Bildrechte: Karl Forster/Deutsche Oper am Rhein

Totenkult und Todesangst

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Karneval im Todestrakt: "Wozzeck" in Düsseldorf

Dieser Wozzeck wird mit der Giftspritze exekutiert, und das Hinrichtungskommando feiert fröhlich Karneval: Stefan Herheim zeigte Alban Bergs Klassiker als knallharte Gesellschafts-Farce in den Zeiten von AfD und Trump. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Irgendwie tröstlich, dass bei Alban Bergs Oper "Wozzeck" immer noch ein paar Zuschauer vorzeitig aufbrechen, wie gestern Abend in Düsseldorf. Fast einhundert Jahre nach der Uraufführung 1925 gehört der "Wozzeck" ja eigentlich längst zum Standard-Repertoire der Opernhäuser, und was mal eine scharfe Anklage gegen das soziale Elend, gegen Unrecht und Ignoranz der herrschenden Schichten war, ist längst zur Klassiker-Folklore geworden, die kaum noch jemanden verstört. Sie wissen schon: Wozzeck ist die ausgemergelte Gestalt mit der Glatze, die lauter berühmte Sätze von Georg Büchner singt - wie auch alle anderen Darsteller: "Der Mensch ist ein Abgrund", "Er läuft wie ein Rasiermesser durch die Welt", usw.

Keine Begnadigung in letzter Minute

Doch Regisseur Stefan Herheim und seinem bewährten Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach ist es tatsächlich gelungen, dem "Wozzeck" wieder etwas von dem "Biss" zu geben, den er vor langer Zeit mal hatte. Sie verlegten die Handlung in einen amerikanischen Todestrakt, in ein Gefängnis also, wo die Giftspritze zum Einsatz kommt. Ausstatter Christof Hetzer hatte offenkundig sorgfältig recherchiert: Hinter einer Glasscheibe sitzen die Zeugen, an der Wand stehen die Justizbeamten, der Pfarrer hält die Bibel bereit, der Arzt die Kanülen und der Aufseher telefoniert ein letztes Mal mit seinen Vorgesetzten - Nein, es gibt keine Begnadigung in letzter Minute.

Die Wanduhr rast und schleicht

Dann wird der wegen Mordes zum Tode verurteilte Wozzeck auf einen lederbezogenen Tisch geschnallt und schließt für immer die Augen - und vielleicht stimmt es ja wirklich, dass der sterbende Mensch, wie hier gezeigt, dann sein Leben im Schnelldurchlauf vorbeiziehen sieht. Die Zeit als solche, die ist im "Wozzeck" ja immer wieder Thema, vergeht dem einen zu schnell, dem anderen zu langsam: Je nach Szene rast oder schleicht die Wanduhr also durch die Sekunden. Klar, der "Wozzeck" ist Sozialkritik, und Stefan Herheim betont das mit den Mitteln des guten, alten Lehrtheaters aus den Tagen von Bertolt Brecht.

Die Tatwaffe liefert die Gesellschaft

Immer, wenn von "armen Leuten" die Rede ist, geht im Saal das Licht an, dort also, wo bei der Premiere garantiert fast nur Vermögende und Gebildete sitzen, speziell im wohlhabenden Düsseldorf. Und während Wozzeck sein erbärmliches Außenseiter-Leben lebt, stecken ihm Hauptmann und Doktor blitzende Messer zu, liefern also die Waffe, mit der Wozzeck schließlich seine Marie ersticht. Das ist effektvoll und packend bebildert, aber letztlich eine allzu simple Botschaft: Der Täter - er wurde demnach also ausschließlich von der Gesellschaft dazu gemacht.

Eifersucht bleibt ausgeblendet

Die rasende Eifersucht Wozzecks, der letztlich aus niederen Motiven tötet, die bleibt hier trotz drastischer Kopulationsszenen fast völlig ausgeblendet. Und die karnevalesken Kostüm-Einlagen dürften auch nicht jedermanns Sache gewesen sein: Obwohl, am Rhein hat für Funkenmariechen ja jeder Verständnis. Ein diskussionswürdiger, technisch aufwändiger, sehr professioneller und maßvoll umstrittener "Wozzeck" also.

Abgründig war die Musik nicht

Von Dirigent Axel Kober wäre wesentlich mehr Mut zum anarchischen, raubeinigen, spukhaften Klang zu wünschen gewesen. Abgründig war das alles nicht, eher solide. Bo Skovhus in der Titelrolle ist weltweit einer der besten Darsteller solcher innerlich zerrissenen Gestalten, aber diesmal wirkte er fast eine Spur zu routiniert. Camilla Nylund als Marie steigerte sich dagegen während der gut eineinhalb Stunden enorm, und auch Corby Welch als Tambourmajor war von brutaler Direktheit. Ähnlich glaubwürdig Sami Luttinen als Doktor und der gerade zum "Sänger des Jahres 2017" gewählte Matthias Klink als Hauptmann. Ein umjubelter Abend.


Wieder am 22., 25. und 27. Oktober.