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Suanne Kennedy

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"Wahrnehmung in Gefahr bringen": Regisseurin Susanne Kennedy

"Die eigene Wahrnehmung in Gefahr zu bringen oder in Frage zu stellen, das macht mir Spaß", sagt Susanne Kennedy. Das Publikum ist irritiert - und fasziniert. Jetzt erhält die Regisseurin den "Europäischen Theaterpreis". Von Sven Ricklefs

Über dieses Thema berichtet: Kulturjournal am .

2013 inszeniert Susanne Kennedy an den Münchner Kammerspielen "Fegefeuer im Ingolstadt". Die deutsche Theateröffentlichkeit wird auf die 35-jährige Susanne Kennedy aufmerksam - obwohl schon eine Regiekarriere in den Niederlanden hinter ihr liegt, wo sie auch an der Kunsthochschule in Amsterdam studiert hat. Doch nun Marieluise Fleißers düsterer Blick in die Seele tiefster Provinz: "Fegefeuer in Ingolstadt", eine Inszenierung, die Susanne Kennedy nicht nur den Titel "Nachwuchsregisseurin des Jahres" eintrug, sondern gleich auch eine Einladung zum Berliner Theatertreffen und damit den Adelsschlag.

Poesie durch monströse Unnatürlichkeit

Hat Marieluise Fleißer schon davon gesprochen, dass die Poesie ihrer Figuren in ihrer Monstrosität läge, so lieferte Susanne Kennedy nun den Sound, den Gestus und die Ästhetik dazu, die eben jene monströse Unnatürlichkeit heraufbeschwor, die - laut Fleißer- "die nicht ganz letztliche Überschaubarkeit des Menschen ausmacht."

Stimme vom Körper losgelöst

Schon bei Marieluise Fleißer sprechen diese Figuren eine Kunstsprache, die ihnen wie ein Fremdkörper aus dem Mund fällt. Susanne Kennedy trennt in ihrer Inszenierung die Stimme vom Körper, lässt sie vom Band kommen und ihre Schauspieler lippensynchron agieren. Zugleich erzeugt die Regisseurin Spannung durch Statik, indem sie ihre fast festgefrorenen Figurenkonstellationen mit einem Blackout-Rhythmus in ein nacktes Bühnenzimmer schleudert. Fleißners Figuren, diese Mädels und Jungs, denen der Glaube eingefahren ist wie der Teufel, und die nicht wissen wohin mit sich, mit ihrem Körper, dem Sex und dem Bösen in ihnen, stehen da im grellen Licht und bleiben stehen, verrenken sich nur, wenn sie miteinander sprechen. Und so schaut man in dieses Fegefeuer der verkorksten Seelen wie in ein ebenso widerliches wie zutreffendes Abziehbild des eigenen Humus, so als schaue man einer Familienaufstellung mit computeranimierten Figuren in Second-Life zu.

Unterwegs zu einem neuen Genre

Zwei Jahre später geht Susanne Kennedy in ihrer Bühnenadaption von Rainer Werner Fassbinders Film "Warum läuft Herr R. Amok" einen Schritt weiter in Sachen Irritation. Damit kreiert sie ein "neues Genre", wie Chris Dercon sagt. Der ehemalige Leiter der Tate Modern in London und nun neue Intendant der Berliner Volksbühne verortet Kennedys ästhetische Gefilde zwischen Sprechtheater, Bildender Kunst, Installation und Performacekunst. Die Schauspieler bewegen nun ihre Lippen zu Stimmen, die nicht mehr ihre eigenen sind, sie sind eingelesen von Laien, deren amateurhafter Duktus die Belanglosigkeit der Kommunikation zusätzlich betont. Zugleich haben die Schauspieler Silikonmasken auf, die zwar ihre eigenen Gesichter zeigen, sie aber fast völlig ihrer Mimik berauben. Diese Masken sind seitdem ein prägendes Mittel des Theaters von Susanne Kennedy.

"Women in Trouble"

In ihrem neuen, jetzt in der Berliner Volksbühne inszenierten Stück "Women in Trouble" geht es darum, dass wir Gefahr laufen, den Menschen in seiner Menschlichkeit zu überwinden. In "Women in Trouble" wandert eine krebskranke Künstlerin durch eine auf der Drehbühne ununterbrochen kreisende, sterile Lifestylewelt, die zwischen Klinik und Fitnessstudio changiert. Während da Krankheit zu Heil umgedeutet wird, raunen Texte und Dialoge durch den Raum, die Kennedy aus den Tiefen des Internets, aus Blogs und Tedtalks zusammengesampelt hat. Zugleich benutzen die zur Unkenntlichkeit maskierte Protagonistin und ihre Doubles die Röhre eines Tomographen immer wieder als Todesschleuse, um sie auf der anderen Seite wiedergeboren zu verlassen.

Susanne Kennedy - eine große Herausforderung

Der Mensch auf dem Weg zum Cyborg, der in seiner Technisierung zwar an der eigenen Unsterblichkeit arbeitet, zugleich aber auch vieles von dem verliert, was ihn in seiner Unperfektion einmal ausgezeichnet hat. Und so zeigt sich auch hier, dass Susanne Kennedy sowohl mit ihrer spartenübergreifenden Ästhetik, als auch thematisch an einem Theater für morgen arbeitet, das ebenso Zeitphänomen ist, wie es durchaus auch als Warnung oder Aufruf zur Achtsamkeit verstanden werden kann vor einer allzu verheißungsvollen Zukunft.