Für viele sind die Alpen ein Ort der unberührten Natur, fernab von menschlicher Zivilisation. Doch das ist längst vorbei: Wir hinterlassen überall unsere Spuren – zum Teil auch sehr giftige: DDT etwa. Das Pestizid ist seit 1972 in Deutschland wegen seiner gesundheitsschädigenden Wirkung verboten. Und trotzdem ist eine DDT-Belastung in der Umweltforschungsstation noch messbar: Luftströmungen transportieren es aus Afrika und Indien, wo es zur Malariabekämpfung noch im Einsatz ist, bis zu uns. Das ist eines der Ergebnisse der 15-jährigen Messreihe des Projekts PureAlps vom Bayerischen Umweltministerium.
Nicht nur DDT, sondern auch viele andere schädliche Chemikalien wie Quecksilber und Dioxine lagern sich im Hochgebirge ab. "Es handelt sich um Schadstoffe, die sich über die Jahre in der Umwelt anreichern und mitunter in die Nahrungskette gelangen können", sagt Gabriela Ratz vom Bayerischen Landesamt für Umwelt. Die Lebensmittelchemikerin ist seit 2018 Projektmanagerin von PureAlps.
Projekt PureAlps: Weltweit einzigartige Messreihe
Das Projekt PureAlps ist weltweit einzigartig: Seit 2005 messen Wissenschaftler an verschiedenen Stationen in den Alpen Rückstände von Chemikalien in der Luft und im Niederschlag. Viele Schadstoffe werden nicht abgebaut - wie Flammschutzmittel, Quecksilber oder per- und polyflourierten Chemikalien (PFCs), die unter anderem in der Textilindustrie entstehen.
Die Messungen finden in Deutschland an der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus auf 2.650 Metern Höhe unterhalb des Zugspitz-Plateaus und in Österreich im Observatorium Sonnblick in den Hohen Tauern statt. Das Monitoring soll frühzeitig Chemikalien identifizieren, die Biodiversität, Lebensmittelproduktion und Wasserversorgung schädigen könnten. Im März 2020 läuft das Projekt PureAlps aus. "Die Messungen an der Umweltforschungsstation werden aber weitergehen und durch die Untersuchungen im Rahmen des Projekts OPTIMON ergänzt", sagt Gabriela Ratz.
Ökosysteme durch Chemikalien in Gefahr
Auch wenn die Schadstoffe in der Luft relativ gering sind – über längere Zeit sammeln sich größere Mengen in der Umwelt an und können diese stark beeinflussen. Mit teils fatalen Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen. "Bereits in niedrigen Konzentrationen können Dioxine reproduktionstoxisch wirken und einige Perfluorverbindungen können zu hormonellen Veränderungen führen", sagt Gabriela Ratz. Das heißt also, dass sich Dioxine auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirken können.
Solche Perfluorverbindungen finden sich in geringer Konzentration zum Beispiel in beschichteten Pfannen, Einweggeschirr oder auch in fettabweisender Folie. "In Gewässern lagern sich die Stoffe an Partikeln wie Schwebstoffen an und gelangen über das Plankton in Fische. Letztendlich landen die Schadstoffe in fischfressenden Haubentauchern", sagt Gabriela Ratz vom Landesamt für Umwelt. "Wir untersuchen nur die Tiere und die Umwelt." Bei den Messungen ginge es nicht um die Weitergabe an den Menschen. Wobei der ja bekanntlich am Ende der Nahrungskette steht.
Schadstofftransport aus den Tropen
Viele der über 100 untersuchten Chemikalien stammen aus der ganzen Welt – wie im Fall von DDT aus tropischen Ländern. Zwei globale "Transport-Förderbänder" bringen sie in die Alpen: der Wasserkreislauf und verschiedene Luftströmungen. Über Verdunstung steigen diese Stoffe mit in höhere Atmosphärenschichten auf und geraten in die Strömungen, die sie überall rund um den Globus transportieren.
Das Gebirge wirkt dabei wie ein Fangnetz für die Luftmassen, die sich besonders an den Alpenrändern abregnen - mit den Umweltgiften. Wegen der kälteren Temperaturen bleiben diese dort - sie können nicht mehr in die Luft aufsteigen. So reichern sie sich über die Jahre an. Dieser Vorgang heißt "Kälte-Falle" - "cold trapping". Dadurch sind die Konzentrationen im Hochgebirge zum Teil fast so hoch wie an den Emissionsorten selbst, sagt Korbinian Freier, der Projektleiter des Alpenmonitorings. Den cold-trapping-Effekt könnte man auch Kühlschrank-Effekt nennen:
"Wir sind hier im Kühlschrank Mitteleuropas - den Alpen. Das sieht man auch an dem Schnee im Hintergrund. Dieser Kühlschrank bewirkt, dass Stoffe, die eigentlich in der Luft als Gase vorhanden wären, auch rauskommen - wie auch das Wasser im Kühlschrank kondensiert. Das gilt auch für Schadstoffe: Sie kondensieren da, wo es kälter wird." Korbinian Freier, PureAlps
Internationale Verbote könnten die Alpen schützen
Die Mess-Ergebnisse aus den Alpen sollen helfen, die Chemiebelastung zu kontrollieren und die Berge mit internationalen Maßnahmen zu schützen. In der Vergangenheit haben solche Verbote schon Wirkung gezeigt: Das internationale Stockholmer Übereinkommen von 2004 mit seinen Verbots- und Beschränkungsmaßnahmen zum Schutz vor schwer abbaubaren organischen Schadstoffen etwa.
Seither zeigen die alpinen Messwerte, dass etwa Konzentrationen von DDT von 2006 bis 2017 um 60 Prozent zurückgingen. Ablagerungen des Insektizids Endosulfan reduzierten sich sogar um 96 Prozent. Umweltgifte wie Dioxine nehmen trotz Verboten in den Alpen nicht ab. Wieder andere Stoffe wie etwa Octachlorstyrol sind noch nicht verboten und zeigen einen signifikanten Anstieg: "Das liegt daran, dass gewisse Stoffe verboten und durch neue ersetzt wurden, die die gleichen Funktionen erfüllen", sagt Gabriela Ratz.
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