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Der Hochvogel bei Hinterstein, von Felssturz bedroht

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Felssturz-Gefahr: Bröseln auch bayerische Berge?

Mehrere kaputte Häuser, drei Millionen Kubikmeter Fels und Geröll, acht tote Berggeher - das ist die Bilanz des gigantischen Bergsturzes am Piz Cengalo in der Schweiz. Droht eine solche Gefahr auch in Bayern? Von Sebastian Nachbar

Die Erderwärmung lässt den Permafrost an dem 3.369 Meter hohen Piz Cengalo auftauen. Das Eis im Berg schmilzt, der Fels wird instabil. Für die Talbewohner eine Katastrophe - denn noch immer drohen größere Abbrüche. Auch in Bayern erwärmt sich das Klima. Permafrost gibt es hier eigentlich nur an der Zugspitze. Natürlich verändert sich das gefrorene Gestein auch dort. Wie - das vermessen Forscher von der Technischen Universität München jetzt im Spätsommer und Herbst, so oft es geht. Damit wissen sie, wie stabil Deutschlands höchster Berg da steht.

Ortstermin: Kammstollen an der Zugspitze. Früher wurde er touristisch genutzt. Heute ist das obsolet, aber wir haben dort den Glücksfall, dass der Stollen mitten durch eine Permafrostlinse führt und uns dadurch eine Art Open Air-Labor bietet.

Maximilian Wittmann von der TU marschiert durch einen dunklen Stollen. Auf dem Rücken schleppt er eine schwere Kiste. Der Gang führt vom Schneefernerhaus auf 2.650 Metern mitten in den Berg. Wittmanns Ziel: der Fels an der Nordwand der Zugspitze, der das ganze Jahr über gefroren ist - eine sogenannte Permafrostlinse. Wittmann und seine Kollegen vermessen sie jeden Monat.

Gefrorenes elektrisch erkennen

Die Methode, mit der die Forscher messen, ist eigentlich einfach: Über Stahlschrauben schicken sie Strom durchs Gestein und messen, wo der Fels einen höheren elektrischen Widerstand hat - dort ist er gefroren. Das ist ähnlich wie beim EKG, bei dem man Elektroden an den Kopf klebt und mit elektrischen Impulsen ins Gehirn schaut.

"Für uns ist interessant, dass wir praktisch jeden Sommer und jeden Winter sehen können: Der Permafrost auf der Zugspitze funktioniert gerade noch so, ist gerade noch unter Null, das heißt: Er reagiert sehr sensibel. Wir haben hier praktisch ein kleines Fenster, in dem wir sehen, wie das funktioniert - und das können wir dann auf die gesamten Alpen übertragen. Denn diese Art von Abschmelzen, Verkleinerung, Erwärmung und auch Durchbrüche von wasserführenden Klüften ist etwas, was wahrscheinlich überall in den Alpen passiert. Hier sind wir aber mittendrin - und wir können das von innen beobachten." Michael Krautblatter, Professor für Hangbewegungen an der TU mit Spezialgebiet Permafrost und Leiter der Forschungen im Kammstollen

Das Zugspitz-Eis schmilzt - millimeterweise

Mit jedem Stromstoß knackt das Messgerät, rechnet und speichert Daten ab. Die langfristige Tendenz ist klar: Das Eis, das den Fels seit zwei Millionen Jahren zusammenhält wie Kitt, schmilzt. Droht damit ein Bergsturz an der Zugspitze? Es wäre nicht der erste: Vor 3.700 Jahren stürzten 300 Millionen Kubikmeter Fels vom Gipfel ins Tal - hundert Mal so viel wie kürzlich am Piz Cengalo in Graubünden.

"Wir messen an der Zugspitze seit Jahren kleinere Bewegungen, aber es handelt sich da um keinen großen Trend. Es handelt sich um Millimeterbewegungen. Es ist nicht so wie am Cengalo, wo vorher deutlich große Spalten aufgehen. Das heißt: Wir haben uns die üblichen Verdächtigen an der Zugspitze angeschaut. Dort machen wir auch Messungen seit 2007. Aber es ist keiner dabei, der jetzt wirklich große Bewegungen zeigt." Michael Krautblatter

Forscher wollen bessere Frühwarnsysteme

Auch wenn es in Sachen Fels- und Bergstürzen momentan ruhig ist an Deutschlands höchstem Berg - die Gefahr wächst, und zwar alpenweit. Darum will Krautblatter bessere Frühwarnsysteme entwickeln, um die Menschen besser schützen zu können. Krautblatter und seine Kollegen müssen bald viel mehr verdächtige Berge als heute überwachen - und das kostet Geld.

"Um Sicherheit in Alpen zu gewährleisten, brauchen wir jetzt schnell und konzentriert Forschung, um die Signale, die uns der Berg sendet, besser zu verstehen - um daraus auch bessere Frühwarnsignale zu bekommen. Der Wissenschaftler wird gerufen, vier Tage bevor Cengalo passiert. Das ist zu spät. Wir brauchen wirklich Exemplare, wo wir zugucken können, wie solche Felsstürze passieren - wo wir sie komplett mitbegleiten können, wo sie auch herunterfallen dürfen, damit wir das verstehen. Damit unsere prognostische Fähigkeit da besser wird." Michael Krautblatter