Bildrechte: picture-alliance/dpa

Joachim Herrmann

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Bayern: Immer mehr Vergewaltigungen - eine Einordnung der Zahlen

In Bayern soll heuer die Zahl der Vergewaltigungen um 50 Prozent gestiegen sein. Der Anstieg erschreckt. Fachleute sind auf der Suche nach Erklärungen. Der Innenminister verspricht eine detaillierte Analyse der Statistikdaten. Von Arne Wilsdorff

In Bayern sollen heuer doppelt so viele Vergewaltigungen passiert sein wie im Vorjahr ? Der Münchner Strafrechtsprofessor Ralf Kölbel wollte das nicht glauben.

"Als ich die Zahlen das erste Mal gesehen habe, dachte ich sofort – dass das nur zu einem geringen Anteil auf einem realen Anstieg beruhen kann." Ralf Kölbl, LMU

Rechtslage geändert

Denn zwischen den vom Bayerischen Innenministerium verglichenen Zeiträumen - erstes Halbjahr 2016 und erstes Halbjahr 2017 - hat sich die Rechtslage geändert. Der Vergewaltigungs-Paragraph 177 Strafgesetzbuch wurde verschärft, so Kölbel von der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität.

"Der Anstieg als solcher in den polizeilichen Daten hat mich jetzt nicht überrascht, der war gewissermaßen zu erwarten. Denn seit der Reform des Sexualstrafrechts sind schlicht und einfach mehr Verhaltensweisen strafbar geworden und schon deswegen war mit einem statistischen Anstieg an Anzeigen – nicht unbedingt auch an Verurteilungen - zu rechnen." Ralf Kölbl, LMU

Schwierige Zahlen

Zusammenhänge und Erklärungen, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in der Kabinettspressekonferenz nicht präsentieren konnte. Und auch bei den Zahlen wirkte der Minister unsortiert.

"Sind das Zahlen bis August dann schon ? Das ist halt das, was jetzt wieder verwirrt. Weil die anderen Zahlen sind ja die für das erste Halbjahr." Joachim Herrmann, Innenminister

Staatskanzleiminister Marcel Huber wollte seinem Kollegen Herrmann zur Hilfe kommen.

"Was wir heute vorgestellt haben, ist nur ein Überblick über die Tendenz. Ich denke, die regionale, genaue Aufschlüsselung, was, wo, innen, außen und welche und so weiter, das ist heute erst in die Wege geleitet." Marcel Huber
"Aber wir kriegen das schon. Ansonsten, wenn Sie das nicht da haben, dann rufen Sie halt drüben bitte in der Polizeiabteilung an, und schauen sie, dass Sie die Zahlen kriegen. Ja ?! Ich hab es ja heute früh alles mit dem Schmidbauer durchgesprochen – also die habens ja alle." Joachim Herrmann, Innenminister

Die letzte Aufforderung Herrmanns galt seinem Pressesprecher, der sich beim Landespolizeipräsidenten Wilhelm Schmidbauer schlau machen sollte. Noch während der Pressekonferenz konnte Herrmann dann vermelden:

"Also die Gesamtzahl der Vergewaltigungen durch Zuwanderer im ersten Halbjahr 2017 sind 126 Fälle." Joachim Herrmann

Meist deutsche Täter

Wie viele dieser angezeigten Taten innerhalb von Asylunterkünften passiert sind, konnte der Innenminister nicht sagen. Mit Blick auf die Tatsache, dass von den 222 zusätzlichen Vergewaltigungsfällen lediglich 60 von Zuwanderern begangen worden sein sollen, stellte Herrmann aber klar:

"Es ist ganz eindeutig, dass die Mehrzahl der zusätzlichen Tatverdächtigen eindeutig auch deutsche Tatverdächtige sind. Das heißt, wir haben einen insgesamt schon erschreckenden Anstieg bei den Vergewaltigungen." Joachim Herrmann

Immer mehr Anzeigen

Durch das verschärfte Sexualstrafrecht sind jetzt auch mehr Delikte strafbar: So muss sich ein Opfer jetzt etwa nicht mehr physisch wehren – Nein sagen reicht. Allerdings - so Strafrechtsprofessor Kölbel:

"Also ich glaube aber nicht, dass der Anstieg von Anzeigen in Bayern allein auf der Gesetzesänderung, also allein auf der erweiterten Strafbarkeit beruht. Das mag ein Faktor sein. Aber vermutlich ist es sehr viel wichtiger, dass durch die letztjährigen, öffentliche Debatten – also Stichwort: nein ist nein - die Sensibilität und die Anzeigenbereitschaft in der Bevölkerung generell gestiegen sind." Ralf Kölbl

Also – möglicherweise gab es in Bayern nicht sehr viel mehr Vergewaltigungen – sondern vor allem mehr Anzeigen. Innenminister Joachim Herrmann baute schon mal vor.

"Unsere Polizeiexperten arbeiten derzeit an einer detaillierten Analyse der Statistikdaten." Innenminister Joachim Herrmann