Bildrechte: Marie-Laure Briane/Gärtnerplatztheater

Wohin mit der Liebe?

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Totentanz im Sonnenuntergang: "Lustige Witwe" in München

Europas Galopp in die Katastrophe: Intendant Josef Köpplinger verlegt die "Lustige Witwe" in den Sommer 1914. Poetisch, wehmütig und temporeich, begeistert die erste Premiere im renovierten Haus die Zuschauer. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Alle Selfie-Knipser und Hobbyfotografen wissen es natürlich: Das Licht kurz vor Sonnenuntergang ist das schönste, gibt allen und allem einen bezaubernden rötlichen Schimmer, wirft lange Schatten, ist weich und warm. In dieses Licht taucht Regisseur Josef Köpplinger seine gesamte, zweieinhalbstündige "Lustige Witwe" am frisch renovierten Münchener Gärtnerplatztheater.

Todesengel breitet Flügel aus

Sonnenuntergangslicht - Sinnbild für die Zeit, als in Europa das Licht ausging, im Sommer 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Ein Krieg, der gewissermaßen nie endete, bis heute nicht, denn seine Ursachen waren Nationalismus und Fanatismus, und wer könnte behaupten, dass beides Geschichte ist? Also schwingt sich am Ende dieser Operette aus dem Jahr 1905 der Todesengel auf die Bühne, breitet seine rabenschwarzen Flügel aus, greift sich die titelgebende Witwe und versetzt ihr den Todeskuss. Und die Männer, die schlurfen in den Pulverdampf über den Schlachtfeldern.

Verkehrte Welt, ferne Welt!

Da geht eine Welt unter, auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters, eine Welt, in der es noch Standesunterschiede gab, Liebesaffären wichtiger war als Staatsaffären und die bessere Gesellschaft eigentlich nichts anderes zu tun hatte als sich zu langweilen. Das war in Wien nicht anders als in Paris, wo die schwerreiche "Lustige Witwe" ja ihrem Grafen Danilo hinterher rennt und von ihm erst geheiratet wird, als er glaubt, dass sie arm ist. Verkehrte Welt, ferne Welt!

Kerle mischen sich zwischen die Grisetten

Josef Köpplinger und sein Ausstatter Rainer Sinell erzählen das in dieser sage und schreibe zwölften "Lustige Witwe"-Produktion an diesem Haus in sentimentalen, schwermütigen, aber nicht kitschtriefenden Bildern. Im Hintergrund dräuen Gewitterwolken im Abendrot, davor werden die Bäume im Park gelb und braun. Blätter fallen. Im Gartenpavillon werden die Marmorstatuen plötzlich lebendig, wie weiße Mumien. Klar, die Grisetten schwingen ihre Röcke, aber da haben sich doch Transvestiten-Kerle dazwischen gemischt, wie im frivolen Berlin der zwanziger Jahre.

Gemeint war Montenegro

Der Tod, er tanzt und schreitet von Anfang bis Ende durch diese Inszenierung, ist wohl selbst traurig, pflückt hier und da ein Blümchen, versucht zu trösten und scheitert damit doch immer wieder. Er kann nicht aufhalten, was auf Europa zu kommt. Tatsächlich war die "Lustige Witwe" ursprünglich eine Satire auf den Balkan, auf den Operetten-Staat Montenegro, ein Land, das aus Zensurgründen Pontevedro heißen musste. Eine poetische Deutung ist Josef Köpplinger da gelungen, voller politischer Anspielungen, die allerdings entschlüsselt werden wollen, sich also nicht aufdrängen. Es fehlte weder am Tempo, noch an launigen Gags.

Hitler fragte seine Haushälterin

Und im Programmheft war die alte Anekdote von Johannes Heesters abgedruckt, wonach Hitler nach einer Aufführung der "Lustigen Witwe" im Gärtnerplatztheater sich zu Hause im Frack vor den Spiegel gestellt haben soll, mit dem Seidenschal um den Hals, und seine Haushälterin fragte: "Bin ich vielleicht kein Danilo?" Klar, in dieser vermeintlich betulichen Erfolgs-Operette von Franz Lehár steckt das ganze tragikomische 20. Jahrhundert, das die Politik unglücklicherweise ernst nahm, anders als die Kabinette früherer Zeiten. Die Darsteller machten ihre Sache hervorragend, allen voran die quirlige Camille Schnoor in der Titelrolle und der eher burschikose als elegante Daniel Prohaska als Graf Danilo. Auch Sigrid Hauser als Njegus setzte komödiantische Höhepunkte.

Feinabstimmung fehlte

Allerdings gab es immer wieder bedrohliche Wackler und Abstimmungsprobleme mit dem Orchester: Kein Wunder, waren die letzte Tage im Gärtnerplatztheater doch enorm hektisch, mit kurzen Proben, einer Eröffnungs-Gala und sicherlich auch technischen Anfangsschwierigkeiten. Da fehlte begreiflicherweise die musikalische Feinabstimmung, da waren Chor und Orchester womöglich nervöser als sonst. Der neue Orchesterchef Anthony Bramall neigt als Brite nicht zu übertriebenen Gefühlsausbrüchen, gab diesem Abend aber Tiefe, leise Melancholie, Wehmut, was perfekt zur Inszenierung passte. So wird das Gärtnerplatztheater wieder zu Münchens anspruchsvollem Unterhaltungstempel, denn wie heißt es: Leicht ist schwer!


Wieder am 21., 22., 24. und 25. Oktober.