Atomkraftwerk Ohu bei Landshut in Bayern bei Nacht
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Atomkraftwerk Ohu bei Landshut in Bayern bei Nacht

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Bayern und die Kernkraft - Politik unter Strom

Der Freistaat und die Atomenergie – eine spannungsreiche Geschichte. Aufbruch, Ängste und das Aus. Kontrovers - Die Story zeigt auf, wie Politiker, Aktivisten und Forscher in der Kernkraft-Frage bis heute gespalten sind.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Ortsbesuch im unterfränkischen Kahl am Main. Hier wird ab 1960 der erste Atomstrom im Freistaat produziert - ein "Versuchsatomkraftwerk", in dem Fachpersonal für größere Anlagen ausgebildet werden soll. Vom Bau-Beschluss bis zur Inbetriebnahme vergingen gerade einmal zweieinhalb Jahre. "Es gab kein Atomgesetz oder kerntechnische TÜVs. Die Baugenehmigung hat das Landratsamt in Alzenau erteilt. Die war zwölf Seiten lang!", erinnert sich der Kerntechnik- Ingenieur Walter Hackel, der später am Rückbau der Anlage beteiligt war.

Bayern in Aufbruchsstimmung

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Siegermächte Deutschland eine Betätigung im Bereich der Kernenergie zunächst untersagt. 1955 fiel das Verbot. In Garching bei München wird zwei Jahre später der erste deutsche Reaktor gebaut – zu Forschungszwecken. Sowohl SPD-Ministerpräsident Wilhelm Hoegner als auch diejenigen von der CSU, die ihm in dem Amt noch folgen sollten, treiben den Ausbau der Atomstrom-Produktion in Bayern voran – galt das Vorhandensein von viel Energie doch als Zeichen und Voraussetzung für die fortschreitende Industrialisierung.

Erwin Huber war von 1988 bis 1994 CSU-Generalsekretär. Bis heute ist er davon überzeugt, dass der Ausbau der Kernenergie für die Entwicklung des Freistaates eine Schlüsselrolle eingenommen hat. Er erklärt in Kontrovers - Die Story: "Bayern hat den Umschwung vom Agrarland zum Industrieland wegen drei Faktoren geschafft: Einmal der Ausbau des Bildungssystems landesweit, zweitens die Infrastruktur und drittens die Energie mit Öl und vor allem mit der Kernenergie."

Atomstrom als Fortschrittsfaktor

Das erste große Akw Bayerns wird 1966 im schwäbischen Gundremmingen bei Günzburg in Betrieb genommen. In den 70er und 80er Jahren kommen weitere Kraftwerke und Blöcke in Grafenrheinfeld und an der Isar bei Landshut hinzu. Der aufstrebende Freistaat giert nach Atomstrom. "Die möchte ich sehen, die für sich, für ihr Alter, für ihre Kinder und Enkel die Folgen auf sich nehmen würden, die die Rückkehr zum einfachen, nicht technischen Leben bedeuten würde. Die möchte ich sehen!", ereifert sich Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Jahr 1985 anlässlich der Einweihung von Block B und C in Gundremmingen.

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Die Umweltbewegung entsteht

Doch unter die Euphorie mischten sich bereits Mitte der 60er Jahre Bedenken. 1977 kommt es dann in Gundremmingen zu einem Störfall in Block A. Ein Beinahe-Gau, behaupten Kernkraftgegner bis heute, alles sicher, sagen die Befürworter. Immerhin gehen einige Jahre später zwei neue Blöcke mit überarbeiteter Technik in Gundremmingen ans Netz. Parallel zum fortschreitenden, atomaren Ausbau gibt es nicht nur immer größere Bedenken und Ängste, sondern eine neue Partei, die sich klar gegen die Kernenergie stellt, schafft den Einzug in den Bayerischen Landtag: die Grünen.

Christian Magerl war 1986 einer der neu gewählten Abgeordneten. Seine Fraktionskollegen legten Franz Josef Strauß damals Sonnenblumen auf den Tisch. "Atom ist zweifelsohne etwas gewesen, wo die Leute gesagt haben: Die Grünen müssen jetzt da rein in den Landtag, weil so kann es nicht weitergehen", begründet er den damaligen Wahlerfolg.

Massiver Protest in Wackersdorf

In den 80er Jahren wird es immer schwieriger, den Bau neuer Akw in Bayern durchzusetzen. Doch nirgends wird sich der Protest so entzünden wie in der Oberpfalz. 1985 fällt die Entscheidung, in Wackersdorf eine atomare Wiederaufbereitungsanlage zu bauen. Kontrovers – Die Story besucht einen prominenten Zeitzeugen, der vor zehntausenden Demonstranten aufgetreten ist: Michael Well von der bayerische Musik- und Kabarettgruppe Biermösl-Blosn.

Er erinnert sich noch genau: "Wackersdorf war schon ein Momentum, eine einschneidende Geschichte. Wir waren 1985 das erste Mal da. Die Leute haben ein Hüttendorf gebaut." Mit Volksmusik gegen die Atompolitik der CSU protestieren – das war neu. Doch neben friedlichen Aktionen kommt es immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei.

Das lange Ringen um das Ende

Am 26. April 1986 sendet die Tagesschau folgende einschneidende Nachricht: "In dem Sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten Gau gekommen. Dem größten anzunehmenden Unfall." 1988 stirbt Franz Josef Strauß. Nach seinem Tod wird in Bayern nie mehr ein Akw gebaut und auch keine Wiederaufbereitungsanlage.

Ab dem Ende der 90er Jahre beginnt beim Bund eine jahrzehntelange Debatte über den Ausstieg aus der Atomkraft. Es werden Entscheidungen gefällt und verworfen, es folgt das Unglück von Fukushima und der Ukraine-Krieg. Nach einigen Kehrtwenden wird am 15.4.2023 im letzten verbleibenden Kernkraftwerk Isar II der rote Knopf gedrückt – damit ist die bayerische Atomkraft endgültig Geschichte.

Kernkraft-Ingenieur Walter Hackel, der den 25 Jahre andauernden Rückbau-Prozess in Kahl am Main begleitet hat, glaubt, dass neue politische Kehrtwenden in der Praxis nicht mehr umzusetzen sind. "Unvorstellbar. Also, selbst wenn der politische Wille da wäre, heute wieder Atomstrom zu produzieren, fehlt dafür in Deutschland das Personal, das Know-how und die Firmen."

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