Es sieht zunächst wie bei einem Computerspiel aus. Ein grafisch animierter Krankenwagen nähert sich einem fiktiven Weihnachtsmarkt. Stilisierte Polizei- und Feuerwehreinsatzfahrzeuge säumen den Weg. Vor Ort dann ein Bild des Schreckens: Scheinbar nach einer Gas- oder Bombenexplosion liegen Verletzte unter unzähligen Trümmerteilen eingeklemmt.
Das Horrorszenario ist eine digitale Inszenierung, eine Großübung auf dem Monitor mit dem Titel "D2 Puls". Dieser steht für "Digitale dynamische Patienten- und Lagesimulation". Normalerweise wird bei Katastrophenübungen großer Aufwand mit zahlreichen Schauspielern betrieben. Hier wird das Szenario einfach am Bildschirm nachgestellt.
"Solche Katastrophen müssen regelmäßig trainiert werden, digital geht das einfacher." Sebastian Taschner, Rettungsdienst Malteser Nürnberg
Erstversorgung per Joystick
Per Joystick steuert Sebastian Taschner durch das Geschehen, ähnlich wie in einem Computerspiel. Die Rettungskraft von den Nürnberger Maltesern ist in der Simulation die erste Person am Unglücksort, wenn auch nur virtuell. Auf digitaler Ebene sondiert er die Lage, stellt die Zahl der Verletzten fest und gibt diese Informationen an die Leitstelle weiter.
Kombination analoger und digitaler Welt
Im Klinikum Nürnberg schieben die Angaben vom Rettungsdienst nun in der realen Welt eine Handlungskette an. Der Schockraum wird vorbereitet für die Ankunft einer zunächst ungewissen Anzahl Verletzter. Im Übungsszenario vermischen sich spätestens jetzt bewusst analoge und digitale Welt. Ankunft eines Rettungswagens am Südklinikum. Darin eine Simulationspuppe. Sie wird beatmet. Notärztin Martina Elsner sieht auf einem Tablet alle Vitalparameter des künstlichen Patienten. Ist der Kreislauf stabil? Wie sieht es aus mit der Sauerstoffsättigung im Blut? Die Puppe wird schnell durch die langen Flure in den Schockraum geschoben.
Versorgung per Tablet
Dort wartet bereits das medizinische Notfallteam. Alle mit Tablets versehen. Während die Krankenpflegerin die Simulationspuppe auf der Bahre zurechtrückt, checkt der Oberarzt, welche Verletzungen am schlimmsten sind. Was muss zuerst behandelt werden? Auf dem Tablet kann er unter anderem starke Verbrennungen des Übungs-Patienten erkennen und dementsprechend die Versorgung einleiten. "Ich kann über das Tablet zum Beispiel eine Narkose einleiten oder Blutwerte überprüfen", sagt Thomas Reuter vom Klinikum Nürnberg.
Noch ist das digitale Übungsprogramm ein Prototyp. Vergleichbare Systeme gebe es in Deutschland zwar schon ansatzweise, diese seien aber noch nicht auf die Gesamtheit, die komplette Verknüpfung der Rettungsketten ausgelegt, so Christian Bauer vom Institut für Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement. Er hat "D2 Puls" mitentwickelt. Zwei Jahre habe man an dem System gearbeitet, seit rund sechs Monaten laufe die Probephase am Klinikum Nürnberg.
Kostenersparnis durch digitales Übungssystem
Digitale Szenarien hätten mehrere Vorteile. Bisher hatte man stets mit einer Vielzahl geschminkter Statisten den Ernstfall geprobt. Das sei teuer, binde Personal und brauche oft einen Planungsvorlauf von bis zu einem Jahr. Mit der digitalen Lösung, so Bauer, könne man regelmäßiger Großereignisse proben, Vorgänge wiederholen.
Außerdem sei das neue System dynamisch. So verändere sich der Zustand der fiktiven Charaktere auf dem Monitor permanent. Vieles sei nicht mehr so vorhersehbar wie früher. Da war alles lange im Voraus geplant und festgelegt. Jetzt verändere der Computer die Situation per Zufallsprinzip. Das medizinische Notfallteam muss flexibler reagieren.
Kliniken und Rettungsdienste in ganz Deutschland hätten bereits ihr Interesse an dem Übungsprogramm bekundet. Es braucht wohl noch etwas Geduld. In spätestens zwei Jahren soll "D2 Puls" marktreif sein.
- Zum Artikel: Vermisstensuche - In Mittelfranken proben Experten den Ernstfall
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