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Wilhelmine mit Mops

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Zwei Bücher reichten ihrem Gatten: Wilhelmines Frust in Bayreuth

Stühle gab es nicht, eine Heizung ebenso wenig, und kaum ein Zuschauer kam freiwillig: Opern waren in der Barockzeit kein Vergnügen, sondern Repräsentationspflicht, jedenfalls für den Adel - und der hatte mehr Läuse als Manieren. Von Peter Jungblut

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Schlechte Manieren, schlechte Bildung, schlechtes Essen und jede Menge Kopfläuse - so präsentierte sich der Bayreuther Adel, als Prinzessin Wilhelmine von Preußen 1731 aus Berlin anreiste. Ihr künftiger Ehemann Markgraf Friedrich hatte bis dahin offenbar nur zwei Bücher gelesen, leider, denn den ganzen Abend sprach er mit ihr über nichts anderes. Eine Kulturstadt im engeren Sinne war Bayreuth damals also nicht, Wilhelmine war schockiert. Umso erstaunlicher, dass sie eines der größten Opernhäuser ihrer Zeit bauen ließ, so groß, dass der Kleinstaat Bayreuth in eine Schuldenkrise geriet.

Oper war "Arbeitszeit"

Selbstverständlich war das Theater nicht zur Unterhaltung der Bevölkerung vorgesehen. Freiwillig ging im 18. Jahrhundert kaum jemand in die Oper, höchstens gerne, möglicher Weise auch widerwillig, gleichgültig oder erwartungsvoll - gefragt wurde das Publikum jedenfalls nicht, weder die Adeligen, noch deren Personal. Der Hofstaat hatte anwesend zu sein, wenn der Herrscher eine Aufführung angeordnete - insofern zählte das zur "Arbeitszeit". Bequeme Sitzgelegenheiten waren daher nicht nötig, geheizt wurde auch nicht. Dazu war der Raum zu groß.

Markgraf stand am Orchestergraben

Der Markgraf selbst soll sich während der Vorstellungen üblicher Weise an die Orchesterbrüstung gelehnt haben, auch die anderen Herren standen oder gingen während der Vorstellung plaudernd von einer Loge zur nächsten. Es wurde auch gern nebenbei gespielt. Die Damen platzierten sich mit ihren ausladenden Reifröcken auf Bänken ohne Lehne. Für Wilhelmine, die kunstbeflissene Markgräfin, wurde in der ersten Reihe ein Sessel mit himmelblauem Samt aufgestellt. Womöglich war sie auch die einzige im Saal, die den Opern gespannt und konzentriert, ja andächtig lauschte. Hans-Jürgen Drescher, der Präsident der Bayerischen Theaterakademie August Everding:

Eine riesige Bühne, ein riesiges Portal, im Vergleich dazu ist der Zuschauerraum verhältnismäßig klein. Sie wollte natürlich großes Theater machen. Auch in der Kartusche über der Fürstenloge wird der Architekt erwähnt, mit den Fürsten zusammen. Das heißt, das ist eine Aufwertung der Kunst und der Künstler. Also nicht mehr im unbestuhlten Zuschauerraum und in den Logen herumlaufen, essen, trinken, reden und wenn eine der Bravourarien kommt, mal nach vorne schauen, sondern den Blick auf die Bühne richten, auf die Kunst richten. Ich glaube, da ist Wilhelmine eine völlig unterschätzte, große Visionärin der Theatergeschichte, und nicht nur der Bayreuths, sondern weltweit.

Keiner durfte seinen Platz aussuchen

Aber selbst Wilhelmine gingen Barockopern bisweilen auf die Nerven, jedenfalls, wenn sie sechs Stunden dauerten und von miserablen Sängern geträllert wurden. Die mussten ihre Kostüme selbstverständlich mitbringen und wurden längst nicht alle gut bezahlt. Opernhäuser waren damals keine Kunsttempel, sondern Repräsentationsräume des Hochadels. Der schaute sich erste eine französische Komödie an, tanzte am nächsten Abend auf einem Ball, ließ sich tags drauf von einer Barockoper ablenken und speiste im Anschluss auf der Bühne - in Bayreuth wurde bei den Festlichkeiten 1748 für 80 Personen eingedeckt. Egal, was angesagt war, niemand durfte sich seinen Platz aussuchen, alles war hierarchisch geregelt und genau vorgegeben.

Sie war "eine große Leidende"

Die Pagen standen auf der Balustrade, die Kollegialräte besetzten den ersten Rang, usw. In der Mittelloge übrigens versammelten sich damals die alten Hofdamen, erst später nahmen dort die Herrscher Platz. Immerhin waren die Sitten im Barock noch nicht ganz so verlottert wie später, als es üblich wurde, von den Rängen Abfall ins Parkett zu werfen. Undenkbar für die strenge Markgräfin Wilhelmine.

Also sie verkörperte wirklich schon sehr früh die Tugenden des guten Theaterintendanten, bevor es sowas überhaupt wirklich gab. Also alle Entwicklungen, die im 19. Jahrhundert vorkamen, hat sie im Grunde schon vorweg genommen. Sie ist für mich eine große Leidenschaftliche für das Theater und eine große Leidende auch. - Hans-Jürgen Drescher

Jetzt kommen die Zuschauer freiwillig

Gelitten wird im Theater ja heute noch gelegentlich. In Bayreuth freilich wird das die Ausnahme bleiben: Das dortigen Markgräfliche Opernhaus ist in erster Linie Museum und soll nur ausnahmsweise bespielt werden. Und die Zuschauer werden wollen freiwillig kommen - wenn das kein Fortschritt ist!