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Thomas Ostermeier

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Warum an Theatern die Männer dominieren

Unlearning Patriarchat - darüber diskutierte das Berliner Theatertreffen. In der Praxis sieht's düster aus: Keine einzige Autorin steht auf dem Spielplan der Schaubühne. Warum? Intendant Thomas Ostermeier: "Wir haben nicht darauf geachtet".

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Altgewohnte Männlichkeitsbilder und struktureller Sexismus am Theater? Ist nicht das Theater ein innovativer Ort und der Gesellschaft superweit voraus! Wer, wenn nicht das Theater könnte Vorreiter sein in Fragen der Gleichstellungspolitik? Ja, es sollte, ist es aber nicht. Zahlen, die der Deutsche Kulturrat mit einer Studie über Frauen in Kultur und Medien unlängst vorgelegt hat, sind vielmehr verheerend. Nur 30 Prozent aller Inszenierungen an deutschen Theatern stammen von weiblicher Regiehand, an großen Bühnen ist die Zahl noch geringer, ganz zu schweigen von der sogenannten „Gender Pay Gap“, der unterschiedlichen Bezahlung. Regieassistentinnen etwa verdienen im Schnitt 45 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Mit Anna Bergmann etwa, geboren 1978, wächst hingegen gerade eine neue Generation von Theaterfrauen heran, die sich vom Prinzip weiblicher Selbstzweifel längst verabschiedet haben. Am Badischen Theater Karlsruhe, wo sie mit der kommenden Spielzeit als Schauspieldirektorin startet, hat sie schlicht 100 Prozent aller Regieaufträge an Frauen vergeben. Die Reaktion darauf, ein Schock! „Ich war erstaunt. Ich hab schon damit gerechnet, dass es Menschen gibt, die das nicht so toll finden, ist ja logisch. Es gab ein Aufschrei, mir wurde unterstellt, ich diskriminiere Männer, was ich niemals tun würde", sagte Bergmann auf dem Podium zum Thema „Next Level Intendanz“ beim Berliner Theatertreffen.

Genderdebatte vergessen? Thomas Ostermeier & Co.

Die Folgediskussion zum Thema "Practice, what you preach" macht aber dann gleich zu Beginn klar, wie es um den Bewusstseinsstand zur Genderdebatte bei einigen männlichen Theaterleuten steht. Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, beantwortete die Frage der Moderatorin und Theaterkritikerin Susanne Burkhardt, weshalb in der aktuellen Spielzeit 2017/18 keine einzige Autorin auf dem Spielplan steht so: "Ganz ehrlich gesagt, haben wir nicht darauf geachtet. Wir haben nach Stoffen gesucht, die uns interessieren, egal, von welchem Geschlecht". Ostermeiers Statement, sein Bekenntnis, ruft in den weiten Reihen des Publikums nackte Empörung hervor.

Gegen solche Bewusstlosigkeit in Genderfragen kommen die Münchner Kammerspiele unter der Intendanz von Matthias Lilienthal schon deutlich besser weg. Die Zahlen zeigen, hier stehen 53 Autoren immerhin 47 Autorinnen gegenüber. Keine Spur also von männlichem Geniekult, dem übrigens auch Medien- und Theaterkritik vor der "Me-too-Debatte" noch kräftig huldigten. "Wenn man das mal anguckt, wie wird über Männer und wie über Frauen geredet, das ist ein riesen Unterschied. Und ich finde es wahnsinnig heuchlerisch, dass genau diese Presse, die jetzt die MeToo-Debatte und wer weiß was noch alles investigativ zutage fördern will, die Regie-Berserker, -Heroen und Regie-Tyrannen absolut vergöttert hat," betont die Intendantin des Schauspielhauses Zürich Barbara Frey.

Änderung der Strukturen notwendig

Auf seltsame Weise kann man als Zuhörer sich des Gefühls nicht ganz erwehren, dass auf dem Podium ein gewisses Unbehagen bei der Fragestellung herrscht. Die Diskussion erweckt über Strecken den Eindruck des Zögerns, der Vorsicht, als lege man hier jede Silbe auf die Goldwaage, vor allem, nachdem Thomas Ostermeier sich mit seinem Bekenntnis derart geoutet hatte. Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, benennt einen entscheidenden Punkt: "Fundamental für die Genderfrage und die Kanonfrage ist, wie Betriebe organisiert sind. Wenn man an die Frauenfrage heran will, muss man die Strukturfrage stellen". Die Änderung der Strukturen umfasst die Einführung einer Frauenquote am Theater und die Forderung nach paritätischer Besetzung. Auch Führungskollektive sind bei der Diskussion im Gespräch, denn, so meint Barbara Frey am Schluss, nach ihrer Erfahrung seien gemischte Gruppen nun mal deutlich kreativer. Letztlich eine Diskussion, die nichts löst, nichts klärt, aber doch den Anstoß geben könnte für eine gesteigerte, längst überfällige Gender-Reflexion, einen Bewusstseinswandel in der Zukunft der Theater. 


Autorin: Barbara Bogen