Eine Frau putzt sich die Nase.
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Eine Krankheitswelle hat Bayern derzeit fest im Griff. Die Corona-Infektionen steigen wieder.

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Corona im Abwasser: Was der Anstieg aussagt

Die Anzahl der Corona-Fälle steigt an vielen Orten in Bayern an. Das lässt sich aus dem Abwasser ablesen. Ein Grund zur Panik ist der Anstieg laut Experten aber nicht. Was das Abwassermonitoring aussagt – ein Hintergrund.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Eine Krankheitswelle hat Bayern derzeit fest im Griff. In Bussen, Zügen und im Supermarkt hört man ständig Husten, Niesen und Schniefen. Arbeitskräfte fehlen. Hinter vielen Atemwegserkrankungen steckt wieder das Coronavirus. "Wir wissen, dass im Augenblick etwa ein Drittel der Infektionen auf Sars-CoV-2 zurückzuführen ist, ein Drittel auf Rhinoviren, also banale Schnupfenviren", sagt der Virologe Oliver Keppler von der LMU München. "Bei den Kindern kommt seit Kurzem eine RSV-Welle dazu."

Aber: Die Corona-Inzidenzen, die im Laufe der Pandemie eine wichtige Kenngröße waren, geben kaum noch Aufschluss über die Infektionslage. Wer zu Hause überhaupt noch einen Schnelltest macht, teilt dem Hausarzt nicht immer das positive Ergebnis mit. Wie viele Menschen also tatsächlich gerade mit Corona infiziert sind, lässt sich schwer sagen.

Abwasser gibt Hinweise auf Infektionsgeschehen

Das Abwasser gibt als aufschlussreicher Datenlieferant einen Hinweis auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Winzige Spuren von Viren und Keimen lassen sich darin feststellen. "Wenn jemand Corona hat, dann scheiden diese Personen Teile des Virus, die Genkopien, also Erbinformationen aus", erklärt Keppler, der das Abwassermonitoring in Bayern mitaufgebaut hat. Wie genau das funktioniert, sei noch nicht klar. "Wir glauben, ein bisschen durch den Stuhl oder auch durch das Ausspucken beim Zähneputzen." Von infizierten Menschen ausgeschiedene Genfragmente von Sars-CoV-2 sind im Abwasser molekularbiologisch nachweisbar. Dadurch lassen sich auch ohne Abstriche und Meldungen an das Gesundheitsamt Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung ziehen. In Bayern wird inzwischen an 29 Kläranlagen das Abwasser untersucht.

Das Bundesministerium für Gesundheit und das Robert Koch-Institut stellen auf der Website des Corona-Pandemieradars die Viruslast pro Liter Abwasser im Zeitverlauf dar. Die Werte wurden je nach Standort, Messtag und Menge an Haushalten, die an die untersuchte Kläranlage angeschlossen sind, angepasst, gewichtet und ein Mittelwert gebildet.

Grafik: So entwickelt sich die Viruslast im Abwasser in Deutschland

Die Kurve schnellt aktuell dramatisch nach oben. "Die Hinweise auf steigende Infektionen im Abwassermonitoring passen auch zur tatsächlichen Situation in der Bevölkerung", bestätigt Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar. Der Anstieg an Atemwegserkrankungen sei typisch für die Wintermonate. Aktuell nehme der Anteil an Corona-Infektionen aber zu.

Starker Anstieg ist kein Grund zur Panik

Das sei aber kein Grund zur Panik, meinen die Experten. "Natürlich sehen wir jetzt mehr Menschen als noch vor ein paar Monaten, die an Covid-19 erkrankt sind und auch die Arztpraxen aufsuchen. Aber das ist nicht zu vergleichen mit den Winter-Wellen, die wir in den vergangenen Jahren hatten", sagt der Virologe Keppler. Grund dafür sei vor allem die hohe Immunität in der Bevölkerung – durch Impfungen, Infektionen oder beides. "Der Anteil Schwerstkranker liegt zwischen zehn und fünf Prozent von dem, was wir zu Hochzeiten während der Pandemie hatten." Nicht nur die Menge an Infizierten, sondern auch die Schwere der Verläufe sei mit ausschlaggebend für die Belastung des Gesundheitssystems.

"Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir nicht davon aus, dass die Anzahl an schweren Lungenentzündungen durch Covid-19 relevant ansteigen wird", sagt auch Spinner.

Grafik: Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter Corona-Fälle

Die Werte des Abwassermonitorings, die das RKI einmal wöchentlich in einem epidemiologischen Lagebericht veröffentlicht, unterliegen außerdem einigen Einschränkungen. 1.000 Genkopien pro Liter in Berlin entstehen nicht durch die gleiche Anzahl infizierter Personen wie 1.000 Genkopien pro Liter in München. Jedes Kanalnetz und jedes Abwasser ist etwas anders und beeinflusst die Viruslast in unterschiedlicher Weise. Vergleiche der absoluten Werte verschiedener Städte sind so nicht möglich. Rückschlüsse auf die genaue Menge an infizierten Menschen lassen sich nicht ziehen. Durch die Darstellung der absoluten Werte kann allerdings schnell auf neue Messstandorte reagiert werden, die aktuell häufig dazukommen.

Das Bay-VOC-SARS-CoV-2 Abwassermonitoring in Bayern verfügt über längere Zeitreihen an Messwerten, da es viele der Messstandorte schon seit Anfang 2022 gibt. Auf der Website kann man sich daher die relativen Werte je Standort anzeigen lassen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen die aktuelle Viruslast je Messstelle – 29 gibt es in Bayern – in Relation zu dem in einem Zeitraum gemessenen Höchstwert. So kann ein Trend im Infektionsgeschehen dargestellt werden. Die Daten werden in der Regel zweimal pro Woche aktualisiert und sind öffentlich zugänglich.

Infektionsgeschehen in Bayern lokal sehr unterschiedlich

Wie genau sich das Infektionsgeschehen entwickelt, ist je nach Standort sehr unterschiedlich. In München gab es 2023 neben der üblichen Erkältungswelle im Frühjahr pünktlich zum Oktoberfest eine Corona-Welle. Am 28. September 2023 wurde der bisherige Jahres-Höchstwert gemessen, den auch die aktuelle Winterwelle noch nicht erreicht hat. In Weiden in der Oberpfalz gab es keine Sommer-Ausschläge, dafür steigt die Kurve nun kontinuierlich an. In Augsburg sieht die Kurve wieder ganz anders aus. Dort steigen die Werte seit August wellenartig. Der Höchstwert für 2023 wurde aber am 5. Dezember gemessen.

Grafik: Relative Viruslast im Abwasser in bayerischen Orten

Das Monitoring kann also gut für die Bewertung von lokalen Gegebenheiten herangezogen werden, was zum Beispiel für Menschen aus Risikogruppen sehr interessant sein kann, sagt Virologe Oliver Keppler. "Wenn in ihrem Alltag die Risikobeurteilung noch eine Rolle spielt, können sie sich das Infektionsgeschehen ansehen und entscheiden, trage ich jetzt lieber die Maske oder nicht? Oder gehe ich jetzt vielleicht zu dieser Weihnachtsfeier?"

Abwassermonitoring als Frühwarnsystem für neue Varianten

"Am Anfang der Pandemie waren einzelne Varianten vorherrschend: Da folgten aufeinander Alpha, Beta, Gamma, Delta und die ersten Omikron-Varianten", erklärt Keppler. "Das waren Solisten in einem Konzert, jetzt haben wir ein ganzes Orchester." Das liege daran, dass mittlerweile viele hochansteckende Sub-Varianten von Omikron entstanden seien – sich eine einzelne aber nicht mehr durchsetzen könne. HV.1 heißt eine neue Variante, die in den USA schon dominant sei, aber auch hier nicht zu einem Anstieg schwerer Erkrankungen geführt habe. "Die haben wir eigentlich schon seit Ende September im Abwasser kommen sehen und zuletzt auch in bis zu 10 Prozent der Patientenabstriche", sagt Keppler.

Grafik: SARS-CoV-2 Varianten im Abwasser bayerischer Orte

In der nächsten Zeit soll das Abwassermonitoring auch RS-Viren und Influenzaviren erfassen.

Obwohl Corona im Allgemeinen seinen Schrecken verloren habe, empfiehlt Spinner vor allem älteren, chronisch kranken Menschen eine jährliche Auffrischungsimpfung gegen Corona und Influenza, um schwere Verläufe zu verhindern. Generell gelte aber, wer krank ist, sollte zu Hause bleiben oder zumindest eine Maske tragen, um andere Menschen nicht zu infizieren.

Dieser Artikel ist erstmals am 14.12.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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