

Bei Straßensanierung sind Verkehrsinseln geplant

Eine Verbesserung für Kesselostheim ist laut Bürgermeister Stephan Herreiner dennoch in Sicht. Es gibt den Plan, die Ortsdurchfahrt insgesamt zu sanieren. Ein erster Entwurf liegt schon auf seinem Schreibtisch. Darauf sind drei Verkehrsinseln am Ortseingang, -ausgang und an der Bushaltestelle eingezeichnet. Sie sollen das Überqueren der Staatsstraße in Kesselostheim erleichtern.

Die Aktivisten-Uroma Anni Kalchgruber will trotz allem weiter für Tempo 30 in Kesselostheim kämpfen. Zusammen mit ihrem Nachbarn und Mitstreiter hat sie Flugblätter im Ort verteilt. Darauf fordert sie nicht nur Tempo 30, sondern zählt auch die Vorteile auf: kürzere Bremswege und weniger Lärm. Wenn schon offiziell kein Tempo 30 möglich ist, fahren manche Autofahrer ja eventuell freiwillig langsamer als 50 Stundenkilometer.

Anni Kalchgruber an der Ortsdurchfahrt von Kesselostheim.
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Anni Kalchgruber an der Ortsdurchfahrt von Kesselostheim.

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