Der zerstörte Würzburger Dom und weitere eingestürzte Gebäude aus der Luft fotografiert
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Das zerstörte Würzburg nach der Bombennacht vom 16. März 1945

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16. März 1945: "Ich habe nur noch die Flammen im Main gesehen"

Wer dabei gewesen ist, wird sie nie vergessen. Die Bombennacht vom 16. März 1945. Im Rathaus der Stadt Würzburg kommen einmal im Jahr die Trümmerfrauen, -Männer und -Kinder zusammen. Deren Erinnerungen haben nichts von ihrem Schrecken verloren.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Die Rollatoren reihen sich an einer Wand des Wappensaales im Würzburger Rathaus auf. Die Frauen und Männer, die damals mit Händen und Schaufeln als erste die Stadt von den Trümmern befreit haben, sind gezeichnet. Von der harten Arbeit, den Erlebnissen und dem Leben. Viele sind verstorben, auch deswegen hat die Stadt in diesem Jahr auch Zeitzeugen ab Jahrgang 1930 bis 1945 eingeladen. Der Saal ist voll, etwa 50 Männer und Frauen sind gekommen, finden bei einem Schoppen zaghaft in Gespräche mit den Tischnachbarn.

Es geht bei diesem Treffen nicht darum den Anspruch zu erheben, dass allen voran die Frauen eine ganze Stadt durch pure Selbstlosigkeit enttrümmert und wieder aufgebaut haben sollen, wie es schon in den 1940er Jahren medial inszeniert wurde.

Einige sind gekommen, um nach Menschen zu suchen, die die Bombardierung der Stadt im selben Keller überstanden haben, andere sind gekommen, um ihre Geschichte zu erzählen – alle sind gekommen, weil sie mit ihren Erlebnissen nicht allein sein wollen.

20 Minuten vernichtender Bombenhagel

In nur 20 Minuten zerstörten britische Bomber vor 79 Jahren die historische Altstadt nahezu komplett, bis zu 5.000 Menschen verbrannten, erstickten oder wurden von den einstürzenden Häusern erschlagen. Würzburg wurde zum vielzitierten "Grab am Main". Insgesamt 1.000 Tonnen Bomben - zunächst Spreng-, dann Stabbrandbomben – verschonten kaum ein Gebäude und entzündeten ein Feuerinferno, das noch über 100 Kilometer weit zu sehen war. Der Angriff dauerte von 21.20 Uhr bis 21.40 Uhr – jedes Jahr am 16. März läuten alle Kirchenglocken der Stadt in diesem Zeitraum. Grund für den Angriff auf die Domstadt war wohl weniger die ohnehin gering vorhandene militärische Infrastruktur, als vielmehr die Schwächung der Bevölkerungsmoral. Würzburg war durch seine kompakte Bauweise mit vergleichsweise geringem Aufwand flächendeckend anzugreifen.

Psychologische Hilfe zur Traumabewältigung

Renate Freiberger war fünf Jahre alt und suchte mit ihrer Familie und einem ganzen Wohnblock Schutz in einem Keller. Nach dem Bombardement befreite ihr Bruder sie durch ein Fenster als Erste. "Dann sagte er: Ich geh rein und hol die Mutter. Bleib du schön stehen!" Als er zurück im Keller war stürzte das gesamte Gebäude ein, Renate Freiberger überlebte als Einzige. "Ich weiß nicht mehr was danach mit mir passiert ist, ich habe nur noch die Flammen im Main gesehen." Erst nach 30 Jahren und mit psychologischer Hilfe konnte sie wieder den Mut aufbringen, ans Mainufer zu gehen. Auch andere Anwesende bestätigen, dass sie sich in Therapie begeben hatten. Noch Jahrzehnte danach fällt es vielen schwer, die Erinnerungen an damals laut auszusprechen.

Enttrümmerung war verpflichtend

Luitgard Braun aus Heidingsfeld erinnert sich, dass jede und jeder zwischen 15 und 60 Jahren an einem Tag in der Woche beim Beseitigen des Schutts mithelfen musste. Sie selbst war erst 14, packte aber auch mit an. Mit Schaufeln wurden die Überreste der Gebäude auf Loren geladen und zum Main gefahren, wo sie auf Schiffe verfrachtet wurden. "Wir in Heidingsfeld haben eine Stadtmauer mit einem Graben und der ist aufgefüllt mit Schutt. Da sind unsere Häuser drin", erinnert sie sich.

Die Stadt lag in Schutt und Asche, 90.000 Menschen waren obdachlos. Die meisten suchten Zuflucht im Würzburger Umland, in Gartenhäusern, bei Bekannten, Verwandten oder Bauern. Rosina Eckhardt (99) war nach dem Angriff vier Monate in einem Massenlager in Uettingen untergebracht, erzählt sie. Dann sei sie zurück nach Würzburg gekommen und wollte ihren Beruf als Laborantin wieder aufnehmen. Sie bekam auch ein neun Quadratmeter großes Zimmer zum Wohnen unter der Bedingung, dass sie samstags beim "Entschutten" hilft. Der Lohn war eine Lebensmittelkarte. Später sagt sie, habe sie in der Seinsheimstraße zwei Häuser mit aufgebaut, für 38 Pfennige in der Stunde.

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Treffen der Trümmerfrauen und Kriegszeitzeugen im Würzburger Rathaus

Trümmerkinder litten Hunger

Auch die Kinder halfen mit. Edith Röll war sieben Jahre alt. Sie hatte Backsteine abgeklopft, damit sie für Neubauten verwendet werden konnten. "Die haben wir auf ein Häufle geschichtet und waren stolz wie Bolle am Abend." Ein Spaß war die Situation damals aber ganz und gar nicht. Sie und ihr Vater seien von einem Tiefflieger gejagt worden. "Der Pilot hat mit einem Maschinengewehr auf uns gezielt und hinter uns in den Boden geschossen. Mein Vater hat mich in einen Fliederbusch geworfen." In der ganzen Stadt habe es furchtbar gerochen, es war heiß und es gab kaum etwas zu trinken. "Das Wasser war wegen Typhusgefahr gesperrt. Manchmal gab es ein bisschen Tee, aber wir durften nicht trinken, sondern nur lecken, weil alles rationiert war. Kinder, die über sechs Jahre alt waren, bekamen verdünnte Magermilch. Die hieß 'blauer Heinrich', weil sie so dünn war, dass sie bläulich geschimmert hat."

Rosemarie Götz erlebte die Bombennacht mit acht Jahren. Die Angst, die sie damals gespürt hatte, kam durch die aktuellen Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen wieder hoch, sagt sie. "Da denkt man unwillkürlich wieder dran."

Gedenkveranstaltungen rund um den 16. März 2024

Anlässlich der Bombardierung vor 79 Jahren organisieren Initiativen, Vereine und die Stadt zahlreiche Veranstaltungen (externer Link). Zu einem erinnerungskulturellen Spaziergang zur Gedenkstätte für die Opfer der Bombardierung Würzburgs und zur Kriegsgräberstätte auf dem Hauptfriedhof lädt beispielsweise der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge am Freitag, 15. März, um 14.30 Uhr ein.

Am 16. März findet um 9.30 Uhr das Totengedenken und die Kranzniederlegung an der Gedenkstätte beim Hauptfriedhof statt, im Anschluss zieht von dort ein Versöhnungsweg über vier Stationen zur St.-Ursula-Schule, deren Schülerinnen den Weg vorbereitet haben.

Außerdem wird um 19 Uhr ein Gedenkkonzert in der St. Johannis Kirche organisiert. Der Oratorienchor Würzburg bringt das Friedensoratorium "The Peacemakers" des Engländers Karl Jenkins zur Aufführung. Jenkins vertont darin Texte von Friedensnobelpreisträgern aus aller Welt.

Am Abend ist die Marienkapelle ab 21.15 Uhr bis Mitternacht zur Stille und zum Gebet geöffnet, ab 21.20 läuten 20 Minuten lang alle Glocken in Würzburg. Auch am Sonntag, den 17. März, finden weitere Veranstaltungen statt.

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