Vier Bergretter schnallen eine verletzte Frau in einer Trage fest
Bildrechte: BR/Katharina Reichart

Bei der Bergwacht Pfronten packen alle mit an

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100 Jahre Bergwacht Allgäu: Ohne Frauen geht es nicht mehr

Die Allgäuer Bergwacht wurde 1923 gegründet. Erst seit 1992 dürfen auch Frauen aktiven Dienst schieben. In der Bergwacht in Pfronten gibt es inzwischen sogar mehr Anwärterinnen als Anwärter.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Es ist eigentlich ein bisschen zu kühl für die Jahreszeit. Der mit Wurzeln durchzogene Wanderweg hinauf Richtung Falkenstein im Ostallgäu ist feucht und rutschig. Irgendwo hier muss die junge Wanderin gestürzt sein und kommt nicht mehr weiter. Ela Wuttke und Sabrina Haslach von der Bergwacht Pfronten sind auf dem Weg zu ihr. Seit 1992, also knapp 70 Jahre nach der Gründung der Bergwacht, dürfen auch Frauen aktiven Dienst schieben. So wie Ela Wuttke und Sabrina Haslach. Nach ein paar Minuten haben sie die Wanderin gefunden: Die junge Frau sitzt auf dem kalten Boden und hält ihr rechtes Bein.

Anderen in Bergnot helfen Motivation für das Ehrenamt

Es ist nur eine Übung, doch die beiden Bergretterinnen nehmen sie genauso ernst wie einen echten Notfall. Während Ela Wuttke die junge Frau routiniert untersucht, gibt Sabrina Haslach den Kollegen am Auto Bescheid: "Die junge Patientin hat eine Fußverletzung, deshalb bräuchten wir die Trage und die Fußschiene", sagt sie ins Funkgerät.

Die beiden Frauen sind schon einige Jahre bei der Bergwacht. Weil sie selber gerne in den Bergen unterwegs sind und bisher immer Glück gehabt haben, wollen sie mit ihrem Ehrenamt etwas zurückgeben und anderen in Bergnot helfen. "Das ist dann für alle gut", meint Ela Wuttke.

Schlagfertigkeit gegen blöde Sprüche

Blöde Sprüche, weil sie als Frauen bei der Bergwacht mitmachen, kennen sie beide. Ela Wuttke berichtet von Aussagen wie: "Jetzt kommen die Weiber! Wollt ihr ein Bier oder sollen wir lieber einen Kamillentee machen?" Ernst nehmen sie diese Aussagen nicht mehr. Stattdessen reagieren sie mit schlagfertigem Humor. "Da haben wir kein Problem damit. Wir trinken Bier genauso gern wie Kamillentee in manchen Situationen, von daher, das passt schon", versichert die 40-Jährige. Auch Sabrina Haslach hat solche Erfahrungen gemacht. In ihrer Anfangszeit, vor inzwischen mehr als zehn Jahren, sei bei Treffen vor allem mit älteren und nicht mehr aktiven Bergwachtmitgliedern öfters mal Thema gewesen: Noch ein Mädchen! Brauchen wir das?

Verantwortung als Einsatzleiterin

Inzwischen übernimmt die 26-Jährige selbst Verantwortung bei der Bergwacht - als Luftretterin und Einsatzleiterin. "Wenn ich dann sage, so und so machen wir das jetzt heute, dann hören sie auch auf mich. Wobei man eigentlich eh immer im Team entscheidet." Zurück zum Übungsszenario: Inzwischen sind zwei Männer als Unterstützung mit der Trage nachgekommen. Die junge Patientin bekommt eine feste Beinschiene angelegt und wird gemeinsam auf die Trage gehoben. Anschließend packen alle vier Einsatzkräfte mit an und tragen die Patientin vorsichtig hinunter zum Bergwacht-Fahrzeug.

Fast 20 Prozent der Bergwachtmitglieder sind weiblich

Erst seit 1992 dürfen Frauen überhaupt zur Bergwacht. Damals hatte eine Frau vor Gericht geklagt und Recht bekommen. Inzwischen sind laut Jahresbericht 2022 der Bergwacht Bayern etwa 18 Prozent der fast 5000 Bergwacht-Mitglieder weiblich. In Pfronten ist der Anteil mit 23 Prozent höher: Von 42 aktiven Einsatzkräften sind zehn Frauen. Außerdem haben Frauen wie Ela Wuttke und Sabrina Haslach auch mehrere Mädchen inspiriert: Von den 17 junge Menschen, die gerade in der Ausbildung stecken, sind neun Anwärterinnen und acht Anwärter. Der Nachwuchs in Pfronten ist also geschlechterübergreifend gesichert.

Männer waren am Anfang skeptisch

Das eingespielte Einsatz-Team der Pfrontener Bergwacht hat die junge Frau inzwischen sicher hinunter transportiert und ins Fahrzeug verfrachtet. Jetzt würde es Richtung Krankenhaus gehen, allerdings ist die Übung an dieser Stelle erfolgreich beendet. Christof Trenkle ist seit über 40 Jahren im Dienst. Er erinnert sich noch gut an die Skepsis einiger Kollegen, als 2004 die ersten Frauen in Pfronten zur Bergwacht wollten. Er berichtet, dass als Grundsatz deshalb damals festgelegt wurde: "OK, wenn die mitmachen wollen, müssen sie das gleich machen wie die Männer, Rücksicht wird keine genommen und auf der Basis arbeiten wir noch."

Team und nicht Geschlecht steht im Vordergrund

Auch wenn das Geschlecht der ehrenamtlichen Einsatzkräfte inzwischen überhaupt keine Rolle mehr spielt, sagt der langjährige Ausbilder. "Es gibt bloß noch die Diskussion beim Dienstplan machen, wie teilst du die Mannschaft ein, dass es ein gutes Team wird." Der Team-Gedanke ist auch das, was Hanna Blöchle an dem Ehrenamt gefällt. Die 21-Jährige hat für die Übung heute die verletzte Patientin gespielt, absolviert derzeit allerdings die Ausbildung zur Bergretterin. Sie hat bisher nicht gemerkt, dass es von irgendeiner Seite Vorbehalte gegen sie gibt, weil sie eine Frau ist. Ganz im Gegenteil: "Ich find's cool, dass Männer und Frauen bei uns so gut zusammenarbeiten."

Jeder bringt seine Stärken ein

Für die Bereitschaftsdienste sind es meistens Teams aus drei bis vier Männern und Frauen, die via Funkpiepser 24 Stunden erreichbar sein müssen, um im Notfall schnell zur Stelle sein zu können. In das Team bringe jede und jeder seine Stärken ein. Wobei Frauen – das bestätigen Sabrina Halsach und Christof Trenkle gleichermaßen - erfahrungsgemäß die emotionale Komponente übernehmen, weil sie zum Beispiel einfühlsamer im Umgang mit den Patienten sind. Im Gegenzug seien viele Männer einfach stärker und könnten bei Kraft-intensiven Einsätzen Patienten auf der Trage zum Beispiel weiter transportieren.

Diese Gemeinschaft ist es schlussendlich auch, die den Einsatzkräften hilft, psychisch anstrengende Einsätze zu verarbeiten: Zum Beispiel, wenn Suchaktionen abgebrochen werden mussten oder die Opfer nur noch tot geborgen werden konnten. "Wir hocken dann zusammen und reden drüber, dann geht's meistens wieder", berichtet Sabrina Halsach.

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