Bildrechte: Thomas Aurin/Staatstheater Stuttgart

Cornelia Ptassek als Medea

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Reif für die Müll-Insel: "Medea" in Stuttgart als Untergangsepos

Er ist der Untergangs-Prophet unter den Opernregisseuren: Peter Konwitschny glaubt nicht mehr an eine bessere Welt ohne vorherige Katastrophe. Entsprechend pessimistisch inszenierte er Luigi Cherubinis Oper "Medea". Nachtkritik von Peter Jungblut

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wehe, wenn Medea einen roten Apfel aus der Frischhaltefolie fummelt und ihn genüsslich wegknabbert - dann will sie sich garantiert nicht beruhigen. Eher im Gegenteil. Sobald ihr kleiner Hunger erledigt ist, unternimmt sie was gegen ihren großen, und der ist nur mit Blut zu stillen - mit viel Blut. Am Ende sind alle tot, natürlich, wie fast immer in der Oper, aber in diesem Fall stellt sich die Frage, wer daran schuld ist: Medea oder die Gesellschaft, in der sie lebt. 1797 komponierte Luigi Cherubini seine martialische Oper, unmittelbar nach der Französischen Revolution, nur wenige Jahre nach dem großen Terror, als alles umstürzte, als Köpfe rollten und Monarchen zitterten.

Eine Frau sieht rot

"Medea" war das Stück der Stunde: Eine Frau sieht rot und wartet nicht auf die Polizei. Eine Oper ganz nach dem Geschmack des inzwischen 72-jährigen Regisseurs Peter Konwitschny, der schon lange der Meinung ist, dass diese geld- und machtgetriebene Welt zugrunde gehen muss und die Katastrophe unausweichlich ist. Zusammenbrüche und Umwälzungen aller Art sind sozusagen seine Spezialität, ohne Revolution kein Neuanfang. Das zeigten Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker gestern Abend an der Stuttgarter Staatsoper so drastisch wie eh und je. In der Ägäis treibt eine dieser riesigen Inseln aus Plastikmüll, wie sie ja von Satellitenaufnahmen bekannt sind. Mitten drin ein recht schäbiges Floß mit einer gekachelten Wohnküche. Außer Gemüse-Konserven und Dosenbier ist nichts mehr da. Kein Wunder, dass der im Programmheft abgedruckte tote Albatros außer Kunststoff-Fetzen nichts mehr im Magen hat.

Shanty-Chor aus Argonauten

Hier hausen der Mafia-König Kreon von Korinth und sein aufgetakelter Hofstaat, hierher hat sich der karrieregeile Jason mit seinem Shanty-Chor aus Argonauten gerettet und will Prinzessin Kreusa heiraten, obwohl er mit Medea, dieser unheimlichen, kriminellen Hexe, schon zwei Kinder hat. Doch die Vergangenheit stört nur. Schnell ist das berühmte Goldene Vlies gegen nagelneue Pässe eingetauscht: Jason und seine Gefährten wollen mitmischen auf diesen schwankenden Wohlstandsbrettern mitten im Ozean aus Abfall, der übrigens durch viele Hochzeitsgaben und haufenweise Geschenkpapier gleich noch vermehrt wird. Medea stört, und wie. Sie hat sich die Finger schmutzig gemacht für ihren Jason, hat für ihn gemordet und getrickst und soll jetzt abserviert werden. Mit einem blauen Müllsack kommt sie auf die Bühne, was sonst, vom Dreck der Gesellschaft versteht keine soviel wie sie. Gift hat sie dabei, Gummihandschuhe, ihre Arbeitskluft sozusagen. Dann kann´s ja los gehen.

Cherubini wird selten gespielt

Peter Konwitschny hat es verstanden, dieser Oper ihr bisweilen quälendes Pathos auszutreiben, die Franzosen mögen es ja bis heute klassizistisch, also hochtrabend, geschliffen, prunkend. Das ist auch der Grund, warum die Werke von Cherubini und seinen Zeitgenossen heute auf deutschen Bühnen eher selten gespielt werden. Das ist großes Deklamationstheater, da wird mit Worten geprahlt und geprotzt, der Effekt zählt mehr als der Sinn. Umso besser, dass sich die Stuttgarter Staatsoper für eine neue deutsche Übersetzung entschieden hat und Konwitschny die gesprochenen Dialoge gründlich entstaubte. Für die Sänger ist das natürlich Schwerstarbeit, dauernd hin und her zu wechseln zwischen Sprech- und Singstimme, zumal keine Mikrofone eingesetzt wurden, was sonst üblich ist. Cornelia Ptassek war in der Titelrolle für eine Kollegin eingesprungen, die sich einen Bandscheibenvorfall zugezogen hatte.

Wenn der Weltgeist tobt

Ptassek war schauspielerisch glänzend, eine Furie an Selbstbewusstsein, Kraft, Unerschrockenheit. Stimmlich fehlte ihr bisweilen die funkelnde Höhe, die diese Rolle so einschüchternd macht. Sebastian Kohlhepp war ein schneidiger Jason, Shigeo Ishino ein aasiger Diktator Kreon. Der Chor war ganz in seinem Element und die beiden Kinder der Medea machten ihre Sache vorzüglich. Dirigent Alejo Pérez hatte hörbar Spaß an Cherubinis unbändiger Revolutionsoper. Es donnerte und krachte, es blitzte und trommelte gewaltig. Wenn der Weltgeist tobt, darf es eben ruhig etwas mehr sein. Und wer ist nun schuld an allem? Am Ende von "Medea" ist keiner mehr übrig, der gefragt werden könnte. Auch eine Antwort.

Wieder am 8. und 27. Dezember, sowie weitere Termine