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Das Thema Lebensplan

Stand: 22.11.2011 | Archiv

Als das Schreiben an Martini abgeht, ist der Entschluss längst gefasst: Kleist will sich fortan ganz den Wissenschaften widmen.

Der Abschied aus der Armee

Dazu hat er bereits einen kurios ehrgeizigen "Lebensplan" ausgearbeitet: "Meine Absicht ist, das Studium der reinen Mathematik und reinen Logik selbst zu beendigen und mich in der lateinischen Sprache zu befestigen […]. Sobald dieser Grund gelegt ist - und um ihn zu legen, muß ich die benannten Wissenschaften durchaus selbst studieren - wünsche ich nach Göttingen zu gehen, um mich dort der höheren Theologie, der Mathematik, Philosophie und Physik zu widmen, zu welcher letzteren ich einen mir selbst unerklärlichen Hang habe […]."

Die Methode Kleist -Das Leben im Brief

Der Brief an den Lehrer Martini ist in vielerlei Hinsicht ein Schlüsseldokument. Er gewährt tiefe Einblicke in die Stimmungen und Gedanken seines Verfassers, und ist darüber hinaus das erste erhaltene Zeugnis einer lebenslang praktizierten Methode: Wie in späteren Briefen auch, nutzt Kleist schon hier sein Gegenüber als Sparringspartner im Ringen um schwerwiegende Entschlüsse. In diesen "Wendedokumenten" nimmt er regelrecht Anlauf für einen entscheidenden Lebenssprung. Stets baut er dabei eine dicht gestaffelte, wie gemauerte Argumentationskette auf, um den Entscheidungsgang feinteilig und sowohl intellektuell wie auch affektiv überzeugend darzulegen. Und überzeugen, so hat es den Anschein, muss er nicht in erster Linie den Empfänger, sondern sich selbst. Ähnliche Briefe wird er immer wieder verfassen und sich dabei in eine Stimmung und Beschlussverhärtung hineinschreiben, die kein Zurück mehr erlaubt; sie sind die Gärbottiche keimender Umbrüche, eine Art letztgültiger Selbstvergewisserung, bevor er sich, derart vorgespannt, euphorisch in eine neue Existenz hineinkatapultiert.


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