Medina Keranovic kam vor acht Jahren alleine nach München, um hier im Klinikum zu arbeiten.
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Medina Keranovic kam vor acht Jahren alleine nach München, um hier im Klinikum zu arbeiten.

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Ausländische Pflegekräfte: "Ohne sie könnten wir zumachen"

In der Pflege geht ohne Pflegekräfte aus dem Ausland inzwischen gar nichts mehr. Sie halten unser Gesundheitssystem am Laufen. Trotzdem stehen sie vor großen Hürden. Ein Beispiel aus dem Rotkreuzklinikum in München.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Alleine in einem fremden Land neu starten - diesen Schritt hat Medina Keranovic vor acht Jahren gewagt. Sie kam mit 18 Jahren als Krankenpflegerin von Bosnien nach München. Für sie eine große Herausforderung, nicht nur sprachlich. Sie habe erst mal die Bürokratie verstehen und sich in der Arbeit ins Team integrieren müssen. Das sei ganz schön viel auf einmal. Mittlerweile ist sie stellvertretende Stationsleitung und studiert nebenbei.

  • Zum Artikel: Krankenhausgesellschaft wegen Pflege-Ausbildungszahlen alarmiert

Auch in der Station ein Stockwerk höher haben elf der 15 Pflegekräfte ausländische Wurzeln. Stationsleiterin Sandra Orsulic begleitet viele auf ihrem Weg.

Viele Pflegekräfte lassen ihre Familie zurück

Viele Mitarbeitende kommen auch aus Nicht-EU-Ländern. Das habe meist wirtschaftliche Gründe, weil ihnen das Geld zuhause nicht zum Leben reiche oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht seien, berichtet Stationsleiterin Sandra Orsulic vom Rotkreuzklinikum. Trotzdem kämen keine Massen, sondern immer nur Einzelne.

Sandra Orsulic selbst kam vor mehr als 30 Jahren aus Kroatien hierher - genau wie Medina Keranovic als junges Mädchen. In München hat sie sich dann ihr Leben aufgebaut und eine Familie gegründet. Mittlerweile wagen aber auch viele ältere Kollegen den Schritt nach Deutschland, die schon Familie haben. Das erfordert in Sandra Orsulics Augen besonders viel Mut. "Die Menschen lassen ihre Familien zuhause, um hier in der Pflege zu arbeiten." Sie könne sich das für sich nicht vorstellen.

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Sandra Orsulic - für sie ist der Beruf auch Berufung. Sie wünscht sich eine schnellere Anerkennung für ihre Kolleginnen und Kollegen.

Bis zur Anerkennung nur Hilfskraft

Obwohl eigentlich alle die Ausbildung schon in ihrem Heimatland gemacht haben, dauert es ein bis zwei Jahre, bis die Pflegekräfte auch in Deutschland anerkannt werden. In diesen zwei Jahren werden sie dementsprechend nur wie Hilfskräfte bezahlt - in einer teuren Stadt wie München. Dann müssen sie eine Prüfung ablegen, die auch wieder Geld kostet. Und selbst dann kann es noch Monate dauern, bis sie offiziell als examinierte Kraft angestellt werden können - viele Hürden.

Sandra Orsulic würde sich wünschen, dass dieser Weg verkürzt und vereinfacht wird – und ein wenig mehr Anerkennung brächte. Denn in Deutschland entscheiden sich immer weniger Menschen für eine Ausbildung in der Pflege.

Pflegende aus dem Ausland immens wichtig

Christine Asel-Helmer ist Pflegedirektorin im Rotkreuzklinikum und kennt die Pflegesituation im Krankenhaus genau. Sie weiß, wie sehr sich die Situation verschärft hat und betont: "Wenn wir keine ausländischen Pflegekräfte mehr hätten, könnten wir zumachen. Wir könnten die pflegerische Versorgung nicht mehr gewährleisten."

In ihren Augen haben vor allem zwei Punkte zu dieser Abhängigkeit geführt. Es werde immer mehr Personal gebraucht. Durch den demografischen Wandel benötigen immer mehr Menschen mehr Pflege. Außerdem sei es kein Geheimnis, dass die Ausbildungszahlen zurückgehen.

Hoher Bedarf für die nächsten Jahre

Wie das Bayerische Rote Kreuz unter Berufung auf die Pflegestatistik 2021 betont, werden im Jahr 2055 rund 900.000 Menschen in Bayern pflegebedürftig sein. Im Jahr 2021 waren es noch 578.000 Menschen. Mit 56 Prozent wird für Bayern der bundesweit höchste Anstieg prognostiziert. Doch wer soll diese Menschen pflegen?

Der Beruf müsse für Pflegekräfte attraktiver gemacht werden. Die von der bayerischen Staatsregierung zum 1. Juli 2023 geplante Beschleunigung von Einreise- und Anerkennungsverfahren ist laut BRK-Präsidentin Angelika Schorer ein richtiger und überfälliger Schritt.

Ohne Pflegerinnen wie Medina Keranovic und Sandra Orsulic wird es jetzt und auch in Zukunft nicht gehen. Für Sandra Orsulic ist der Pflegeberuf auch Berufung. Sie hofft, dass sie bald wieder neue Mitarbeitende für ihr Team bekommt - und diese auch bleiben.

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