Eine Oper von Albert Lortzing geht gar nicht – fünf dagegen sind einigermaßen erträglich: So ungefähr haben sie wohl diskutiert am Landestheater Niederbayern, und so haben sie es auf die Bühne gebracht, als „Pasticcio“, also Nummernrevue mit den Hits aus Lortzing-Opern. Und siehe da, das funktionierte gestern Abend prächtig! Schade, dass daraus nicht, wie eigentlich geplant, eine Gala wurde. Regisseurin Margit Gilch und ihre Textdichterin Swantje Schmidt-Bundschuh zeigten unter dem Titel „Man wird ja nur einmal geboren“ das Leben dieses Lortzing, Jahrgang 1801, der früher so populär war und heute als unerträglich „biedermeierlich“ gilt.
Lortzing passt zum neuen Biedermeier
„Zar und Zimmermann“, „Waffenschmied“ und „Wildschütz“ will angeblich kaum noch ein Zuschauer sehen – zu betulich, zu altbacken, zu harmlos. Aber stimmt das wirklich? Ja, die Geschichten sind allesamt haarsträubend, kaum zu aktualisieren und insofern tatsächlich überholt. Und doch: Gerade jetzt, wo Deutschland in ein neues Biedermeier zurückfällt, wo die AfD die Rückbesinnung auf die "wahren" Klassiker fordert (was in Passau auch genüsslich zitiert wurde) und sich Wohlstand und Behäbigkeit ausbreiten, ist Lortzing eigentlich der Komponist der Stunde.
Er trickste die Zensur aus
Tatsächlich war er persönlich allerdings keineswegs ein Spießer, wie in Passau deutlich wurde. Vielmehr führte er die Zensur geschickt an der Nase herum, trickste seine Aufpasser aus, verpackte Satire in Spielerei und garnierte das Ganze mit jeder Menge Hits zum Mitwippen. Als die Revolution ausbrach, 1848, war Lortzing sofort mit einer passenden, proletarischen Oper zur Stelle, „Regina“, die allerdings nicht aufgeführt wurde, weil die Revolution schneller vorbei war als die Spielzeit der Theater.
Komponist hadert mit sich selbst
Lortzing verdiente sein Geld als Komödiant, verstand was von Timing und Humor, schrieb seine Geschichten selbst und hatte ein Händchen für eingängige Melodien. Das Passauer Publikum war jedenfalls hin und weg, auch deshalb, weil Margit Gilch viele wirklich witzige Einfälle hatte und Lortzings Leben nicht etwa als ödes Stationendrama gab. Stattdessen ließ sie den Komponisten gleich doppelt auftreten und mit sich selbst hadern: Die Frau, die Kinder, das Geld, die Politik – viel Arbeit, viel Ärger, wenig Dank.
Lortzing: Ständig in Bewegung
Das Biedermeier war keineswegs brav und artig, da wurde sogar gemordet, auf jeden Fall aber egoistisch an den eigenen Vorteil gedacht und Künstler eher ausgebeutet als gehuldigt. Dorothee Schumacher und Lutz Kemper hatten eine Drehbühne entworfen, vorne das private Wohnzimmer der Lortzings, hinten das Theater – oder umgekehrt. Das brachte Bewegung in den knapp dreistündigen Abend, und in Bewegung war Lortzing ständig: Berlin, Coburg, Köln, Leipzig, Wien und wieder Berlin. Ein Leben aus dem Koffer! Das zehrte an der Energie, mit nicht mal fünfzig starb er am Schlaganfall.
Den Melodien hat es nicht geschadet
Peter Tilch als älterer Lortzing war mal süffisant, mal hämisch, mal ironisch und immer unterhaltsam. Der amerikanische Tenor Jeffrey Nardone als jüngerer Lortzing konnte da nicht mithalten: Stimmlich drehte er viel zu sehr auf, sprachlich gelang es ihm nicht, die Leichtigkeit und Kessheit in die Rolle zu bringen, die gefordert gewesen wären. Großartig dagegen Maria Pitsch als zickige Ehefrau und Meerjungfrau Undine, Sabine Noack in Mehrfachrollen als Mutter und mordlüsterner Student Carl Ludwig Sand. Margherita Colombo dirigierte die Niederbayerische Philharmonie mit viel Liebe zum Detail und unbändiger Lust am Gag, vom Holzschuhtanz über ein musikalisches ABC bis hin zum Finale. Bravo, Lortzing, könnte es heißen: Mag sein, dass die Opern heute nicht mehr gehen, den Melodien hat es nicht geschadet.
Wieder am 5., 17. und 25. November in Passau, am 10. und 11. November in Landshut.