Bildrechte: Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater

Graf und Gräfin

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Null Bock auf Biedermeier: "Der Wildschütz" in München

Albert Lortzing war ein Theatertier, Erfolgsgarant und Spaßmacher, an dem sich die Operettenwelt orientierte: Doch sind seine Werke heute noch aktuell genug? Das Gärtnerplatztheater versuchte es mit dem "Wildschütz". Nachtkritik von Peter Jungblut.

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Da konnte ja eigentlich gar nichts schief gehen: Immerhin waren am "Wildschütz" die beiden erfolgreichsten Unterhaltungsprofis ihrer Zeit beteiligt: August von Kotzebue war um 1810 einer der meist gespielten Stückeschreiber - immer etwas schlüpfrig, bisweilen anzüglich, auch seicht, aber eben auch ganz nah am Publikum. Mindestens so populär war eine Generation später der Komponist Albert Lortzing, der König des Biedermeier, ein Vollblut-Komödiant, ein launiger Meister der Spieloper.

Dieser Humor tat keinem weh

Der "Wildschütz" war folglich eine sichere Bank, als er 1842 herauskam - ein Operetten-Hit, der noch bis vor ein paar Jahrzehnten ausgesprochen beliebt war. Biedermeier hin oder her, Deutschland liebte es betulich, altbacken, harmlos. Dieser Humor tat keinem weh, und genau deshalb ist es inzwischen fast unmöglich, den "Wildschütz" noch angemessen auf die Bühne zu bringen. Das gilt selbst für das Münchener Gärtnerplatztheater, das gerade eine sensationelle 100-Tage-Bilanz nach der Wiedereröffnung veröffentlichen konnte und vom Publikum schier überrannt wird. Hier wird höchst professionelles Unterhaltungstheater gemacht, aber zählt der "Wildschütz" wirklich noch dazu?

"Freischütz" statt "Wildschütz"

Nein, er ist veraltet, überholt, wie fast alle Boulevardstücke der ferneren Vergangenheit. Also braucht es eine gute Idee, einen triftigen Grund, Albert Lortzings behäbigen Schwank neu zu deuten, am besten humorvoll und zeitgemäß, wenn das überhaupt möglich ist. Regisseur Georg Schmiedleitner schien das zu bezweifeln und inszenierte gestern Abend mindestens eine halbe Stunde lang, wenn nicht den ganzen dreistündigen Abend, nicht etwa den "Wildschütz" von Lortzing, sondern den "Freischütz" von Carl-Maria von Weber.

Brunft, Sex und Gier

Beide Stücke haben zwar nichts miteinander zu tun, doch im "Freischütz" geht´s bekanntlich um Waffen, die ein Symbol für männliche Versagensängste und Potenzgehabe sind, Stichwort Probeschuss, und diese erotisch aufgeladene Symbolwelt zeigte Schmiedleitner in seinen Bildern ausführlich: Da hielt der Chor die Gewehre in Schritthöhe, da wurden die Läufe kräftig gerieben, später auch die Billard-Queues, da ging es mehr oder weniger ausschließlich um die sexuelle Jagdleidenschaft, um Brunft und Gier.

Biedermeier im Triebstau

Nun schießt der Dorfschullehrer Baculus im "Wildschütz" zwar einen Bock, der sich am Ende als Esel erweist, aber diese Geschichte so tiefenpsychologisch auszuloten wie den hochromantischen "Freischütz", das funktionierte einfach nicht. Sicher, das Biedermeier steckte im Triebstau und Lortzing war bei weitem nicht so einfältig, wie sein Ruf, aber der heiter-bräsige "Wildschütz" brach unter dieser ehrgeizigen Interpretation zusammen.

Schützenscheibe als Sinnbild

Ausstatter Harald B. Thor hatte eine riesige Schützen-Scheibe mit röhrendem Hirsch entworfen, eine Scheibe, die so groß war, dass sie als schwankende Spielfläche diente, auf der die Personen nicht immer genug Halt fanden. Sinnbild natürlich auch dies - für sexuelle Unsicherheit, für riskantes Begehren und Rutschgefahr. Aber das war eher ermüdend als fesselnd, zumal die Handlung jenseits der optischen Anspielungen allenfalls klamaukig abschnurrte.

Es fehlte feine Ironie

Schade, denn auch Dirigent Michael Brandstätter und das Orchester verloren bisweilen den Überblick, wirkten besonders am Anfang uninspiriert und abgelenkt, der Chor mal nervös, mal verwirrt. Unter den Solisten zeigten sich Mathias Hausmann als Graf von Eberbach und der rumänische Tenor Lucian Krasznec bestens aufgelegt und der ungarische Bass Levente Páll in der Titelrolle derb-fröhliche Spielfreude und erfrischend kerniges Stimmformat, während die ebenfalls ungarische Sopranistin Mária Celeng als verkappte Liebhaberin erhebliche Artikulationsprobleme hatte und Margarete Joswig als komödiantische Gräfin zwar groß spielte, aber bei weitem nicht augenzwinkernd genug. Diesem "Wildschütz" fehlte feine Ironie, das Kennzeichen des Biedermeiers - als freudianische Satire ist der "Freischütz" besser.


Wieder am 23. und 30. Januar, sowie weitere Termine