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Das Thema Versuchter Neubeginn

Stand: 22.11.2011 | Archiv

Nach der "Guiskard-Katastrophe" und der Mainzer Genesungsphase versucht Kleist, sein Leben in geordnete Bahnen zu bringen.

Der Versuch eines Neubeginns

Er bewirbt sich erfolgreich um die Aufnahme in den Zivildienst und beginnt im Januar 1805 eine Ausbildung in der Finanzverwaltung, die er von Mai bis Mitte 1806 in Königsberg absolviert. Das Einkommen ist schmal, stellt ihn aber finanziell auf eigene Füße. Die äußere Stabilisierung kommt auch dem Schreiben zugute. Kleist beendet den "Zerbrochenen Krug", arbeitet intensiv an am "Amphitryon" und der "Penthesilea", bringt die Novelle "Das Erdbeben in Chili" zu Papier, entwirft den "Michael Kohlhaas" und verfasst den Essay "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden".

Die Sehnsucht nach dem Schreiben ist stärker

Das Stabilisierungsexperiment ist nicht auf Dauer angelegt. Seit dem Frühjahr 1806 häufen sich Nachrichten über Erkrankungen. Im Juli wird ihm, aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit, ein halbjähriger, unbezahlter Genesungsurlaub gewährt. Ein Vorwand! Kleist will schreiben. Endlich nur noch schreiben, ganz der "inneren Vorschrift" leben. Den eigentlichen Grund für die erbetene Auszeit vertraut er seinem Freund Rühle an. "Wär ich zu etwas anderem brauchbar, so würde ich es von Herzen gern ergreifen: ich dichte bloß, weil ich es nicht lassen kann. Du weißt, daß ich meine Karriere wieder verlassen habe […]. Ich will mich jetzt durch meine dramatische Arbeiten ernähren […]. Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel; aber es gibt nichts anderes."

Kurzer Stopp als Kriegsgefangener

Bevor Kleist den Plan umsetzen kann, kommt es jedoch zu einem jener seltsamen, bizarren Zwischenfälle, die sein Leben charakterisieren. Am 14. Oktober 1806 war das preußische Heer bei Jena und Auerstedt der französischen Armee unterlegen. Am 25. Oktober hatten französische Truppen Berlin besetzt, die Königsfamilie war nach Königsberg geflohen, wo sich auch Kleist inzwischen wieder aufhält. Statt in Sicherheit abzuwarten, schlägt er sich im Januar 1807 mit einigen anderen entlassenen Offizieren nach Berlin durch. Über den Grund dieser gefährlichen Aktion, die ihn durch und in besetztes Gebiet führt, gibt es nur Spekulationen. Manche Biografen munkeln, er sei geheimer Mission unterwegs gewesen, bleiben aber jeden Beweis schuldig. Wie auch immer, am 30. Januar jedenfalls wird Kleist in Berlin aufgegriffen, der Spionage verdächtigt und als Gefangener nach Frankreich verbracht. Bis Mitte Juli sitzt er zunächst in Fort de Joux im Juragebirge, danach in Châlons-sur-Marne in Festungshaft. Der Frieden von Tilsit am 9. Juli 1807 beendet die Gefangenschaft. Kleist wird entlassen und nimmt, von der Schwester Ulrike abermals finanziell unterstützt, Wohnung in Dresden. Die Dinge lassen sich gut an. Kleist findet Anschluss an die literarischen Zirkel der Stadt, der "Amphitryon", das "Erdbeben in Chili" und einige weitere Novellen erscheinen im Druck, die "Penthesilea" ist abgeschlossen.


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