Spritze mit zwei Ampullen Insulin
Bildrechte: picture-alliance / BSIP/JOUBERT | JOUBERT

Insulin machte Diabetes mellitus nicht heilbar, aber behandelbar.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

100 Jahre Insulin: Die erste Spritze, die Leben rettet

Am 23. Januar 1922 wurde zum ersten Mal ein Mensch erfolgreich mit Insulin behandelt. Bereits die erste Spritze besserte seinen Diabetes mellitus. Mit einem Schlag war die bisher tödliche Zuckerkrankheit behandelbar.

Über dieses Thema berichtet: Planet Wissen am .

Frederick Grant Banting (1891-1941) und Charles Herbert Best (1899-1978) gelten heute als die Entdecker des Insulins. Der Erfolg der beiden Kanadier beruhte allerdings nicht auf jahrelanger Forschung, sondern auch auf einer Portion Glück. Schon vor ihnen waren Forscher dem Stoff, der den Blutzucker steuert, auf der Spur. Banting und Best waren jedoch die Ersten, die aus der Bauchspeicheldrüse eine Substanz gewinnen konnten, die den Blutzuckerwert senkt, wenn sie mit einer Spritze verabreicht wird.

Diabetes mellitus, der "süße Durchfluss"

Schon vor fast 3.600 Jahre wurde Diabetes mellitus beschrieben: In einem ägyptischen Papyrus werden übermäßiger Durst, häufiges Wasserlassen und starker Gewichtsverlust als Symptome der Zuckerkrankheit genannt. 250 vor Christus bezeichnete Apollonius von Memphis die Krankheit als Diabetes (von griechisch: diabainein, hindurchfließen). Der Londoner Arzt Thomas Willis fügte 1675 daran "mellitus" (von lateinisch: Honig) an. Der im Urin der Diabetes-Kranken enthaltene Zucker ließ diesen süß schmecken.

Im Jahr 1869 entdeckte und beschrieb der Medizinstudent Paul Langerhans "rundliche Häuflein" im Gewebe der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Diese wurden später nach ihm Langerhans-Inseln benannt. Über deren Funktion fand er allerdings nichts heraus. Man vermutete jedoch bald, dass sie etwas mit der Regulierung des Blutzuckers zu tun haben könnten. 1909 wurde daher das Insulin nach diesen Inselzellen benannt. Zu diesem Zeitpunkt war aber noch unklar, was für eine Substanz dies eigentlich sein sollte.

Versuche mit der Bauchspeicheldrüse

Einen Zusammenhang zwischen Pankreas und Diabetes mellitus hatten Wissenschaftler bereits Mitte des 19. Jahrhunderts angenommen. Um 1900 experimentierten Forscher mit Pankreas-Gewebe und daraus gewonnenen Extrakten. In Paris konnte beispielsweise 1894 Eugène Gley mit dem Pankreasextrakt eines Schlachttiers den Blutzucker eines Hundes senken, dem die Bauchspeicheldrüse entfernt worden war. Auch die Diabetes-Symptome besserten sich. Gley gab dem Hund daraufhin eine weitere Spritze, diese aber ausschließlich mit Gewebe aus den Inselzellen. Auch diese Injektion war erfolgreich. Gley forschte allerdings in dieser Richtung nicht weiter. Erst viele Jahre später, als Banting und Best ihre Erkenntnisse veröffentlichten, erkannte er, dass er das Insulin eigentlich bereits viel früher entdeckt hatte.

Der Rumäne Nicolae Paulescu entwickelte ebenfalls ein Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse und senkte damit den Blutzucker eines diabetischen Hundes. Der Erste Weltkrieg hinderte ihn jedoch an weiteren Forschungen. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er erst 1921. Auch der deutsche Internist Georg Ludwig Zülzer hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Hunden ein Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse getestet. Am 21. Juni 1906 behandelte er damit einen Patienten, der sich bereits im diabetischen Koma befand. Dessen Zustand besserte sich zunächst, später zeigten sich jedoch schwere Nebenwirkungen. Nach dem Absetzen des Medikaments starb der Patient. Unbekannt ist, ob die Ursache eine Verunreinigung des Extrakt war, eine zu starke Reaktion des Immunsystems oder starker Unterzucker, ausgelöst durch das Präparat.

Bildrechte: picture alliance / Courtesy Everett Collection
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Frederick Banting und Charles Best erprobten ihr Insulin an diabetischen Hunden.

Frederick Banting war eigentlich ausgebildeter Chirurg und arbeitete an einem Kinderkrankenhaus. Er beschäftigte sich aber auch mit Diabetes mellitus, nachdem ein Freund von ihm an dieser Krankheit gestorben war. Banting kam - wie schon andere vor ihm - auf die Idee, aus den Bauchspeicheldrüsen von Hunden einen Stoff zu gewinnen, der den Blutzucker senkt. Davon überzeugte er Anfang 1921 auch John James Rickard Macleod. Dieser war Professor für Physiologie an der Universität von Toronto und forschte ebenfalls zu Diabetes. Macleod stellte Banting für seine Forschungen einen Sommer lang ein Labor und Versuchstiere zur Verfügung. Außerdem bekam Banting von ihm einen Assistenten zugeteilt, den Medizinstudenten Charles Best.

Hund überlebt 70 Tage ohne Pankreas

Banting und Best begannen in ihrem Labor, aus Bauchspeicheldrüsen Extrakte herzustellen. Die Organe stammten zunächst von Hunden, später auch von Kälbern. Am 27. Juli 1921 spritzten sie gereinigtes Extrakt einem Hund, dem vorher das Pankreas entnommen worden war. Innerhalb von zwei Stunden sank dessen Blutzucker erheblich. Die Behandlung ließ den Hund trotz fehlender Bauchspeicheldrüse einige Tage überleben. Mit einem verbesserten Extrakt überlebte ein Hund namens Marjorie sogar 70 Tage. Damit hatten Banting und Best einen Beweis für die Wirksamkeit ihres Präparats.

Bildrechte: picture-alliance / dpa | dpa
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Banting und Best mit ihrem Versuchshund Marjorie. Die Gabe von Insulin erhielt ihn am Leben, obwohl er keine Bauchspeicheldrüse mehr besaß.

Schon im Januar 1922 rettete das Insulin erstmals einem Menschen das Leben. Bis dahin gab es nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit für Diabetes: hungern. Chronische Unterernährung konnte das Leben eines Diabetikers um ein oder zwei Jahre verlängern. Bei dem 13-jährigen Leonard Thomson war dies keine Option mehr. Er lag seit vier Wochen im Stadtkrankenhaus von Toronto, wog weniger als 30 Kilogramm und stand kurz davor, ins Koma zu fallen.

"Dicker brauner Schleim" in der Spritze

Angesichts des drohenden Todes des Jungen erhielt dieser in jede Pobacke eine Spritze mit 7,5 Milliliter des Pankreas-Extraktes, das als "dicker brauner Schleim" beschrieben wurde. Der Blutzuckerwert sank daraufhin, allerdings rief das noch unreine Insulin einen Abszess hervor, an dem Leonard beinahe gestorben wäre. Eine zweite Spritze mit gereinigtem Insulin am 23. Januar senkte den Blutzucker stark ab. Thomson wurde weiter damit behandelt und seine Zustand besserte sich. Im Mai 1922 konnte er das Krankenhaus verlassen. Erst 14 Jahre später starb er an den Folgen einer Lungenentzündung.

Zu den ersten Menschen, die Banting und Best mit Insulin behandelten, zählte auch der fünfjährige Theodor Ryder. Als er am 10. Juli 1922 seine erste Insulin-Spritze erhielt, wog er nur noch 12,5 Kilogramm. Innerhalb weniger Monate erholte sich Ryder und führte von da ein Leben ohne größere Beeinträchtigungen durch seine Krankheit. Er starb im Jahr 1993 im Alter von 76 Jahren.

Bildrechte: Thomas Fisher Rare Book Library CC BY 2.0
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Dear Dr. Banting, I wish you could come to see me. I am a fat boy now and I feel fine. I can climb a tree. (...) Lots of love from Teddy Ryder"

Nobelpreis für Banting und Macleod

1923 erhielt Banting den Medizin-Nobelpreis "für die Entdeckung des Insulins", zusammen mit John James Rickard Macleod. Die beiden teilten das Preisgeld mit Charles Best und James Collip. Der Biochemiker hatte das Extrakt durch Reinigung deutlich verträglicher und effektiver gemacht. Banting und Best ließen sich das Extrakt und dessen Herstellung 1923 patentieren, übertrugen ihre Rechte aber für einen Dollar der Universität von Toronto. Diese sollte dafür sorgen, dass die Patentnutzer den Wirkstoff in ausreichend guter Qualität und Reinheit herstellen konnten. Noch im gleichen Jahr konnte das Insulin in großen Mengen produziert werden. In Toronto brachte das Unternehmen Eli Lilly & Co. ein Insulinpräparat auf den Markt, kurz darauf in Deutschland die Farbwerke Hoechst und Bayer.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!