Bayern 1 - Experten-Tipps


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Steak aus dem Labor Ist künstliches Fleisch wirklich möglich?

Die Idee ist nicht neu, aber derzeit - im wahrsten Sinne des Wortes - wieder mal in aller Munde: Fleisch aus dem Reagenzglas. Der BAYERN 1 Umweltkommissar will herausfinden, ob "Invitro"-Fleisch in Zukunft auf den Tellern landet.

Von: Alexander Dallmus

Stand: 05.08.2016 | Archiv

Fleisch wird im Labor bearbeitet mir Spritze | Bild: mauritius-images

Der niederländische Gefäßmediziner Mark Post macht dieser Tage Schlagzeilen. Er kündigt an, den ersten Hamburger aus Invitro-Fleisch zu braten - Fleisch, das im Labor gezüchtet wurde. Das ist medienwirksam und sorgt für Aufmerksamkeit. Ob wirklich mehr dahintersteckt, ist fraglich.

Mehr als 20 Institute forschen derzeit weltweit daran, wie sich Fleisch künstlich herstellen lässt. Die Tierschutzorganisation PETA hat vor fünf Jahren sogar eine Million Euro ausgelobt, für denjenigen, der geschmacklich konkurrenzfähiges Hühnerfleisch im Reagenzglas herstellt. Erste Versuche auf einem Workshop 2012 in Göteborg klangen allerdings für Feinschmecker nicht sonderlich verlockend: Embryonale Muskelzellen mit Rinderserum und dem Schalenextrakt von Krustentieren geformt. US-Biomediziner Vladimir Mironov musste auch zugeben, dass die Wissenschaft an der "Struktur und Bissfestigkeit" noch arbeiten müsse.

Aus ökologischer Sicht bietet die Vision von geschmacksechtem, aber künstlich hergestelltem Fleisch enorme Möglichkeiten für das Weltklima. Die Frage ist nur, ob die Serienreife tatsächlich gelingt oder die Aufregung lediglich einer kleinen Zahl medienoffensiver Wissenschaftler geschuldet ist, die auf finanzielle Unterstützung ihrer Labors und Forschungen hoffen. Schließlich ist auch der künstliche Burger des Niederländers Post nur mit Hilfe eines anonymen Spenders entstanden. Kosten bislang: 250.000 Euro!

Industrielle Fleischproduktion ist klimafeindlich!

Der Hunger auf Fleisch wird weltweit weiter wachsen. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ausgerechnet, dass von 2010 bis 2050 der weltweite Fleischkonsum um 73 Prozent steigen wird, wenn gleichzeitig die Weltbevölkerung knapp neun Milliarden Menschen ausmacht. Neuere Hochrechnungen lassen den Schluss zu, dass es im Jahr 2050 sogar mehr als neun Milliarden Menschen sein könnten. Für die Umwelt eine Belastung.

In den Entwicklungsländern hat sich der Fleischkonsum seit 1980 mehr als verdoppelt, in China sogar vervierfacht. Auch in den Industrieländern steigt der ohnehin schon hohe Verbrauch weiter an. Auch die Viehwirtschaft wächst dadurch weiter. Experten rechnen bis 2050 mit einer Verdoppelung der jährlichen Fleischproduktion.

Das Problem: Wenn sich die Menschen bis 2050 weiter wie gehabt ernähren, also durchschnittlich 20 Prozent ihrer Kalorien aus tierischen Proteinen zu sich nehmen, reicht das Wasser nicht mehr aus, um die Ernährung der Welt zu sichern. Viehhaltung kostet Wasser. Um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, werden etwa 15.000 Liter Wasser benötigt. Das entspricht dem Jahresverbrauch einer Person beim Duschen. Experten des Stockholm International Water Institute fodern deshalb, damit das Wasser auch in Zukunft reichen könnte: Nur noch fünf Prozent der täglichen Kalorien durch Fleischverzehr.

Aber der enorme Wasserverbrauch ist nicht die einzige negative Auswirkung der industriellen Viehhaltung. Fleischkonsum hat in jeder Hinsicht einen Preis und den zahlt nicht nur der Mensch. Rund 53 Milliarden Tiere werden jährlich geschlachtet.

Die Tiere werden oft unter katastrophalen Bedingungen gehalten. Sie leben in Massentierhaltung. Das Futter für die Tiere muss um die halbe Welt transportiert werden. Deshalb braucht allein die Fleischindustrie rund 70 Prozent der Agrarflächen weltweit. Hinzu kommt, dass massenhaft Dünger und Pestizide eingesetzt werden müssen, um das Futter möglichst schnell wachsen zu lassen.

Für immer neue Viehweiden und Äcker werden jeden Tag etwa 30.000 Hektar Regenwald gerodet. Denn unter anderem braucht ein Landwirt mindestens fünf Kilogramm Futter, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren.

Weil es einfacher ist, werden die Tiere oft in Hallen gehalten. Dort stehen sie dicht gedrängt, Krankheiten können sich schneller ausbreiten. Um das einzudämmen, werden sie mit Medikamenten vollgestopft. Allein in Deutschland bekommen Tiere bis zu 780 Tonnen Antibiotika im Jahr verfüttert.

Fleisch aus der Fabrik

99 Prozent des Fleisches, das auf dem Tisch landet, kommt aus Fabriken. Dort werden Tiere in automatisierten Anlagen getötet, zerlegt und verpackt. Das Klima leidet unter der Massentierhaltung. Nahezu 70 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen Ernährung der Menschen sind laut einer Studie des WWF auf tierische Produkte zurückzuführen, auf pflanzliche dagegen nur knapp ein Drittel.

Laut dem World-Watch-Institute aus Washington ist die Massentierhaltung mitsamt dem damit verbundenen Landschaftsfraß, der Regenwaldvernichtung, dem Transport und dem CO2-Verbrauch für 51 Prozent der Treibhausgase verantwortlich.

Fleischkonsum zu verbieten, ist kaum umzusetzen und auch nicht zielführend. Auch hier gilt: Weniger wäre mehr. So empfiehlt nicht nur die FAO, dass jeder Mensch täglich lediglich rund 20 Gramm an tierischem Eiweiß zu sich nehmen sollte, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Das entspricht etwa 7,3 Kilogramm Fleisch jährlich. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen empfiehlt zwischen 300 und maximal 600 Gramm pro Woche. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt als Richtwert an, dass der Mensch maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche essen sollte. Tatsächlich verschlingen die Deutschen laut Bundeslandwirtschaftsministerium - durchschnittlich - etwa 61 Kilogramm Fleisch pro Jahr!

Der Stand der Forschung bei Invitro-Fleisch

Vor allem die Raumfahrt-Organisation NASA war vor mehr als zehn Jahren daran interessiert, eine eiweißreiche Alternative zur Ernährung ihrer Astronauten im All zu finden. Mittlerweile setzt sie auf eiweißreiche Pflanzen, aber die "Fleischforschung" in den Labors läuft weiter. Dabei wird auf ein Verfahren zurückgegriffen, das es als Grundlage bereits seit mehr 50 Jahren gibt: die Vermehrung von Zellen. Bislang sind diese Verfahren vor allem zu medizinischen Zwecken angewendet worden, um unter anderem Tierversuche zu vermeiden.

Bisher ist es nur möglich, eine Art Hackfleisch im Labor herzustellen ...

Diese bekannten Verfahren zur Zellvermehrung und Zellkultivierung sollen im Labor dazu verwendet werden, um fleischähnliche Produkte zu züchten. Dazu werden den entsprechenden Tieren Zellen als Ausgangsmaterial entnommen. Allerdings ist es bislang nicht möglich, ein Stück Fleisch künstlich herzustellen, also ein Steak wachsen zu lassen. Die Forscher können lediglich Zellen züchten, diese dann "abernten" und schließlich, durch bestimmte Press- und Trocknungsverfahren, in ein fleischähnliches Produkt verwandeln. Auch der Invitro-Fleischpionier Mark Post muss zugeben, dass er derzeit nur so etwas wie Hackfleisch herstellen könne.

Um ein Steak zu produzieren, müssten die Forscher das Fleisch aber in eine bestimmte Form wachsen lassen können. Außerdem müsste es auch eine gewisse Dicke erreichen. Das ist bislang noch nicht möglich. Denn in einem natürlich gewachsenen Kotelett wie vom Schwein stellen Gefäße im Fleisch die Ernährung der Zellen sicher. Im Labor können die Wissenschaftler bisher nur einzelne Zellschichten von etwa einem Millimeter entstehen lassen. Natürliches Fleisch ist auch deshalb so fest, weil es aus Muskeln besteht und diese immer wieder bewegt werden. Auch das ist im Labor so nicht möglich. Wird das künstliche Fleisch mit Elektroschocks oder mechanisch zum Wachsen angeregt, muss jedoch wieder viel Energie eingesetzt werden. Das steht dem ursprünglichen Gedanken entgegen, mit der Herstellung von künstlichem Fleisch Ressourcen zu schonen oder gar einzusparen.

Steak statt Hackfleisch

Doch die Wissenschaftler haben schon Ideen, wie sie ihr künstliches Fleisch doch noch in einem Stück herstellen können. So soll eine Art Gerüst aus biologisch abbaubarem Material die künstlichen Fleischzellen stützen und ihnen die entsprechende Form geben. Damit könnten - so die Idee - auch Sauerstoff und Nährstoffe ins Fleischinnere geleitet werden.

Vor zwei Jahren ist es in den Niederlanden erstmals gelungen, aus Stammzellen eine größere Menge an Muskelgewebe zu züchten. Diese Rinderzellen wurden in eine Nährlösung auf der Basis von Rinderserum gelegt und diese vermehrt. Im Gegensatz zu früheren Versuchen können aus einer Stammzelle bis zu einer Billion Körperzellen entstehen. Wissenschaftlich gesehen ein ungeheurer Fortschritt. Was derzeit in der kleinen Schale abläuft, könnte also in Zukunft in großen Bio-Reaktoren stattfinden.

Die Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet forschen und um Fördergelder und Spenden buhlen, preisen vor allem die Möglichkeiten, die sich aus der kontrollierten Produktion von Fleisch aus dem Labor ergäben: Der Fettgehalt kann gezielt beeinflusst werden, so dass statt der schädlichen gesättigten überwiegend mehrfach ungesättigte Fettsäuren produziert werden. Auch Vitamine oder Spurenelemente könnten das Fleisch reichhaltiger machen als es von Natur aus ist. Zudem wäre es selbst von schädlichen Prionen, Viren oder Bakterien frei.

Künstliches Fleisch ist aus medizinischer Sicht bedenklich, findet dagegen der Biotech-Experte Christoph Then, "weil man in der Kultur der Zellen verschiedene Stoffe einsetzen muss, um sie vor Infektionen zu schützen." Gegen Pilzinfektionen würden Antibiotika eingesetzt. "Da kommen alle möglichen Hilfssubstanzen zum Einsatz, die im Fleisch nicht enthalten sein sollen", sagt er weiter.

Viel Show – wenig Ergebnisse

Der Hamburger des niederländischen Forschers Mark Post besteht übrigens aus etwa 3.000 Gewebestückchen, die miteinander vermischt und dann zu einem Burger geformt worden sind.  Aus 20.000 so entstandener Fleischstränge konnten die Wissenschaftler aus den Zellschichten eine 140 Gramm schwere, künstliche, fleischähnliche Frikadelle formen. Das "Fleischpflanzerl" ist für den Test in London übrigens mit Salz, Eierpulver, Paniermehl, Saft aus Roten Rüben und Safran gewürzt. Der Geschmack ist aber nicht das Wichtigste, betonen die Wissenschaftler, denn der kann durch die Verwendung von Fettzellen relativ einfach verändert werden.

"Damit der Burger ein Erfolg wird, muss er aussehen, sich anfühlen und schmecken wie ein richtiger Burger."

Forschungsleiter Mark Post kurz vor der Verkostung seines Invitro-Burgers

Es hört sich gut an, wenn bereits vor zwei Jahren in einer Studie belegt wurde, dass die Produktion von Kunstfleisch im Vergleich zur konventionellen Herstellung etwa 45 Prozent weniger Energie und fast 96 Prozent Wasser einsparen könnte. Bis es Fleisch aus dem Labor auch im Supermarkt um die Ecke zu kaufen gibt, dürfte es allerdings noch Jahre dauern. Am Anfang wird das neu entwickelte Fleisch auch nur einem Kundenkreis mit dicker Brieftasche vorbehalten sein. "Die ersten Fleischprodukte (aus dem Labor) werden sehr exklusiv sein", sagte Isha Datar von der Organisation New Harvest, die Alternativen für Fleisch fördert.

Fazit

Wer dazu übergeht, weniger Fleisch zu essen, tut derzeit mehr für die Umwelt als mancher Wissenschaftler. Unbestritten ist schließlich, dass in der industriellen Viehhaltung nicht nur eine unglaubliche Menge Treibhaus-Emissionen stecken, sondern auch der Verschleiß und Raubbau weltweiter landwirtschaftlicher Nutzflächen.

Die Erforschung von künstlichem Fleisch mag sich zunächst unappeitlich anhören, muss aber nicht grundsätzlich schlecht sein. Allerdings wird zu viel auf die positiven Effekte hingewiesen, Probleme wie der zusätzliche Energiebedarf für riesige Bio-Reaktoren oder der mögliche Einsatz von Antibiotika auch unter Laborbedingungen, werden weitgehend ausgeklammert. Deftiger formuliert es der Geschäftsführer von Testbiotech e.V., dem Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, Christoph Then: "Das ist alles in einem Versuchsstadium und wird jetzt gut inszeniert für die Medien. Aber letztendlich ist da keine ernste Absicht dahinter, den Fleischverzehr - so wie wir ihn jetzt kennen - zu ersetzen durch dieses künstliche Fleisch." 

Theoretisch lassen sich aus zehn Stammzellen in nur zwei Monaten etwa 50.000 Tonnen Fleisch herstellen. Wer sofort etwas für den Klimaschutz tun möchte, bleibt bei der empfohlenen Fleischmenge von 300 bis 600 Gramm pro Woche und spart allein - im Vergleich zum deutschen Durchschnitt - damit eine virtuelle Wassermenge ein, die sich sehen lassen kann.


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