Bildrechte: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

Rasender Roland in der Unterwelt

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Wenn das Popcorn explodiert: "Orlando Paladino" in München

Der "Rasende Roland" krakeelt im Kino: Regisseur Axel Ranisch zeigt Joseph Haydns irrwitzige Ritter-Story an der Bayerischen Staatsoper als wilde, chaotische Fantasy-Satire und Gleichnis über die Macht der Liebe. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die meisten Menschen behalten ja gern den Überblick, Durcheinander macht sie nervös, Wirrwarr verzweifelt. Der Regisseur Axel Ranisch gehört nicht dazu. Ihm kann es gar nicht chaotisch genug sein, deshalb hat er im letzten Jahr auch den "Tatort" aufgemischt, mit einer improvisierten Folge ohne ausgeschriebene Dialoge. Das fanden viele abenteuerlich bis sträflich, die Kritiken waren vernichtend, aber in der Oper, da ist Axel Ranisch mit seinem Hang zur Unübersichtlichkeit genau richtig aufgehoben, und deshalb wurde seine Inszenierung von Josephs Haydns heldisch-komischem Drama "Orlando Paladino" gestern Abend auch ein Triumph.

Ein paar kommen tatsächlich

Allein der Untertitel: "Heldisch-komisch"! Ja, genau so komponierte Hadyn seine Rittergeschichte nach dem Versepos vom "Rasenden Roland" - mal tief traurig, mal pathetisch, mal witzig, mal absurd, mal zauberhaft, alles durcheinander also, und Axel Ranisch, der seine eigene Produktionsfirma ganz unbescheiden "Sehr gute Filme" nennt, verlegte diese reichlich kunterbunte Handlung kurzerhand ins Kino, dahin, wo sie hingehört. Ausstatter Falko Herold hatte ein muffiges Filmtheater-Foyer entworfen, in dem sich Hausmeister, Kassiererin, Büfettdame und Putzfrau langweilen und auf Gäste warten. Ein paar kommen tatsächlich, Senioren für die Nachmittagsvorstellung, und schnell finden sich alle mitten in der Filmhandlung.

Die Lethe löscht alle Erinnerungen

Keine neue, sondern eine naheliegende, aber deshalb keineswegs schlechte Idee. Großartig, das Durcheinander, das sich da über gut drei Stunden auf der Bühne entwickelte. Die Zuschauer, die vorher emsig im Programmheft die Handlung gelesen hatten, dürften zu den ganz wenigen gehört haben, die am Ende mit Buhrufen protestierten, denn da stand nichts von dem herrlichen Drunter und Drüber: Axel Ranisch drehte am schönen Walchensee mit Hilfe der Bayerischen Staatsforsten ein paar abstruse Ritter-Szenen, in schwarzweiß und in Farbe, die passten vorzüglich zu dem, was sich vor der Leinwand abspielte. Da rast der titelgebende Roland solange aus Liebeskummer, bis er in der Unterwelt zur Besinnung kommt - das Wasser der Lethe löscht ja bekanntlich alle Erinnerungen. Um die an diesen Opernabend wäre es allerdings wirklich schade.

Schwuler Held mit "Astralkörper"

Axel Ranisch lässt einen Popcorn-Automaten explodieren, einen schwulen Helden mit seinem "Astralkörper" kokettieren, eine Magierin mit ungeschnittenen Nägeln zaubern, einen Pferdekadaver vor sich hin rotten, den Fährmann Charon mit fünf ansehnlichen Totenschädel-Gehilfen aufmarschieren und einen Stumm-Film durchglühen - das alles spielt sich also in einer Zeit vor der digitalen Projektion aus dem Beamer ab, als es noch Filmspulen gab und echtes Zelluloid. Umwerfend, wie die stummen Schauspieler Gabi Herz und Heiko Pinkowski ein zerknittertes Kinobetreiber-Pärchen darstellen. Und faszinierend, wie alle Sänger in diese fordernde Produktion eingestiegen sind - allen voran Adela Zaharia als romantische Angelica, Tarra Erraught als einsatzfreudige Wunderfrau Alcina, Mathias Vidal als rasender Roland und Edwin Crossley-Mercer als männerliebender Gegenspieler Rodomonte.

Kurvenreiche Arie

Sie kämpfen akrobatisch, singen mit dem Rücken zum Publikum, ackern mit Rüstung und Schwert so hingebungsvoll wie im Slapstick. Wer weiß, wie unbeweglich und störrisch Opernsänger sonst gern sein können, wird das verblüfft zur Kenntnis nehmen. Ivor Bolton am Pult des Münchener Kammerorchesters begleitete das mit einer geradezu ausgelassenen Freude an all dem Toben und Treiben, dem Mischmasch von Liebe, Mord und Eifersucht. Der Satiriker Joseph Haydn nahm sich in diesem Fall wohl die damals schon überholte Barock-Oper zum Vorbild, die einfach nur möglichst viele verschiedene Emotionen in möglichst abrupter Reihenfolge abhaken wollte. Hadyn schafft das mit einer einzigen rasanten und kurvenreichen Arie. Beifallsstürme bei ein paar sehr wenigen irritierten Protesten - ein heiterer Saison-Ausklang für die Bayerische Staatsoper.

Wieder am 25., 27. und 29. Juli.